Maik Fielitz/Holger Marcks: „Digitaler Faschismus“

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Hassreden, Hetze und Verschwörungstheorien sind einem Großteil der Bevölkerung erst durch die grotesken Tweets von Donald Trump zum Bewusstsein gekommen, weil erst die Tatsache, dass ausgerechnet der mächtigste Mann der (westlichen) Welt jegliches intellektuelle Format und elementare ethische Grundsätze missachtete, für das entsprechende Aufsehen sorgte, das auch Normalbürger ohne täglichen Facebook-Konsum erreichte. Die beiden Autoren des vorliegenden Buches zeigen, dass es sich bei Donald Trump nur um die Spitze eines Eisberges handelt, der sich meilenweit unter der Oberfläche des scheinbar ruhigen und tragfähigen Internet erstreckt und schließlich die metaphorische „Titanic“ der Demokratie zum Sinken bringen könnte.

Der Titel des Buches mit dem politisch inkriminierten Begriff „Faschismus“ ist nicht als reißerisches Lockmittel gedacht, hinter dem sich eine harmlosere Diagnose versteckt, sondern spiegelt die Situation ungeschminkt wider und wartet mit einer konzisen Analyse auf. Anfangs staunt man noch über die etwas leichtfertige Anwendung des Faschismus-Begriffs auf die heutige Situation in den sozialen Netzen, da sich dieser historisch als Ideologie straff organisierter Parteien entwickelt hat – zum Beispiel in Italien und Deutschland. Dann jedoch holen die beiden Autoren zu einer zielgenauen Analyse existierender Faschismus-Theorien aus, die in die nachvollziehbare Feststellung mündet, dass die Basis des Faschismus in dem Gefühl einer nationalen Demütigung und Marginalisierung gründet. Das war sowohl in Deutschland als auch Italien nach dem Ersten Weltkrieg der Fall. Um gehört zu werden, weiten die betroffenen gesellschaftlichen Gruppen diesen Demütigungskomplex zu einer nationalen Katastrophe mit Untergangscharakter aus, um daraus eine vermeintliche Notwehrsituation zu schaffen und – logisch – eigene Gewalt zu rechtfertigen.

Die Autoren übertragen diese Situation auf heutige rechte und rechtsextreme Gruppen, die erst in der Globalisierung mit ihren wirtschaftlichen Folgen und dann in der Migrationskrise eben diese Anzeichen des nationalen Untergangs sahen und entsprechend reagierten. Das wäre allein keine so kritische Situation, wenn sich nicht auch die Kommunikationslandschaft dramatisch geändert hätte. War die öffentliche Meinung noch vor einem Vierteljahrhundert weitestgehend durch staatliche und private „Gatekeeper“ wie die Presse – im durchaus positiven Sinne – kontrolliert, so machte das Internetz plötzlich jeden Meinungskonsumenten potentiell zu einem Produzenten. Die utopische – ja geradezu romantische – Hoffnung auf eine freie, demokratische Meinungsbildung durch eine freie Kommunikation aller mit allen im Internet zerstob schneller als gedacht, als auch die Extremen – übrigens rechts wie links – erkannten, dass sie dieses Medium nach allen (schlechten) Regeln der Kunst für ihre Zwecke nutzen konnten, ohne sich den Presseregeln oder vergleichbaren ethischen Konventionen unterwerfen zu müssen. Dabei zeigen die beiden Autoren, dass vor allem die Rechte mit einer so gezielten wie ungebremsten „Ruchlosigkeit“ zu Werke geht. Fakten spielen für die Rechte nur so lange eine Rolle, wie sie die eigene Weltsicht unterstützen – andernfalls sind sie „Fake News“, die von geheimen Mächten zur Unterdrückung des Volkes erfunden werden.

Neben der geradezu obsessiven Verbreitung verschiedenster Verschwörungstheorien setzt die Rechte im Netz vor allem auf die Skandalisierung lokaler Vorgänge – etwa Migrantenkriminalität -, um damit überregional und -national Verunsicherung und Empörung zu wecken. Dabei betonen die Autoren, dass die Rechte durchaus gelernt hat, indem sie nicht immer falsche Tatsachenbehauptungen aufstellt, die juristische Folgen zeitigen könnten, sondern provokative Fragen stellt und Tatsachen „nur“ derart einseitig oder zugespitzt formuliert, dass der Vorwurf der „Hassrede“ juristisch schwer zu begründen ist. Darüber hinaus ironisieren sie ihre Propaganda gerne vordergründig, um dadurch eventuelle juristische Maßnahmen durch das Alibi eines vermeintlichen Humors ins Leere laufen zu lassen.

Auch kann man den Rechtsextremen nicht gezielte und straffe Organisation vorwerfen und dann entsprechende Aktivitäten der Verfassungsschutzorgane einleiten, da diese meist als Einzelpersonen auftreten und die Netzpropaganda überdies durch multiple anonyme Konten ständig aus anderen Quellen ins Netz einspeisen. Die Gesetzgebung ist jedoch leider – noch! – weitgehend auf Organisationen wie NPD oder AfD ausgerichtet, die es zu bekämpfen gilt, nicht jedoch auf ständig wechselnde Individuen.

Die Autoren zeigen nicht nur die sozialen und ideologischen Hintergründe des Rechtsextremismus im Netz, sondern auch deren Virtuosität in der Nutzung der Internettechnik und der sozialen Netze. Ziel ist die schnelle Erregung und Aufschaukelung öffentlicher Empörung, und das lässt sich durchaus mit automatisierten „Shitstorms“ multipler Accounts erreichen, hinter denen statt einer scheinbar großen Anzahl empörter Bürger jeweils nur einzelne „Trolle“ stecken.

Doch die beiden Autoren schildern nicht nur die Situation und die damit zusammenhängende Bedrohung der Demokratie ungeschminkt, sondern sie versuchen auch Gegenmaßnahmen aufzuzeigen. Doch das ist leichter gesagt als getan, kann doch die Aufmerksamkeit der breiten Internet-Öffentlichkeit nur durch ähnlich spektakuläre weil krude Maßnahmen wie die der Rechten gewonnen werden. Die rationale, abwägende Einrede verhallt vor den Hassparolen und Lügen der Rechtsextremen. Härtere Bandagen seitens der Verteidiger der Demokratie – wenn auch aus hehren Gründen – würden letztlich auf sie zurückfallen und sie desavouieren. Fielitz und Marcks sehen daher auf die Dauer nur die Chance einer staatlichen Regulierung der sozialen Netze. Sie fordern dabei jedoch keine platten Verbote oder allgegenwärtige Filter, da sie wissen, dass dies einerseits nicht durchsetzbar wäre und andererseits schnell zu massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit führen würde. Außerdem wäre eine totale inhaltliche Kontrolle der sozialen Netze kaum praktikabel. Daher setzen sie auf eine externe – d.h. von staatlicher Seite – Verpflichtung von Facebook & Co. auf die Einhaltung gewisser inhaltlicher und sachlicher Standards. Das bedeutet, dass auch die großen (und kleinen!) Plattformen so etwas wie einen Pressekodex einhalten müssen und sich für Verstöße dagegen vor nationalen oder internationalen Institutionen verantworten müssten.

Dass dieses nicht einfach sein wird, gestehen die beiden Autoren offen ein, aber sie sehen einen Hoffnungsschimmer am Horizont, da nicht zuletzt nach den neuerlichen verbalen Ausschreitungen anlässlich Corona – oder gar der US-Wahl! – immer mehr Länder sich dieser die Demokratie gefährdenden Entwicklung bewusst werden.

Das Buch ist im Duden-Verlag erschienen, umfasst 256 Seiten und kostet 18 Euro.

Frank Raudszus

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