Michel Houellebecq: „Ein bisschen schlechter“ Neue Interventionen, Essays

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„Ein bisschen schlechter. Interventionen. Essays“ ist der Titel des 2020 erschienenen Buches von Michel Houellebecq.

Wer sich nach der Lektüre der letzten Romane von Michel Houellebecq fragt, wo dieser Autor politisch und weltanschaulich steht, dem sei dieser Band empfohlen. In Essays und in Interviews aus den Jahren 2003 bis Mai 2020 gibt Houellebecq Auskunft über seine Positionen zu den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dabei ergibt sich das Bild eines ambivalenten Zeitgenossen, der die Bandbreite von erzkonservativen Einstellungen bis zu überraschend weitsichtigen Haltungen zu Problemen im menschlichen Zusammenleben abdeckt.

Die Themenkomplexe umfassen zum einen grundsätzliche Fragen zu politischen Haltungen zu gesellschaftlichem Wandel, zur Rolle und Funktion von Literatur und Schriftstellern, zur Bedeutung des Christentums, speziell des Katholizismus, in der modernen Welt. Zum anderen bezieht er Stellung zu konkreten Ereignissen der Gegenwart: zur Präsidentschaft von Donald Trump, zu den Auswirkungen der Corona-Krise, zur gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber Menschen mit schwersten Beschädigungen.

Houellebecq versteht sich selbst als Konservativen. Er grenzt sich zum einen deutlich ab von dem Reaktionär, der grundsätzlich alles Neue ablehne und dazu neige, einem Helden- und Märtyrermythos aufzusitzen. Zum anderen grenzt er sich ebenso ab vom Widerständler bzw. dem Revolutionär, der dem Konservativen verachtenswert erscheint, da er angetrieben sei von „Dummheit, Eitelkeit und Gier nach Gewalt“. Der wahre Konservatismus hingegen sei die wahre „Quelle des Fortschritts“, weil der Konservative Wandel nur mit Augenmaß und nach strenger Prüfung, vergleichbar wissenschaftlicher Forschung, betreiben wolle.

Es verwundert, wie deutlich sich Houellebecq in seinem Eingangsessay gegen reaktionäre Haltungen verwahrt, während er in späteren Texten und Interviews immer wieder Autoren verteidigt oder sogar mit ihnen gemeinsam vorträgt, die eindeutig islamophob, ausländerfeindlich und antisemitisch sind. Der Verweis auf die Redefreiheit wirkt da wie ein schlechtes Alibi.

Eindeutig vertritt er die direkte Demokratie, d.h. Abschaffung der Parlamente, Wahl eines Präsidenten auf Lebenszeit; politische Korrektheit lehnt er ab. Verbirgt sich dahinter die Sehnsucht nach einer autoritären Führung durch einen starken Mann, der nur durch den unmittelbaren „Willen des Volkes“ bestätigt oder korrigiert wird? Eine Erörterung der leicht möglichen Manipulation des sogenannten Volkswillens findet bei Houellebecq nicht statt.

In diesen Zusammenhang passt auch der Essay „Donald Trump ist ein guter Präsident“. Houellebecq unterscheidet zwischen der Person und dem Amt. Als Charakter findet er Trump „ziemlich widerwärtig“ und teilt die Scham der Amerikaner, „von einem so haarsträubenden Clown regiert zu werden“. Als Politiker aber bewundert er ihn, und zwar gerade für seinen „America-First“-Ansatz. Es sei erfrischend, dass Trump so viele internationale Abmachungen in Frage gestellt bzw. annulliert habe, dass er Bestrebungen nach Unabhängigkeit wie z.B. den Brexit unterstütze, dass er national und damit antiglobal agiere.

Houellebecq wünscht sich das ganz unverhohlen auch für Frankreich, das erst dann wieder seine volle Souveränität haben werde, wenn es endlich aus der EU und aus der NATO ausgetreten sei. Das ist ein eindeutiges Bekenntnis zu Nationalismus, der sich als Patriotismus tarnt.  Für die USA wünscht er sich einen Präsidenten, der als Politiker ebenso auftritt wie Trump, aber als Charakter gefestigt auf einem christlich-konservativen Weltbild aufbaue.

Als Traditionalist erweist er sich auch in seinem Verhältnis zu Religion, speziell zur katholischen Kirche. Zwar definiert er sich als Atheist, glaubt aber, dass die Moderne an dem Bedeutungsverlust der Kirche leide. Wenn sie sich wieder auf ihre traditionellen Rituale und Werte besänne, könnte sie zu ihrem „alten Glanz“ zurückfinden. Darin ist er sich einig mit Geoffrey Lejeune, einem bekennenden rechten französischen Journalisten, mit dem er ein Gespräch über die „beschädigte Zivilisation“ Europas führt. Das Übel des Abendlandes sehen beide in der Aufklärung, die zu einem falschen Individualismus geführt habe. Falsch ist für beide auch die Emanzipationsbewegung der Frauen. Sie glauben, die Frauen würden das noch bereuen. Warum auch immer.

In der Corona-Krise sieht Houellebecq einen Brandbeschleuniger der negativen gesellschaftlichen Entwicklungen. Der technologische Fortschritt mache menschliche Beziehungen zunehmend obsolet. Die vorherrschende Verdrängung des Todes werde durch die Einsamkeit der an Corona Sterbenden noch verschärft. Den Ausgang sieht er pessimistisch: „Wir werden nach der Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt erwachen, es wird dieselbe sein, nur ein bisschen schlechter.“

Damit klingt ein anderer Houellebecq an, den es auch gibt. Dieser Houellebecq ist ein Verteidiger der Menschenwürde und des Rechts auf Leben auch für einen schwerstgeschädigten Menschen, der jahrelang im Koma liegt. Das erörtert er in dem Schlusstext „Den Fall Vincent Lambert hätte es nicht geben dürfen“.

In seinem Verhältnis zur Musik stellt sich Houellebecq als äußerst sensibel dar. Er kann mitten in einem Schubert-Konzert vor Rührung laut aufschluchzen. Wenn es um die Frage des Genies geht, dann denkt er eher an Beethoven als an Shakespeare.

Die Rolle des Schriftstellers in der modernen Welt sieht er als eine Weiterschreibung der Christusfigur in einer religionsfernen Zeit. Jesus habe sich für die Menschen geopfert, indem er deren Sünden auf sich genommen habe. Der Schriftsteller opfere sich, indem er die Darstellung des Negativen auf sich nehme. Er versteht den Schriftsteller nicht als Propheten einer besseren oder schlechteren Zukunft, sondern als denjenigen, der die Ängste der Menschen ausdrückt.

Er selbst aber ist gegen eine negative Weltsicht, denn „das Gute existiert … unbedingt, ebenso wie das Böse“. Und er glaubt an die menschliche Gemeinschaft, deren Keimzelle für ihn die Gemeinschaft von Mann und Frau ist. Das gipfelt in dem Bekenntnis „ich glaube an die Liebe“. Welch ein Bekenntnis bei diesem Autor, dessen Romane eher den Zyniker und Nihilisten vermuten lassen.

So bleibt nach der Lektüre der sehr unterschiedlichen Texte in diesem Band ein widersprüchliches Bild von Michel Houellebecq. Politisch ist er konservativen bis rechten Positionen zuzuordnen, in anderen Zusammenhängen plädiert er für Menschenwürde und das Recht auf ein gutes Leben für jeden. Das jedoch soll mit den alten Mitteln zu erreichen sein: Rückkehr zu traditionellen Werten, zu Religiosität und zu althergebrachten Geschlechterbeziehungen. Darin liegt seine grundsätzliche Anti-Modernität.

Wer die Romane von Houellebecq kennt und sich mit seiner radikalen Darstellung moderner Lebensformen auseinandergesetzt hat, der sollte diesen Band unbedingt studieren. Houellebecqs Mut zur Provokation und zur Kritik an Modernität und Fortschrittsglauben fordert die Leserinnen und Leser heraus, ihre Gegenargumente zu schärfen und zu formulieren. Insofern ist Houellebecqs Konservatismus ein Anstoß zum Fortschritt bei den Lesern und Leserinnen, die eine Weiterentwicklung von gesellschaftlichem Zusammenleben ganz anders definieren.

In diesem Sinne ist Houellebecq eine anregende und herausfordernde Lektüre, auch weil seine Positionen auf großer Kenntnis in Politik und Philosophie beruhen. Nicht zu vergessen, dass auch diese Texte von großer sprachlicher Souveränität zeugen.

Also zum Schluss ein Appell: Liebe Leserinnen und Leser, habt den Mut, euch diesem unbequemen Querdenker zu widmen, auch wenn ihr bisweilen empört oder sogar wütend sein werdet!

Das Buch ist im Dumont Verlag erschienen, hat 202 Seiten und kostet 23 Euro

Elke Trost

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