Vexierspiel zwischen Theater und Film

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Die Inszenierung von Upton Sinclairs Roman „Öl“ aus dem Jahr 1927 beginnt mit einem bühnengroßen Video auf einem Gazevorhang, das die beiden Protagonisten J. Arnold Ross (Wolfram Koch) und seinen Sohn Bunny (Torsten Flassig) dabei zeigt, wie sei ein altes Autos aus den Zwanzigern vom Vorplatz des Frankfurter Schauspielhauses durch verschiedene Gänge und Türen bis zur Bühne bugsieren. Als sie dort ankommen, hebt sich der eiserne Vorhang, und die Zuschauer sehen jetzt weiterhin den Film aus der Auto-Perspektive sowie das reale Geschehen auf der Bühne. So überschneiden sich beide Darstellungen eine Zeitlang und schaffen damit ein Vexierspiel aus Theater und Film.

Wolfram Koch und Torsten Flassig im Einstiegsvideo

Auf dem Gaze-Vorhang wird das Video als Teil 1 des Films „Soft Oil“ angekündigt. Beim schnell durchlaufenden späteren Abspann erscheinen Namen wie „F. Lang“ oder „Murnau“, ein deutliches Zitat der Filmgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts. Auch der umständliche Kostümwechsel nach dem Einbringung des Oldtimers auf die Bühne dient weniger praktischen Theaterzwecken – die Kostüme „stimmten“ bereits im Video – denn als Zitat des Übergangs vom Film zum Theater. Diese Selbstreferenz der Inszenierung setzt sich fort, wenn Bunny, der Sohn, in den ersten Szenen öfters darauf hinweist, dass man hier den Film über den Roman „Öl“ drehe. Alle folgenden Video-Sequenzen aus dem Auto oder aus dem einfachen Wohnmobil der Farmerfamilie Watkins, ja sogar die „realen“ Szenen auf der Bühne stehen alle unter der impliziten Regie für einen Film.

Die im Roman natürlich entsprechend ausgearbeitete Handlung ist denkbar schlicht. Vater und Sohn Ross gehen auf dem Gelände der überschuldeten Watkins-Farm Wachteln jagen und entdecken dabei Öl. Der Vater will den Watkins das Land möglichst billig abkaufen, doch Sohn Bunny entdeckt schon hier seine soziale Ader, zumal er die gleichaltrige Ruth Watkins als Opfer eines prügelnden Bruders kennengelernt hat. Schnell wechselt die Szenerie zur Ölförderung mit Paul Watkins als Vorarbeiter und zum Tod eines Arbeiters, der hier nur verbal verhandelt wird. Vater Ross sieht diesen Tod aus der Perspektive der verzögerten Ölförderung, sein Sohn dagegen aus der Sicht des Verantwortung für schlechte Sicherheitsvorkehrungen. Die Diskussionen zwischen den beiden zeigen Ross sen. bald als rücksichtslosen „Macher“, seinen Sohn dagegen als das soziale Gewissen. Es wird aber auch klar, dass der Vater Stärke zeigt, während Bunny charakterlich eher schwach und unentschlossen ist.

Torsten Flassig und Wolfram Koch

Der große Streik der Ölarbeiter wird hier wieder zur medialen Metapher. Während alle Beteiligten außer Ross sen. mit Streikplakaten dicht gedrängt am Bühnenrand stehen, kommt Wolfram Koch als Schauspieler auf die Bühne geschlendert und behandelt die Gruppe als streikende Schauspieler. Er droht mit dem Engagement arbeitsloser Schauspieler und fordert seine Kollegen auf, diesen lächerlichen Streik abzubrechen, weil vor ihnen schließlich das Publikum darauf warte, dass es weitergehe. Auch hier wieder die Vermischung der Ebene des Spiels mit der Meta-Ebene der Aufführung. Ein Bühnenarbeiter scheitert mit dem Versuch, den eisernen Vorhang manuell zuzuziehen, und erntet damit eine ironische Bemerkung Kochs, und erst der religiöse Phantast Eli Watkins wird zum Streikbrecher, weil er die Chance sieht, die Menschen – das Publikum? – zu seinem fundamentalistisch-religiösen Weltbild zu bekehren. Die telefonische Ankündigung des ausbrechenden Ersten Weltkrieges beendet die Aufführung und lässt alle von dannen ziehen, Streikführer Paul Watkins vorneweg mit Uniformmantel und Gewehr.

Die in diesem „Ersten Teil“ nicht abgeschlossene Handlung des Romans weckt natürlich die Vorstellung einer Fortsetzung im Schauspiel Frankfurt. Darauf sollte man sich jedoch nicht verlassen, da diese fragmentarische Darstellung eher als ironische Anspielung auf Fernseh- und Netflix-Serien zu verstehen ist. gerade die Offenheit und Nicht-Fortsetzung ist dann das besondere Kennzeichen des Theaters. Vorhang zu und alle Fragen offen! Das Theater ist keine Serien-Fabrik, die den Drogencharakter von Serien zur Maximierung des Zuschauerzuspruchs nutzt, sondern verweigert sich der Erfüllung der Erwartungshaltung auf Fortsetzung.

Ensemble

Was bleibt, ist die Frage nach der Aussage dieses Stückes, zeitlos und aktuell. Der Klimawandel ist hier kein Thema, weil das Öl in keiner Szene und in keinem Dialog daraufhin abgeklopft wird. Die sozialen Verhältnisse in der Ölförderung könnten hier höchstens eine historische Rolle spielen, da in der heutigen Ölförderung die besten Gehälter gezahlt werden. Auch die Beziehung zwischen Vater und Sohn bietet keine tragfähige Basis, weil Ross sen. kein schlechter Vater ist und Bunny gerne als Erben sähe. Dieser ist auch kein feuriger Rebell, der im Ödipus-Sinne seinen Vater vernichten will, sondern ein zwar zweifelnder, aber letztlich loyaler Sohn. Auch die Familie Watkins bietet sich nicht als Vorkämpfer einer sozialen Revolution an, abgesehen von Ruth, die für ihre sozialen Anklagen eher aus dem Stück heraustritt auf die Meta-Ebene der Aufführung. Und Eli passt schon gar nicht in das Schema sozialer Empörung. So bleibt es bei der theatralischen Umsetzung des Romans, der selbst keiner moralischen Mission folgt, sondern die Entwicklung des Ölbooms in den USA mit seinen sozialen und politischen Begleiterscheinungen anhand historischer Vorbilder beschreibt. Und solche realen Vorbilder halten sich selten an die dramaturgischen Vorstellungen eines sozialkritischen Autors, sondern entwickeln ihre eigene Dynamik. Das Schauspiel Frankfurt hat sich für die Linie des Romans entschieden und verzichtet damit auf eine plakative Aussage. Die Stärke dieser Inszenierung liegt in der engen Verwebung der medialen Darstellungen des 20. Jahrhunderts.

Wolfram Koch und Torsten Flassig tragen das Stück über lange Strecken durch eine intensive Darstellung der Beziehung zwischen Vater und Sohn, Lotte Schubert als Ruth Watkins, Andreas Vögler als Eli Watkins und André Meyer als vierschrötiger Paul Watkins sorgen mit ihren divergierenden Charakteren für die dramaturgische Belebung des Stücks. Caroline Dietrich schwirrt als virtuelle „Roboter“-Person, eine Metapher des frühen Kinos, durch die Szenerie.

Frank Raudszus

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