Amélie Nothomb: „Blaubart“

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Eine neue Version des alten Märchens.

1405_blaubartSaturnine, eine junge Frau Anfang zwanzig, sucht eine eigene Unterkunft in Paris. Im Moment schläft sie noch auf der unbequemen Couch bei einer Freundin; das kann jedoch kein Dauerzustand sein. Als sie auf eine Zeitungsannonce stößt, die ein 40 qm großes Zimmer mit Bad und Mitbenutzung einer gut ausgestatteten Küche verspricht, ist ihr Interesse geweckt. Die Wohnung liegt in einem Stadtpalais in einem feinen Pariser Arondissment und soll nur 500 € Miete kosten. Saturnine rechnet sich angesichts der großen Wohnungnachfrage in Paris keine großen Chancen aus.

Bei der Besichtigung fällt auf, dass sich nur Frauen für die Wohnung beworben haben. Im Vorgespräch mit einer Mitbewerberin erfährt Saturnine schließlich, dass der Vermieter schon vorher an acht verschiedene Frauen vermietet hat, die alle auf mysteriöse Weise verschwunden sind. Saturnine ist zwar erstaunt, doch es erschreckt sie nicht. Als sie schließlich die Auserwählte ist, lässt sie sich auf das Abenteuer ein.

Don Elemirio, der Besitzer der Traumwohnung, ist ein kultivierter Mensch, erscheint Saturnie aber auch etwas abgedreht. Er ist Spanier und trägt typischen spanischen Stolz zur Schau. Er hebt die Vorzüge der Inquisition hervor, was Saturnine zu kritischen Gegenbemerkungen animiert, die er aber alle auf eine befremdliche Art zu widerlegen versteht.

Saturnine hat überhaupt keine Bedenken, dass sie sich jemals in diesen Menschen verlieben könnte. Im Gegenteil: sie liebt es, ihn zu provozieren, indem sie auf alle seine Auführungen ironisch reagiert. Was ihr jedoch schmeichelt, ist Elemirios phantastische Kochkunst und seine Liebe zum Champagner, der seine stilvollen Essen stets begleitet. Auch ist sie entzückt über ein besonders ausgefallenes Kleidungsstück, das der Hausherr extra für ihren Körper geschneidert hat. Etwas so Feines an Stoff hat sie noch nie auf dem Körper getragen. Bei aller Fremdheit handelt es sich bei Don Elemirio doch um einen äußerst feinsinnigen Menschen mit ganz besonderen Qualitäten.

Je spröder Saturnine auf Elemirios verbale Ausführungen reagiert, desto verliebter zeigt sich der Hausherr ihr gegenüber. Saturnine wagt es deshalb schließlich, Elemirios Geheimnisse anzusprechen, sei es die verbotene Tür, die keine Frau öffnen darf, oder das Geheimnis um die acht verschwundenen Frauen. Ob es ihr gelingt, die Wahrheit zu erfahren, ohne selbst Opfer zu werden, wollen wir an dieser Stelle nicht verraten.

Amélie Nothomb hat eine spannende Novelle über die uralte Blaubart-Legende geschrieben. Wie der Saturn die Sonne so umkreist die Protagonistin den Frauenmörder, nähert sich seiner Gedankenwelt vorsichtig von außen an, gewinnt sein Vertrauen und seine Liebe, bleibt selbst aber auf Distanz und lässt sich nicht vereinnahmen. So gewinnt sie Zugang zu seiner seltsamen Gedankenwelt, merkt aber auch, dass Elemirio/Blaubart seiner eigenen Welt verhaftet bleiben und Erlösung nur im Tod finden wird.

Der Roman „Blaubart“ ist im Diogenes-Verlag unter der ISBN 978-3-257-06894-8 erschienen, umfasst 143 Seiten und kostet 18,90 €.

Barbara Raudszus

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