Von k.u.k-Charme gerahmte Virtuosität

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Im 7. Sinfoniekonzert des Staatstheaters Darmstadt spielt Baiba Skride das Violinkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Für das vorletzte Konzert hatte man sich in Darmstadt nicht nur einen „Repertoire-Renner“ vorgenommen, sondern auch eine herausragende Solistin engagiert. Die lettische Geigerin Baiba Skride, mittlerweile kosmopolitisch in der ganzen Welt zu Hause, interpretierte Mendelssohns Violinkonzert e-Moll, op. 64, das seit über eineinhalb Jahrhunderten einen Spitzenplatz in der Violinliteratur einnimmt und vielleicht ähnlich bekannt und beliebt ist wie Mozarts „Kleine Nachtmusik“. Als Dirigent trat dieses Mal der Österreicher Ralf Weikert ans Pult, der sich auch schon seit einiger Zeit im Rentenalter befindet, sich aber offensichtlich nicht nur bester Gesundheit erfreut sondern auch hohe Präsenz zeigt.

Dirigent Ralf Weikert

Dirigent Ralf Weikert

Doch bevor es zu dem Soloauftritt kam, servierte Weikert zusammen mit Orchester des Staatstheaters die Symphonische Dichtung „Hunnenschlacht“ von Franz Liszt. Dieses im Jahr 1857 entstandene Werk glorifiziert die berühmte Schlacht auf den Katalaunischen Feldern bei Troyes, in der die Römer und ihre Verbündeten den Hunnenkönig Attila schlugen, aus christlicher Sicht. Franz Liszt sieht diese Schlacht nicht als Auseinandersetzung zwischen zwei politischen oder ethnischen Systemen, sondern als Entscheidungskampf zwischen Heiden und Christen, den die Christen – natürlich – mit einem überwältigenden Sieg (in C-Dur) beenden. Am Beginn sieht man in den schnellen musikalischen Bewegungen des Orchesters förmlich Attilas Reiterhorden über die Felder jagen, und das Orchester inszeniert einen heftigen Kampf mit allen instrumentalen Mitteln. Dann ertönt mitten im Kampfgetümmel ein einsamer Choral aus den Hörnern, den jedoch wieder die wilde Kampfmusik schluckt. Doch dann erklingt in einer kurzen Generalpause, die man für eine Kampfpause halten kann, der Choral erneut auf der Orgel und motiviert die christliche Heerschar zu neuem Widerstand. So geht es eine Zeitlang in wohldurchdachter Steigerung hin und her, bis schließlich erst die Blechbläser und dann das gesamte Orchester die choralartigen Motive übernehmen und die galoppierenden Reitermotive aus dem Klangkörper vertreiben. Das Ganze endet in einem strahlenden C-Dur-Akkord, der den endgültigen Sieg der Christen über die Heiden verkündet.

Man muss nicht unbedingt der historisch-weltanschaulichen Sicht des Komponisten folgen, um die Qualität dieser Musik zu erkennen. Liszt gelingt es mit dieser Programmmusik hervorragend, den erbitterten Kampf zweier konkurrierender Systeme musikalisch darzustellen, und Ralf Weikert holte aus dem Darmstädter Orchester das Beste an Dynamik und Intonation heraus, ohne dass diese Musik zum akustischen Klamauk geriet. Einen Vorteil kann man dieser martialischen Musik und  ihrer gekonnten Interpretation nicht abstreiten: das Publikum war danach hellwach und bereit für den nächsten Höhepunkt des Konzertprogramms.

Dieser bestand in Mendelssohns Violinkonzert, das gleich im zweiten Takt, entgegen der üblichen Regel einer längeren Orchestereinleitung, mit dem Solopart beginnt. Das Konzert zeichnet sich durch seine musikalische Eingängigkeit der Themen und die geniale Einheit von Orchester und Soloinstrument aus. Obwohl die Violine eine zentrale Rolle spielt und alle Register der Virtuosität zieht, wirkt das Orchester nie als bloße Begleitung, sondern gestaltet seinen Part als gleichberechtigter Partner. Dem Zuhörer bleiben reine Orchesterpartien ebenso im Gedächtnis wie die Solopassagen. Der erste Satz ist geprägt von weiten, über lange Strecken lyrisch gefärbten Melodiebögen und kräftigen Tutti-Passagen, die sich gegenseitig ergänzen, sowie der virtuosen Solo-Kadenz. Der kräftige Schlussakkord geht nahtlos über in einen ausgehaltenen Fagott-Ton, aus dem sich der langsame Satz (Andante) entwickelt, der vor allem durch seine Innigkeit besticht. Der Finalsatz entwickelt sich ebenfalls organisch aus dem Mittelsatz und findet nach meditativem Übergang zu einer unvergleichlichen Spritzigkeit und Frische. Baiba Skride interpretierte die drei so unterschiedlichen Sätze mit einer Leichtigkeit und Souveränität, die die technischen Anforderungen geradezu banal erscheinen ließen. Selbst die schnellsten Pizzicati und Läufe wirkten selbstverständlich und unangestrengt, dabei aber nie spannungs- oder ausdruckslos. Baiba Skride gestaltete bei aller Virtuosität jeden Satz auf ganz eigene Weise, vom introvertierten zweiten Satz über den variantenreichen Kopfsatz bis zum sprühenden Finalsatz. Das Orchester unter Ralf Weikert sekundierte ihr dabei mit hoher Präzision und Präsenz und ließ nie vergessen, dass zum Solokonzert auch ein Orchesterpart gehört.

Die Geigerin Baiba Skride

Die Geigerin Baiba Skride

Eine Zugabe gab es trotz begeisterten Beifalls nicht. Der folgte dann nach der Pause in Gestalt des einsätzigen Violinkonzerts „Wanderung einer kleinen Seele“ des tschechischen Komponisten Leoš Janáček. Zwischen Mendelssohns Konzert und diesem, im Jahr 1926 entstanden, liegen motivische und harmonische Welten. Die ausgebildeten Liedmotive der Romantik sind hier aufgelöst in kurze melodische Figuren, die sich außerdem in einem modernen, wenn auch nicht atonalen harmonischen Umfeld bewegen. Die einzelnen Instrumente wirken nicht mehr zum Zweck einer bestimmten musikalischen Wirkung zusammen, sondern stehen oft mit ihren Motiven nebeneinander. Nicht mehr die Harmonie des Gesamteindrucks steht im Vordergrund sondern die Ausdruckskraft der einzelnen musikalischen Figur und ihrer instrumentalen Intonation. Darüber legt die Violine eine zeitweise elegische bis entrückte Klangschicht, wobei Soloinstrument und Orchesterinstrumente bisweilen den Eindruck konkurrierender Klangkörper erwecken. Man sieht an dieser Komposition die Desillusionierung einer Generation, die bis zum ersten Weltkrieg noch die Vision eines harmonischen Ganzen pflegte, danach aber in ihrer Musik der Realität einer grausamen Epoche Rechnung trug. Dieses Pendant zu Mendelssohns Werk übte eine wesentlich stärkere Wirkung aus als jede normale Zugabe es hätte tun können, hatte aber zur Folge, dass der Schlussbeifall für Baiba Skride nicht mehr so begeistert ausfiel wie nach dem ersten Konzert, da Janáčeks Komposition ganz andere Emotionen freisetzte.

In gewisser Weise setzte sich das Programm logisch fort. Denn mit Zoltán Kodálys „Háry Janos Suite“ kamen wieder kriegerische Themen auf die Konzertbühne, wenn auch jetzt gemildert durch den Humor des Schwanks. Die Suite erzählt von den Kriegserzählungen des Háry Janos, die von dessen angeblichen Heldentaten im napoleonischen Krieg handeln. Entsprechend drastisch und parodistisch sind die einzelnen Sätze angelegt. Nach einem Vorspiel folgt ein „Wiener Glockenspiel“, das man als Ruf zu den Waffen interpretieren kann. Ausführlich wird das Glockenspiel durch alle Instrumentengruppen geführt und kommentiert, wobei Kodály alle Möglichkeiten des Orchesters mit ausgefallenen Instrumenten und vielen Blechbläsern einsetzt. Nach einem kurzen Lied beginnt die Schlacht gegen Napoleon, in der die Blechbläser und das für dieses Konzert deutlich erweiterte Schlagwerk zu Höchstform auflaufen. Hier kracht und scheppert es, wie man es sich auf einem Schlachtfeld vorstellt, allerdings mit den zivilen Mitteln der Orchestermusik, und das Blut fließt nur metaphorisch. Noch einmal folgt ein Intermezzo, das man zu Genüge aus dem Rundfunk kennt – gerne werden einzelne Sätze dieses Werks im Radio gespielt -, und dann ziehen die „Helden“ im letzten Satz in den Kaiserlichen Hof ein. Vieles erinnert in diesem Satz an fürstlich schreitende Barockmusik, aber stets dargeboten mit der Ironie des 20. Jahrhunderts gegenüber dem eitlen Ernst der barocken Ära. Auch hier spielen wieder die Blechbläser – sechs(!) Trompeten und vier(!) Posaunen – eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung des höfischen Pompes.

Ralf Weikert arbeitete diesen hintergründigen Humor mit hoher Präzision und einiger Schärfe heraus und ließ dabei vor allem Blechbläser und Paukisten zu Hochform auflaufen. Dabei achtete er jedoch auf eine straffe Interpretation und verhinderte damit, dass vor allem der letzte Satz in eine Kakophonie verschiedener Instrumente zerfiel. Das Publikum dankte es ihm durch kräftigen, lang anhaltenden Beifall.

Frank Raudszus

 

 

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