Philipp Blom: „Böse Philosophen“

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Eine Rehabilitation der radikalen Aufklärer des 18. Jahrhunderts.

1409_philosophenWer heute den Begriff „Aufklärung“ hört, denkt meist spontan an Voltaire, Rousseau und vielleicht auch noch an Kant und seine „selbstverschuldete Unmündigkeit“ des Menschen. Denis Diderot dagegen ist den meisten – auch philosophisch Interessierten – nur als Verfasser der berühmten „Enzyklopädie“ bekannt, also eher als intellektueller Wissenssammler und Buchhalter. So manch einer mag auch seine Romane und geistreichen Theaterstücke kennen, aber als einen philosophischen „Treiber“ der Aufklärung werden ihnwohl die wenigsten kennen (und schätzen).

Philipp Blom, der vor einigen Jahren in „Der taumelnde Kontinent“ die Dekade vor dem Ersten Weltkrieg heraufbeschwor, hat sich in dem vorliegenden Buch zum Ziel gesetzt, Diderot und seine – ebenfalls vergessenen – philosophischen Freunde und Aufklärer der ersten Stunde aus dem Dunkel des Vergessens ans Tageslicht zu ziehen und ihre Verdienste um die Aufklärung und die Befreiung des Menschen aus dem Joch des autoritären Absolutismus zu würdigen.

Diderot und Rousseau waren nicht nur nahezu gleichaltrige Zeitgenossen (geb. 1811 bzw. 1812), sie stammten auch beide aus kleinen Verhältnissen, lernten sich als junge Männer kennen und waren lange Zeit engste Freunde. Nicht zuletzt der auf Rousseaus Paranoia und Egomanie zurückzuführende Bruch der Freundschaft sowie Rousseaus entsprechende Denunziationen des ehemaligen Freundes in seinen „Bekenntnissen“ führten zu der nahezu zwei Jahrhunderte überdauernde Fehleinschätzung Diderots. Rousseaus begeisterte Adaption durch die Revolutionäre von 1789 sowie durch die späteren Romantiker festigten laut Blom diese Sicht auch bei späteren Generationen.

Die „Salons“ im Paris des Ancien Régimes zwischen 1740 und 1770 waren wichtige Orte für den mehr oder minder freien Austausch  gesellschaftlicher, politischer und philosophischer Meinungen und Theorien. Der absolutistische Staat unter Louis XIV bis Louis XVI sowie die katholische Kirche als Staatsreligion hatten ein engmaschiges Netz aus Regeln und verboten über das Volk gelegt, das jegliche Kritik an Staat(sform), Religion und Kirche mit schwersten Strafen bis hin zu Folter und grausamer Hinrichtung ahndete. So konnten sich konträre Meinungen nur im privaten Kreis bilden und standen auch dort stets unter dem Damoklesschwert des Verrats. Absolutes vertrauen zwischen den Diskutanten war daher überlebenswichtig.

In dem Salon des ebenso begüterten wie freisinnigen Baron d´Holbach, eines gebürtigen Pfälzers, traf sich wöchentlich eine Gruppe von Männern, die das politische System Frankreichs radikal in Frage stellte.Denis Diderot war einer der streitbarsten, eloquentesten und radikalsten unter ihnen. Alle kritisierten nicht nur die despotie von Staat und Kirche, sie lehnten darüber hinaus auch jede selbsternannte Macht von Menschen über Menschen sowie das Glaubenssystem der christlichen katholischen Kirche ab. Alle verband ein konsequenter Materialismus, der den Menschen als Produkt einer per se amoralischen Natur verstand. Ein auskömmliches und friedfertiges soziales Miteinander müsse und könne nur über die Vernunft erreicht werden. Ziel der Menschheit müsse sein, die eigenen Lustgefühle auszuleben, ohne anderen zu schaden.

Die radikalen Aufklärer verstanden sich als „freie“ und bewusste Genießer, was sich auch in den abendlichen Diners niederschlug und natürlich für die lustfeindliche Kirche eine Steilvorlage darstellte. Die Aufklärer beließen es jedoch nicht beim kulinarischen Diskutieren. Sie legten ihre Theorien und Angriffe auch in entsprechender Schriftform vor, entweder unter Pseudonym und im Ausland – so etwa d´Holbach – oder in subversiven Theaterstücken und Romanen wie Diderot, der den revolutionären Reden seiner Protagonisten jedoch stets die offizielle (und für Eingeweihte natürlich unglaubwürdige) Meinung als vermeintliche Kritik entgegenhielt. Auch die „Enzyklopädie“ war wesentlich revolutionärer, als noch heute viele vermuten. Die Entscheidung, sie mit „unschuldigem Augenaufschlag“ nach dem Alphabet zu ordnen, erlaubte Diderot, so konträre Begriffe wie „Hure“ und „Heiliger“ quasi gleichberechtigt nebeneinander aufzuführen. Außerdem konnte Diderot auf diese Weise alle radikalen und revolutionären Ansichten ausführlich darlegen, um sie natürlich anschließend mit dem Verweis auf die offizielle Linie als unhaltbar zu verwerfen. Doch wer zwischen den Zeilen lesen konnte und wollte, verstand die Botschaft.

Blom arbeitet auch deutlich die Gründe für den Bruch zwischen Diderot und Rousseau sowie die unterschiedliche Rezeptionsgeschichte heraus. Diderot vertrat eine streng materialistische Linie, die dem Menschen den Trost von göttlicher Gnade und Jenseits versagte und ihn der Einsamkeit von Eigenverantwortung und Vergänglichkeit überließ. Die Mehrheit der Menschen überforderte diese Weltsicht, was die Vertreter der Kirche natürlich ausnutzten. Rousseau dagegen verfolgte die ebenso schwammige wie sentimentale Theorie einer Rückkehr zur ursprünglichen, unverfälschten Natur des Menschen – konkretisiert im einfachen Landleben – und bediente damit die Sehnsüchte der einfachen und meist ungebildeten Menschen. Außerdem entwickelte Rousseau die Idee eines „weisen Herrschers“, der über das zu vernünftigen Entscheidungen unfähige Volk wachen solle. Mit der Forderung, uneinsichtige Bürger mit härtesten Strafen bis zur Hinrichtung (!) auf die Linie eines einfachen und natürlichen Lebens zu bringen, legte er den gedanklichen Grundstein für den Terror von 1793/94 sowie für die Terrorsysteme des 20. Jahrhunderts. Blom zeigt deutlich, das man Rousseaus bis heute vorherrschende Verharmlosung, wenn nicht gar Glorifizierung, geradezu als bittere Ironie der Geschichte betrachten muss.

Diderots Mitstreiter aus dem Salon des Barons d´Holbach sind heute weitgehend vergessen, und auch die Tatsache, dass Philosophen wie David Hume sowie andere ausländische Philosophen und aufgeklärte Literaten eng mit den Mitgliedern dieses Salons verbunden waren und ihren Idealen nahestanden – wenn auch mit graduellen Abweichungen -, ist bis heute nur einem kleinen Kreis bekannt. Es ist Philipp Bloms  Verdienst, die Verhältnisse wieder zurechtgerückt, bewunderte Philosophen wie Rousseau oder auch Voltaire als „Taktiker“ entlarvt und den verkannten Aufklärern der ersten Stunde wieder einen Platz in der Geistesgeschichte verschafft zu haben – falls denn dieses Buch genügend gründliche Leser findet.

Das Buch „Böse Philosophen“ ist im Deutschen Taschenbuchverlag (dtv)
unter der ISBN 978-3-423-34755-6 erschienen, umfasst 400 Seiten und kostet 12,90 €.

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