Märchenhafte Allegorie mit komplexen Klängen

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Das Staatstheater Darmstadt inszeniert Leoš Janáceks Oper „Das schlaue Füchslein“.

Janáceks wichtigste Opern – „Katja Kabanova„, „Das schlaue Füchslein“, „Die Sache Makropoulis“ und „Aus einem Totenhaus“ – entstanden fast durchweg in seinen letzten zehn Lebensjahren zwischen 1919 und 1928 und spiegeln in gewisser Weise die historischen Ereignisse des frühen 20. Jahrhunderts. Dabei behandeln alle genannten Opern die Themen „Leben – Altern – Tod“ und beziehen diese explizit oder implizit auf die jeweils herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Elisabeth Hornung, David Pichlmaier, Chor des Staatstheaters

Elisabeth Hornung, David Pichlmaier, Chor des Staatstheaters

Im „schlauen Füchslein“ stellt Janácek zwei archetypische Gesellschaftssysteme einander gegenüber. Das Tierreich – hier weitgehend von den Füchsen repräsentiert – zeichnet sich durch eine ausgeprägte Gegenwartsorientierung aus. Man nimmt sich das, was man braucht, und schließt daraus auch auf das Recht an diesen Dingen. Vergangenheit und Zukunft spielen keine Rolle. Erstere ist nicht mehr relevant, und letztere ist Sache der nächsten Generation. Durch jeglichen Verzicht auf Planung oder klagende Rückschau ist auch der unverfälschte – naive aber legitime! -Genuss der Gegenwart möglich. Den unter Umständen gewaltsamen Tod nimmt man als ein unabänderliches Schicksal hin. Janácek veranschaulicht diese Weltsicht am Beispiel der Füchsin, die sich erfolgreich gegen die Zähmung durch den Menschen wehrt und ihr eigenes freies Leben mit allen Risiken führt.

Dieser Welt stellt Janácek das System des Menschen gegenüber, das durch detaillierte Planung der Zukunft und – lamentierende oder schwadronierende – Rückschau in die Vergangenheit sowie durch den Drang der Naturbeherrschung geprägt ist. Doch die Unfähigkeit, die Welt zu verstehen und zu formen, macht die Menschen unglücklich und letztlich zu Schuldigen. Andererseits zeichnet den Menschen bei aller Zerrissenheit die Fähigkeit aus, nach Niederlagen und Katastrophen wieder von vorne anzufangen wie der den Stein hoch rollende Sisyphos.

Simone Rabea Döring, Mitglied des Kinderchors

Simone Rabea Döring, Mitglied des Kinderchors

Die Handlung trägt unübersehbar allegorische Züge, und der Zuschauer tut gut daran, keine realistische Geschichte zu erwarten – sowohl vom Libretto als auch von der Inszenierung. Der Förster (David Pichlmaier) fängt die junge Füchsin (Jana Baumeister) im Wald ein und versucht sie abzurichten. Sie wehrt sich jedoch dagegen, beißt die zudringlichen Kinder des Försters und versucht, die dummen Hühner gegen den eitlen Hahn und den ausbeuterischen Förster aufzuwiegeln. Schließlich gelingt es ihr, den Förster auszutricksen und sich zu befreien, nicht, ohne vorher noch Hahn und Hennen umzubringen. In der Freiheit des Waldes lernt sie einen schönen Fuchs kennen, heiratet ihn und bekommt viele Kinder mit ihm. Parallel dazu sieht man die Menschen im Wirtshaus über vergangene Lieben und Möglichkeiten klagen. Der Pfarrer (Vadim Kravets) trauert immer noch einer jungen Frau nach, der Schulmeister (Michael Pegher) ist unglücklich in eine andere verliebt, die schließlich ausgerechnet zu dem Wilderer in den Wald zieht, und der Förster trinkt sich seinen Ärger mit der Welt im allgemeinen und der Füchsin im speziellen, die ihm immer wieder entwischt, vom Herzen. Naturgemäß steht es dann mit dem Haussegen nicht zum Besten. Alle Vertreter der menschlichen Gesellschaft scheinen ausgelaugt und unglücklich, fühlen sich ungerecht behandelt und hoffen auf eine nebulöse Zukunft – oder fürchten sie gar. Dass die Füchsin schließlich ausgerechnet vom Wilderer erschossen wird, lässt sich als beißende Ironie verstehen, denn der Wilderer ist selbst eher ein in der Gegenwart lebender, dem unmittelbaren Genuss zugeneigter Mensch und ähnelt damit weniger seinen planenden Artgenossen als vielmehr den Tieren. Die Dialektik der Situation liegt darin, dass auch er sich nimmt, was er braucht – nämlich das Wild -, und dafür im Ärger auch den Fuchs erschießt. Wie so oft bekriegen sich hier zwei Ausgebeutete (oder Ausgebootete) gegenseitig, anstatt gegen den gemeinsamen Gegner vorzugehen. Denn der Förster betrachtet den Wilderer als ähnlichen Schadensstifter wie den Fuchs.

Wenn die Füchsin am Ende tot ist, bedeutet das nicht eine existenzielle Niederlage, wie es die menschliche Logik auffassen würde, sondern den natürlichen Lauf der Dinge. Sie lebt weiter in ihren vielen Kindern, womit der Fortgang des Lebens gesichert ist. Der Mensch – hier der Förster – muss sich jedoch den Ereignissen ständig stellen und seine Schlüsse daraus ziehen. Der Förster sieht in den Ereignissen um die Füchsin und den Wilderer den Schatten der Vergänglichkeit und beklagt das nahende Alter. Doch neben dieser Klage klingt auch eine Erkenntnis darüber an, dass die Vergänglichkeit nur für das Individuum, nicht aber für das Leben selbst gilt.

Chor des Staatstheaters Darmstadt

Chor des Staatstheaters Darmstadt

Regisseur Dirk Schmeding hat dieses naturphilosophische Musikdrama zu einem allegorischen Märchen umgeformt. Die Tierwelt stellt eine Art „alter ego“ der Menschenwelt oder die unerreichbare Utopie des Menschen dar. Als „zweite“, versteckte Natur des Menschen kann man sie dann auch szenisch in die Alltagswelt des Menschen integrieren. Die Tiere – vornehmlich die Füchse – schwirren auch dann um die Menschen herum, wenn diese sie gar nicht wahrnehmen, zumindest nicht in ihrer Individualität. Sie sind dann nur Metaphern für verdrängte Wünsche und Sehnsüchte. Für die Verzahnung der beiden Welten hat sich Bühnenbildnerin Martina Segna einen originellen Gag ausgedacht: sie lässt die Welt zu Beginn aus der Perspektive eines Fuchsbaus erscheinen, in der das Füchslein mit seiner Mutter lebt. Ein überdimensionierter Ring aus ineinander geflochtenen Ästen beherrscht die Bühne, und in der Öffnung läuft ein Video über das „Leben draußen“, das sich erst durch Pflanzen und dann durch die übergroßen Beine des Försters zeigt. Im Gegensatz zu der Gefahr heraufbeschwörenden „Förster-Welt“  herrscht im Fuchsbau Frieden und Geborgenheit. Diese bildliche Metapher der Geborgenheit im Fuchsbau kehrt später wieder. Erst als Zeichen dafür, dass es der Füchsin nach ihrer Selbstbefreiung wesentlich besser geht, und zum Schluss, wenn der Förster in dieser Umgebung so etwas wie Geborgenheit sucht, die er in seiner Welt nicht finden kann. Dazwischen wird die Menschenwelt in Form rechteckig gestalteter Häuser und Wohnungen gezeigt, wobei der unfertige Charakter der Häuser darauf schließen lässt, dass der Mensch seine Welt nie wird fertigstellen können und zu einem Leben im Provisorium verdammt ist. Die leeren Latten und Roste des halbfertigen Hauses erinnern – auch metaphorisch – auf den Turmbau zu Babel.

Jana Baumeister, Vadim Kravets

Jana Baumeister, Vadim Kravets

Frank Lichtenberg hat zu diesem Bühnenbild bodenständige bis fantastische Kostüme geschaffen. Die Menschen tragen dabei die übliche Berufskleidung – Förster Grün, Pfarrer Schwarz und Schulmeister Pollunder -, während die Tiere in geradezu märchenhafter Verkleidung erscheinen. Doch das ergibt sich aus der Tatsache, dass hier Menschen Tiere darstellen müssen. Der Dackel (Amira Elmadfa) trägt lange Schlappohren, der Dachs (Vadim Kravets) einen dicken Bauch mit bekrallten Pfoten, die Mücke (Michael Pegher) schwebt mit langen Tentakeln durch den Raum, und die Hennen sind nicht nur als solche zu erkennen, sondern sie sitzen auch wie Legehennen auf der Stangen und gackern miteinander und umeinander herum. Der Hahn (Katja Stuber) ist ein wahres Prachtexemplar des Stolzes und der Eitelkeit und präsentiert – solange er lebt – seine bunten Schwanzfedern. Die Füchse tragen alle ein Fuchsfell über der Schulter und wedeln ständig mit einem langen Fuchsschwanz. Die Regie hat sich hier um eine starke allegorische Wirkung bemüht, die das Tiersein in seiner jeweiligen Ausprägung verdeutlicht, ohne dabei ein naturgetreues Abbild vortäuschen zu wollen. Stets bleibt erkennbar, dass hier Menschen Tiere metaphorisch darstellen, denn jegliche Kostümierung darüber hinaus würde sich der Lächerlichkeit aussetzen. Die detailreiche und fantasievolle Kostümierung bringt eine märchenhafte Atmosphäre in diese Inszenierung und bestärkt damit den allegorischen Charakter. Man gibt sich diesem Gesamteindruck gerne hin und lässt sich in diese Zwischenwelt förmlich einsaugen.

Janaceks Musik setzt die Handlung klanglich kongenial um. Die Musik besticht durch ihre vielfältigen und ausdrucksstarken Klangfarben. Jede Szene und fast jede Figur wird durch bestimmte Instrumente oder musikalische Figuren abgebildet, und das bunte Geschehen auf der Bühne spiegelt sich nahezu deckungsgleich in der Musik. Streckenweise erinnert die Musik an Programmmusik, wie man sie zum Beispiel von Smetana („Die Moldau“) oder vor allem vom Film kennt, wirkt dabei jedoch nie platt, da sie nicht dem schnellen Wiedererkennungseffekt frönt sondern die Figuren detailliert ausmalt. Man könnte diese Oper auch konzertant aufführen und daraus schon fast die Handlung ableiten. Trotz der abwechslungsreichen und temperamentvollen Handlung gerät die Musik nie ins Hintertreffen, weil sie dafür viel zu akzentuiert und eigenwillig ist.

Jana Baumeister, Chor des Staatstheaters Darmstadt

Jana Baumeister, Chor des Staatstheaters Darmstadt

Das Ensemble ist in dieser Inszenierung fast vollständig vertreten. Neben dem obligatorischen Chor des Staatstheaters, der hier in vielfältiger (Tier-)Gestalt auftritt, ist noch der Kinderchor mit verschiedenen Rollen – Fuchskinder, Försterkinder, Tiere – aktiv. Beide Chöre haben in dieser Inszenierung sowohl gesanglich als auch szenisch besonderen Anteil. David Pichlmaier glänzt in der Rolle des Försters mit sicherem schauspielerischem Gespür für die jeweilige Situation und ausgeprochen präsenter Stimme, wobei vor allem sein Schlussmonolog hervorzuheben ist. Vadim Kravets als Pfarrer, Michael Pegher als Schulmeister und vor allem Thomas Mehnert als lautstarker Wilderer Haraschta bilden einen profilstarken Kreis der Gesellschaft um den Förster herum und sind auch stimmliche Eckpfeiler. Bei den Tieren überzeugt Jana Baumeister mit temperamentvollen Spiel sowie einer sicheren und variablen Stimme als die titelgebende Füchsin, und Katrin Gerstenberger bildet dazu als Fuchs den gleichwertigen Gegenpart. Die Duettszenen zwischen diesen beiden gehören zu den intensivsten dieser Inszenierung. Es würde angesichts des großen Umfangs des Ensembles zu weit führen, jede einzelne Rolle zu bewerten, daher sei hier nur gesagt, dass das gesamte Ensemble zu der beeindruckenden Wirkung dieser Inszenierung beiträgt.

Das gilt natürlich im Besonderen auch für das Orchester, das einen ausgesprochen schwierigen Part zu spielen hat. Janáceks Partitur gilt als äußerst kompliziert und wandelt nicht selten abseits üblicher harmonischer Pfade. Dazu ist ständig eine äußerst vielfältige und sich schnell ändernde Klangfarbe verlangt, da Janácek die allegorischen Welten und Szenen klanglich nachbildet. Das Orchester meisterte diese Aufgabe unter der Leitung des GMF Will Humburg mit großer Souveränität und unüberhörbarer Spielfreude und brachte dem Publikum dadurch die nicht immer eingängige Tonalität des tschechischen Komponisten nahe.

Das Publikum spendete dem gesamten Ensemble lang anhaltenden, kräftigen Beifall. Auch „Bravo“-Rufe waren zu vernehmen.

Frank Raudszus

Alle Fotos  © Michael Hudler

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