Ernst-Wilhelm Händler: „Das Geld spricht“

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Kriminalromane werden vorwiegend entweder aus der Perspektive des „allwissenden“ Autors oder aus der subjektiven Perspektive eines Detektivs oder eines Opfers erzählt. Nur wenige Autoren haben es gewagt, den Täter selbst als Ich-Erzähler in den Vordergrund zu stellen, wohl aus ethischen Gründen und damit letztlich wegen der Akzeptanz beim Publikum. Der Autor des vorliegenden Buches entwickelt zwar keinen Krimi mit unschönen Leichen und finsteren Mördern, aber auch er stellt in gewissem Sinne den eigentlichen „Täter“ in den Mittelpunkt: hier das Geld.

In dem Roman geht es um eine halbe Milliarde Dollar, die ein Firmengründer bei seinem Börsengang eingesammelt hat. Er möchte das Geld bis zur weiteren Verwendung gut anlegen und wendet sich deshalb ausgerechnet an den Banker, der ihm einst bei der Gründung der Firma den Kredit verweigert hatte. Dieser wiederum legt das Geld nicht persönlich an sondern lässt drei Hedgefonds-Manager um diesen Brocken konkurrieren.

Das allwissende Geld kennt alle Beteiligten und schildert die Vorgänge aus einer – nahezu! – emotionslosen Perspektive. Wir schreiben hier bewusst „nahezu“, da das Geld im Laufe seines mehrtausendjährigen Lebens die Emotionen der Menschen vor allem ihm gegenüber aus nächster Nähe kennengelernt und sich dabei in gewisser Weise angesteckt hat. So ist sich das Geld seiner Macht durchaus bewusst und hat daraus eine gewisse Eitelkeit entwickelt, derer es sich zwar bewusst ist, die es aber dennoch nie ganz ablegen kann. In gewisser Weise bewegt es sich in einer zirkulären Logik, da es sich sowohl über seine Funktion als auch über seinen selbstreferentiellen Charakter im Klaren ist. Die Monologe des Geldes bewegen sich daher permanent am Rande eines endlosen Strudels rekursiver Gedanken, dem man (das Geld) nur durch abrupten Abbruch der Gedankenströme entgehen kann.

Als abstraktes Wesen kennt das Geld die mit ihm und um es kämpfenden Menschen nicht als Individuen mit Namen und Gefühlen, sondern nur als Träger von Funktionen und Merkmalen. Der Firmengründer heißt nur „Gründer“, der Banker nur „Banker“ und die drei Hedgefonds-Manager „Nano-Mann“, „schwerer Mann“ und „Banana Clip“, wobei letztere(r) der Spitzname einer Frau ist. Der Nano-Mann gehört zur Spezies des Hochfrequenzhandels, nur dass er nicht handelt, sondern aus eben dem Handel kürzestfristige Trends ermittelt und an Geldinstitute verkauft. Der „schwere Mann“ hat als Jugendlicher HiFi-Anlagen zusammengebaut und ist dann im Geldgeschäft gelandet. Er lehnt ausgeklügelte Theorien ab und vertraut seinem Instinkt und Bauchgefühl. Man könnte ihn fast als ein „Geldtier“ mit ausgeprägtem Sinn für finanzielle Chancen bezeichnen. Banana Clip wiederum stellt den unberechenbaren Typus dar, der stets das Gegenteil des (von ihr) Erwarteten tut und damit nicht nur die Umwelt, sondern sogar sich selbst überrascht. Das Sprunghafte ist ihr Geschäftsmodell und macht es ihren Konkurrenten fast unmöglich, ihr Verhalten vorherzusagen.

Der Autor des Buches hat mit diesen drei Hedgefonds-Managern offensichtlich Archetypen des avancierten Finanzmarktes geschaffen, Typen, die kein Wort zu viel sagen und hauptsächlich beobachten. Man muss sie sich – frei nach Camus – als glückliche Pokerspieler vorstellen.

Natürlich geht es dem Autor nicht um eine spannende Geschichte aus dem Finanzmilieu. Zwar gibt es bei dem Banker eine Freundin, die ihn – vielleicht? – gerade verlassen hat oder will, sie ist für das Geld jedoch nur insofern interessant, als sie den Banker von seinen Aufgaben ablenken könnte. Das Geld als sekundärer Autor betrachtet das Verhältnis daher eher mit klinischem als mit emotionalem Interesse. Ähnliches gilt für den Bruder des Nano-Mannes, der das technische Herz der Firma war und plötzlich verschwunden ist. Auszeit oder endgültiger Abgang? Auch das ist für die Geschichte nur insofern wichtig, als der Nano-Mann geschäftlich von einem Augenblick auf den anderen amputiert ist und damit in professionellem Stil umgehen muss. Die in einem normalen Roman übliche Vermisstenanzeige oder Einschaltung eines Detektivs entfällt hier zugunsten einer entsprechenden Ersatzmaßnahme.

Dem Buchautor geht es in erster Linie um die Mechanismen des globalen Finanzwesens, speziell die Hedgefonds, die nur durch wenige staatliche Regularien eingeengt sind. Deshalb lassen sich die Strukturen an diesen Fonds besonders gut darstellen. Ein Hauptsatz des Geldwesens ist laut Händler und in den Worten des Geldes dessen Widerspruchsfreiheit. Demnach lässt sich alles konsistent auf das Geld zurückführen. Der Volksmund drückt diese Widerspruchsfreiheit durch den Spruch „alles hat seinen Preis“ aus. In einer anderen Passage lässt Händler den Banker seine Abneigung gegen das Wort „Kreativität“ äußern. Vordergründig meint er damit die Selbstbeweihräucherung der Werbebranche, die sich selbst dieses Markenzeichen umhängt und allen anderen verweigert, doch im Grunde genommen ist es das Unverständnis des durch und durch rationalen Geldes gegen das Irrationale der Kreativität.

Ein besonderer Gag gelingt dem Autor mit einem (inneren) Dialog zwischen dem Gründer und dem Geld, den ersterer im Stil eines beharrlichen aber abgewiesenen Liebhabers führt und den ausgerechnet das Geld mit dem Seufzer „O Gott“ beendet. Wen ruft das Geld da wohl an?

Eine grundlegende – wenn auch diskussionswürdige – Erkenntnis zum Wesen des Geldes legt der Autor dem Nano-Mann in den Mund, wenn dieser im Rahmen eines Vortrages den rekursiven Satz von sich gibt, dass die Begriffe des Geldwesens gerade die Fakten schaffen, die sie erklären sollen. Das klingt ein wenig wie „self fulfilling prophecy“, wobei diese aber meist in einem linearen Zeitrahmen auftritt, während die rekursive Selbsterschaffung der zu erklärenden Fakten sozusagen statisch in einem zeitlosen Umfeld vor sich geht. In der Geschichte der Menschheit hat das Geld grundlegende Strukturen geschaffen, die sich nicht mehr von ihrer Begrifflichkeit trennen lassen.

Im Rahmen einer fast schon paradoxen Typologie der Finanzakteure – Investmentbanker, Trader, etc. – kristallisiert sich eine Erkenntnis heraus, die man im naturwissenschaftlichen Umfeld als das Problem der Freiheitsgrade bezeichnet. Ab einer bestimmten Zahl von Freiheitsgraden wird ein System unberechenbar, und das Finanzwesen hat letztlich so viele Freiheitsgrade wie Akteure, kann also per definitionem nicht mehr prognostisch eingeengt werden.

Diese Erkenntnisse kommen jedoch in diesem Buch nicht als Lehrsätze daher, sondern als kurze Kommentare verschiedener Akteure, vorzugsweise des Geldes, und gerne in elliptischer Gestalt. Der Leser ist gefordert, hinter diese verkürzten Sätze zu schauen und ihrer Bedeutung auf den Grund zu gehen. Das gelingt nur in eingeschränktem Maße, eben weil sich das Finanzwesen aufgrund der Freiheitsgrade nicht in einen festen theoretischen Rahmen pressen lässt. Die Öknomen glauben das zwar, werden aber von den wichtigsten Akteuren des Finanzmarktes gerade deshalb nicht ernst genommen, wie der Autor es einmal von seinem Ich-Erzähler – dem Geld – lakonisch aussprechen lässt.

Dieses Buch ist vor allem – aber nicht nur – für Akteure des Finanzmarktes von Interesse und dürfte von diesen auch heftig diskutiert werden – wenn sie es denn lesen. Es ist im Verlag S.Fischer erschienen, umfasst 398 Seiten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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