Das Staatstheater Wiesbaden präsentiert in Darmstadt Shalespeares „Othello“

Print Friendly, PDF & Email

Moderne Tragikomödie über den ewigen Außenseiter  

Das Staatstheater Wiesbaden präsentiert in  Darmstadt Shalespeares „Othello“

Sybille Weiser (Desdemona) und Michael Günther Bard (Othello)Der erfolgreiche Film „Shakespeare in Love“ hat einem breiten Publikum den eigentlichen Charakter des Dramatikers Shakespeare und seiner Stücke nähergebracht. Shakespeare hat dem Volk im wahrsten Sinne des Wortes „aufs Maul geschaut“ und die damalige Umgangssprache auf die Bühne gebracht. Seine Stücke erschienen im „Globe“-Theater, das in erster Linie der Unterhaltung des einfachen Volkes diente. Die billigsten Plätze befanden sich – ausgerechnet – im Parterre nahe der Bühne, boten jedoch keine Sitzgelegenheiten. Requisiten waren Mangelware, und die Stücke spielten sich, wie in dem besagten Film gut zu sehen, meist ohne Bühnenbild in unmittelbarer Nähe der Zuschauer ab. Die deutschen Übersetzer Schlegel und Tieck haben sich zwar das Verdienst erworben, Shakespeares Werke dem deutschen Publikum nahezubringen, sie haben ihn aber gleichzeitig aus den „Niederungen“ des Volkstheaters in die elysischen Felder der Weimarer Klassik entführt, von wo uns heute seine Helden als entrückte Idealgestalten oder übermenschliche Bösewichter grüßen.

Michael Günther Bard (Othello) und Michael von Burg (Cassio)Schon das Staatstheater Darmstadt hatte „Romeo und Julia“ 2008 in der Inszenierung von Jens Poth nicht nur in ein zeitgenössisches sondern vor allem bodenständiges Ambiente zurückgeholt – und damit natürlich Diskussionen ausgelöst. Schließlich hat Shakespeare mittlerweile Kultcharakter und gilt als Hort höherer Bildung, zu der Kraftausdrücke und deftige Szenen aller Art nicht zu passen scheinen. Manfred Beilharz ist diesen Weg jetzt mit dem Schauspiel des Staatstheaters Wiesbaden konsequent weitergegangen. Dazu hat er sich auf eine neue Übersetzung von Frank Günther abgestützt, die den Duktus von Shakespeares dramatischen Versen mit der heutigen Umgangssprache verbindet. Die eigenartige Mischung aus den wohlbekannten Blankversen und so abgedroschenen wie saloppen Alltagswendungen erzeugt dabei einen unmittelbaren Realitätsbezug, der Shakespeares Sprache weniger schadet als sie vielmehr schärft. Da kann sich Roderig durchaus von Jago „verarscht“ fühlen oder jener seinen Dienstherren Othello wahlweise als „Nigger“ oder „Schoko“ bezeichnen.

Das gesamte Vokabular heutiger Ausgrenzung und Diskriminierung verdichtet sich vor allem in den intriganten Reden von Jago. Er ist das Abbild des modernen Demagogen, der die Macht der Sprache und der Rede erkannt hat, fast schon ein Vorläufer des größten deutschen Demagogen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Anpassung an die heutige Sprache lässt diesen Jago von einer abstrakten Negativfigur des klassischen Bildungstheaters zu einem skrupellosen Karrieristen unserer Tage mutieren und damit das Publikum unmittelbar an die eigene Wirklichkeit erinnern.

Das Bühnenbild folgt dem Konzept des historischen „Globe“-Theaters. Wichtig sind nur die handelnden Personen und ihre Texte, das Bühnenbild besteht im Grunde genommen nur in einer Begrenzung der Spielfläche. Bernd Holzapfel hat dazu mehrere schwarze Stellwände auf die Bühne gestellt, die von kalten Neonröhren eingerahmt sind. Die querstehende Fläche lässt sich in die Tiefe des Raums verschieben, um statt eines Innen- einen Außenraum zu simulieren. Renate Schmitzer hat die Protagonisten dazu in moderne Kleidung gesteckt, die bei den Männern aus Militärkhaki besteht. Nur der Doge und Brabantio treten in ornamentierten Gewändern auf, die man der venezianischen Zeit zuordnen könnte. Der Grund für diese Trennung der Kostümebenen erschließt sich dem Besucher nicht ganz, die Wirkung der Inszenierung leidet darunter jedoch nicht.

Michael Birnbaum (Jago) und Michael von Burg (Cassio)Die Handlung des Stücks ist weitgehend bekannt und soll hier nur stichwortartig wiedergegeben werden. Othello befördert Cassio anstatt Jago zu seinem persönlichen Leutnant und weckt dadurch Jagos Neid, Hass und Rachegelüste. Seine Ehe mit Desdemona trifft auf den heftigsten Widerstand von deren Vater, der seine Tochter keinem Schwarzen zur Frau geben will. Die Rassendiskriminierung ist offensichtlich keine Erfindung der Neuzeit. Jago setzt den in Desdemona verliebten Roderigo gezielt auf Cassio an, um diesen bei Othello anzuschwärzen. Nach Cassios Degradierung empfiehlt er diesem, sich bei Desdemona um seine Rehabilitierung einzusetzen, was er Othello wiederum als Zeichen einer engeren Bindung der beiden nahelegt. Mit viel psychologischem Scharfsinn träufelt Jago das Gift der Eifersucht in Othellos Kopf und besorgt über seine ungeliebte Frau Emilia noch ein vermeintliches Beweisstück, ein Taschentuch, das Othello Desdemona als Liebesbeweis geschenkt hatte. Dieser Beweis überzeugt Othello endgültig, und er erwürgt Desdemona im Ehebett.

Manfred Beilharzs Inszenierung endet mit der Totenklage Othellos an Desdemonas Leiche, nachdem Emilia ihm die wahre Geschichte des Taschentuchs gebeichtet hat. Der Selbstmord Othellos und die Entlarvung Jagos sind entfallen, da sie nur noch ein Zugeständnis an das Gerechtigkeitsgefühl des Publikums sind, auf die wesentlichen Elemente der Handlung jedoch keinen Einfluss mehr ausüben.

Shakespeare ging es bei diesem Stück offensichtlich um die prekäre Rolle des Andersartigen, der sich nie als Teil der Gesellschaft fühlt. Nur solange seine Fähigkeiten zum Überleben der Gemeinschaft benötigt werden, wird er – notgedrungen – akzeptiert; wenn „der Mohr jedoch seine Schuldigkeit getan hat“, darf oder muss er gehen. Diesen berühmten Spruch hat Frank Günther übrigens aus seiner Übersetzung gestrichen, wahrscheinlich, weil er mittlerweile zu abgedroschen ist und für allzu viele Alltagssituationen als Kommentar herhalten muss. Die Reaktionen der herrschenden Schicht, hier repräsentiert durch Desdemonas Vater Brabantion, zeigen deren rassistische Grundhaltung deutlich. Der Doge tritt zwar entschieden für Othello ein, doch ist dies wohl weniger auf humanistische Ideale als auf nüchternes politisches Kalkül zurückzuführen. Jago selbst kreiiert die abfällige Bezeichnung „Schoko“ für Othello und sät damit in seiner Umgebung die Abneigung gegen die Hautfarbe seines Generals.

Othello ist sich seiner heiklen Stellung durchaus bewusst und befürchtet unterbewusst stets das jähe Ende seines Glücks. Seine Eifersucht beruht vor allem auf der tief sitzenden Überzeugung – durch Erfahrung gehärtet -, dass die Liebe einer weißen Frau zu ihm letztlich auf Berechnung beruht und jederzeit in Abneigung umschlagen kann. Er sucht geradezu nach einer handfesten Bestätigung seiner inneren Ängste und Komplexe, da ein stabiles Unglück auf die Dauer besser zu ertragen ist als ein labiles Glück. Trotz andersartiger Äußerungen nimmt er Jagos perfide Andeutungen geradezu gierig auf, da sie seine Ängste bestätigen. Jago kennt die psychische Verfassung des „Mohren“ ganz genau und kann sich daher auf Andeutungen beschränken. Wie jeder gute Intrigant setzt er diesen Verdächtigungen eine ganze Reihe von Einschränkungen voran, macht sie aber gerade dadurch noch gefährlicher. Die moralische Relativierung der selbst geschaffenen Indizien gegen Desdemona (und Cassio) dient nicht nur seiner persönlichen Reinwaschung sondern vor allem der Verstärkung. Die Andeutungen eines offensichtlich integren und mit Skrupeln kämpfenden Menschen üben eine wesentlich größere Sprengkraft aus als die eines notorischen Intriganten.

In Manfred Beilharzs Inszenierung kommt deutlich zum Ausdruck, dass die gesamte Umgebung des Intriganten von dessen eigentlichem Wesen nichts bemerkt. Das liegt daran, dass er konsequent jedem Gesprächspartner Sand in die Augen streut und sich scheinbar nur um dessen Wohl sorgt. Roderigo möchte er zur Gunst Desdemonas verhelfen und nimmt ihm dabei noch sein ganzes Vermögen ab. Cassio dient er sich als bester Freund an, der nur um dessen Rehabilitierung bemüht ist – nachdem er ihn selbst ins Unglück gestürzt hat. Brabantio gegenüber zeigt er sich als Hüter dessen väterlicher und bürgerlicher Ehre, und Othello warnt er freundschaftlich vor den erotischen Aktivitäten vermeintlicher Freunde. Jeder fühlt sich von Jago beschützt und gewarnt, und selbst Jagos eigener Ehefrau gehen erst zum Schluss die Augen auf. Jago ist der perfekte Intrigant, der weder moralische Skrupel noch Freundschaften kennt, diese aber je nach Bedarf gekonnt vorspielen kann. Diese Fähigkeit ist wahrhaftig weder auf die venezianische Zeit noch auf die Epoche von Shakespeare beschränkt.

Die Darsteller interpretieren diese neue Übersetzung des „Eifersuchts-Klassikers“ mit viel Sprachgefühl. Allen voran ist Michael Birnbaum zu nennen, der als Jago nicht nur den größten Textanteil sondern auch die breiteste Palette an Ausdrucksvarianten zu bewältigen hat. Diese Rolle erfordert blitzschnelles Umschalten von Angriff auf Verteidigung, von der drohenden Andeutung zur schnellen Beschwichtigung. Michael Birnbaums Leistung besteht darin, nie den Intriganten nach außen zu kehren, sondern ihn in den besorgten, fast staatsmännischen Worten zu verstecken. Sein Jago lässt die Sehnsüchte und Ängste der anderen für seine Ziele arbeiten. Bei Bedarf kann er jedoch blitzartig ins Gemeine, Gewalttätige wechseln.
Michael Günter Bard besetzt mit dem Othello zwar eine ausgesprochen präsente Rolle – schließlich ist es die Titelfigur -, hat in dieser jedoch nicht die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten wie Birnbaum als Jago. Othello befindet sich im Grunde genommen stets in der Defensive und reagiert. Der große General ist er nur in den Berichten seiner Untergebenen, aber nicht in seinen persönlichen Angelegenheiten. Bard spielt jedoch den unaufhaltsamen Abstieg vom lebensprallen Erfolgsmenschen zum verzweifelten, von Eifersucht und Minderwertigkeitskomplexen geschüttelten „Mohren“ überzeugend. Auch in seiner persönlichen Niederlage strahlt dieser Othello noch so etwas wie Größe aus, wenn auch eine tragische.
Sybille Weiser spielt die Desdemona nicht als jenseitiges Ideal der schönen, treuen Frau sondern als junge Frau aus gutem Haus, die sich anfangs durchaus in der Berühmtheit ihres Mannes sonnt und einige Allüren an den Tag legt. An der von ihr nie durchschauten Intrige zerbricht sie dann aber und folgt dem Geschehen zum Schluss mit angsterfülltem und doch bis zum letzten Augenblick noch hoffendem Gemüt. Auch diese Figur gewinnt über ihre dramaturgische Rolle – Objekt statt Subjekt – ein eigenes, aktuelles Profil.
Daneben agieren Michael von Burg als Cassio – neben dem großgewachsenen Birnbaum als dessen Vorgesetzter wegen der unterschiedlichen Körpergröße anfangs etwas unglücklich -, Jörg Zirnstein als tumber Roderigo, Franz Nagler als cholerisch-reaktionärer Brabantio und Uwe Kraus als Montano. Bei den Frauen spielt Franziska Werner die Emilia mit sparsamen aber durchaus wirkunsvollen Mitteln und Magdalena Höfner Cassios temperamentvolle Gespielin Bianca.

Der Beifall des Darmstädter Premierenpublikums war zwar freundlich, hätte aber aufgrund der gezeigten Leistungen durchaus kräftiger ausfallen können. Da fehlte offensichtlich der lokalpatriotische Aspekt.

Frank Raudszus   

 

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar