Richard Strauss: „Elektra“

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Die Macht des Mythos als Musik im Staatstheater Darmstadt
Wenn sich der Vorhang zum ersten Bild öffnet, stimmt ein dunkel-drohendes Bühnenbild den Zuschauer sofort auf das Thema ein. Vor einem schwarzen Hintergrund steht ein bis in den Bühnenhimmel ragendes schwarzmetallenes Dreieck, als Teil einer archaischen Rüstung oder eines Bauwerkes aufzufassen. Der schlitzförmige Eingang am unteren Ende mit den aufgewölbten Rändern weckt jedoch sofort andere Assoziationen, die dem Thema der Oper entsprechen. Mörderische und rächende Frauen bestimmen den Lauf der Welt, in der Männer nur Väter oder Werkzeuge sind.

Wie um diese Deutung noch zu unterstreichen, liegen am vorderen Bühnenrand über die ganze Breite die Reste eines überdimensionalen Männertorsos. Der Kopf an der linken Bühnenseite ist aufgeschlagen – Symbol des getöteten Agamemnons -, das Loch im Kopf sieht aus wie das Tor von Mykene. Die restlichen Körperteile sind ebenfalls zerbrochen, am rechten Bühnenrand stehen nur noch die beiden Unterschenkel des einstmals mächtigen Königs

Zwischen den Trümmern arbeiten Dienerinnen von Klytämnestra. Kurz darauf erscheint Elektra (Susan Owen) und bricht in eine verzweifelte und haßerfüllte Klage über den Mord an ihrem Vater aus. An diesem Tage jährt sich wieder einmal die Untat. Da sie die Mörder öffentlich beschuldigt, lebt Elektra in Armut und Erniedrigung, während ihre Schwester Chrysothemis sich arrangiert hat und auf ein glückliches Eheleben hofft.

Kurz darauf erscheint Klytämnestra mit zwei Dienerinnen und deutet an, daß Kunde über den Tod von Orest, ihren Sohn und Elektras Bruder, zu ihr gedrungen sei. Elektra sieht damit den letzten männlichen Rächer schwinden und beschwört Chrysothemis in einem zweiten Gespräch, zusammen mit ihr Rache zu üben. Als diese die Aufforderung ablehnt, entschließt sich Elektra, allein zur Tat zu schreiten. In diesem Moment erscheint ein Fremder, angeblich um vom Tode Orests zu berichten. Als er erfährt, wer sie ist und wie sie leidet, gibt er sich als Orest zu erkennen. Nach kurzer Begrüßung verschwindet er im Palast. Zwei langgezogene Schreie verkünden vom Tod Klytämnestras. Als der angetrunkene Ägisth erscheint, lockt Elektra ihn mit dem Hinweis auf die angeblichen Boten von Orests Tod in den Palast, wo er das gleiche Schicksal wie Agamemnon erleidet. Im Moment des höchsten Triumphes sinkt Elektra entseelt zu Boden, während Orest durch den Muttermord erblindet.

Dies die mythische Handlung, der an Interpretation nichts nachzuschicken ist. Richard Strauss hat dazu eine Musik dunkler und mächtiger Töne geschrieben, die Unheil, Fluch und höchste seelische Anspannung gleichermaßen widerspiegelt. Die Wucht der Musik korrespondiert in geradezu unheimlicher Weise mit dem dräuenden Bühnenbild.

Auf der Bühne beherrscht Susan Owen als Elektra das Geschehen. Knapp zwei Stunden – ohne Pause – jagt, huscht, springt sie über die Bühne, versteckt sich hinter den anthrazitgrauen Körperteilen, klagt, flucht – und das alles mit höchster Konzentration und einer gesanglichen Glanzleistung. Ihre Stimme übertönt problemlos auch Musikstellen, bei denen Doris Brüggemann als Chrysothemis bisweilen Schwierigkeiten hat durchzukommen. Einzigartig ist die physische und psychische Leistung von Susan Owen, nahezu zwei Stunden lang die von abgrundtiefer Verzweiflung über die Wiedersehensfreude mit Orest bis zum finalen Triumph changierenden Emotionen gesanglich und schauspielerisch zu meistern. Der Zuschauer fühlt sich dank ihrer Präsenz von Anfang bis zum Ende wie in einer Achterbahn, aus der es keinen Ausstieg vor dem Ende gibt.

Elisabeth Hornung als Klytemnästra war Susan Owen über lange Strecken eine fast ebenbürtige Partnerin, auch wenn sie nicht ganz die stimmliche Durchschlagskraft einbringen konnte. Warum Regisseur Meyer-Örtel sie allerdings als gebrechliche, bandagierte und nahezu haarlose Greisin auftreten läßt, ist nicht unbedingt nachzuvollziehen. Ihre Auseinandersetzung mit Elektra läßt jedenfalls nicht auf Altersschwäche schließen.

Die große Leistung von Susan Owen riß bis zu den Dienerinnen alle auf der Bühne mit, und das Orchester paßte sich diesem hohen Niveau unter der Leitung von Marc Albrecht durchgehend an. Die Feinabstimmung zwischen Sängern und Orchester gelang auch an den schwierigsten Sprechgesang-Stellen mit hervorgestoßenen Satzfetzen, und nie hatte der Zuschauer das Gefühl, das Orchestergraben und Bühne auseinanderliefen.

Noch bevor der Schlußakkord verklungen war, ertönten die ersten, begeisterten Bravo-Rufe und setzten sich zusammen mit dem begeisterten Beifall des Publikums fort. Susan Owen stand schweratmend und völlig erschöpft aber glücklich am Bühnenrand und nahm die verdienten Huldigungen dankbar entgegen. Aber auch die anderen Sängerinnen und die wenigen vertretenen Männer – um nur Hubert Bischof als Orest und Fred Elsner als Ägisth zu nennen – erhielten verdienten Beifall.

Sicher ist die Musik von Richard Strauss zu dieser Oper auch heute noch gewöhnungsbedürftig. Wer jedoch die expressiven Klänge des frühen Jahrhunderts nicht scheut, sollte sich diese Inszenierung unbedingt ansehen und -hören.

Frank Raudszus
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