Aber zuschaun kann I net….

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Mit der Operette – vor allem dem „weißen Rössl“ – scheint auch das Staatstheater Wiesbaden etwas zu hadern und sich unter Rechtfertigkeitsdruck zu wähnen. Lässt es doch im Programmheft mit Bodo Busse einen ausgewachsenen Theater- und Literaturwissenschaftler eine ausführliche Apologie dieser Kunstgattung verfassen. Busse geht dabei ausgerechnet von Theodor W. Adornos Sotttise in den „Arabesken zur Operette“ aus, wo dieser schreibt, es sei lächerlich, vom Niedergang der Operette zu reden, da eine Form, deren legitimer Ort unten sei, nicht untergehen könne. Ganz schön gemein von Theo selig! Doch Busse hebt in einem intellektuellen Höhenflug ganz im Stil von Adorno (das heißt, man muss jeden Satz drei Mal lesen, um ihn zu verstehen) die Operette aus den Niederungen von Adornos Verdammnis hoch über den Wolfgangsee auf eine Höhe, dass selbst der strenge Richter sie von Zermatt aus hätte erkennen können…

Der Kinderchor vor dem „weißen Rössl“

Man sieht an diesem Feuerschutz aus der Theoriebatterie, wie schwer sich heute ein renommiertes Theater doch mit der Operette tut und wie sehr man doch begründen zu müssen glaubt, warum man zum Beispiel das „weiße Rössl“ im Jahr 2010 aufführt. Die nächstliegende Begründung, dass es hier um reine Unterhaltung für ein bestimmtes Nischenpublikum geht, zählt nicht, da der Kulturauftrag des Theaters lautet, kritische Distanz zur Realität zu schaffen und zu erhalten. Und so nimmt Busse den Ironiefaden auf und wirkt ihn in diese Operette und speziell die vorliegende Inszenierung. Damit liegt er hinsichtlich des Stoffes nicht völlig falsch, allerdings ist die Ironie – oder gar Satire – in diesen Operetten stets so angelegt, dass man sie guten Gewissens auch übersehen – wenn man sie nicht erkennen will – und alles als schönen Abglanz der Realität betrachten kann. Bei Busse wird dann der berlinernde Trikotagenfabrikant zur Parodie des städtisch-entfremdeten Urlaubers in einer authentischen Natur, und im Duo Leopold (Zahlkellner) und Josepha (Wirtin und dessen Chefin) sieht er natürlich den Klassenkampf angedeutet. In seinem intelligenten und tief schürfenden Essay über das „weiße Rössl“ hebt Busse intellektuelle und gesellschaftspolitische Schätze der Interpretation aus diesem Libretto, auf die man nie gekommen wäre,


Josepha und Leopold (Thomas de Vries)

Natürlich kann man die Handlung ironisch verfremden, und Regisseur Ansgar Weigner versucht dies auch durch verschiedene regietechnische und textliche Einfälle. Nur kann man den Weg der ironischen Parodie nicht halb gehen, wenn man die angestrebte Wirkung nicht wieder verlieren will. Doch Weigner stand vor dem Problem, dass diese Inszenierung offensichtlich als Lockvogel für eine ironieresistente Zielgruppe gedacht war. Mit einer konsequenten satirischen Auslegung hätte er sich gerade diese Klientel vergrault. Also versuchte er sich an der Quadratur des Kreises, indem er Ironie und vordergründige Volkstümlichkeit zusammenbrachte. So legt er Nebenrollen wie Sigismund Sülzheimer durchaus satirisch und den Fabrikanten Giesecke ironisch an, doch dem Hauptpersonal, dort, wo es um Liebesleid und -freud geht, gönnt er dem Publikum nur sehr sparsame Dosierungen der Selbstironie. Schließlich sollen sich die Guten am Ende finden, und da darf man diese vorher nicht zu sehr durch den Kakao ziehen.

Das größte Fragezeichen steht allerdings hinter dem Bühnenbild, denn das kann ein feinsinniger Ironiker, der ansonsten nur schwarze Bühnenräume mit verlorenen Figuren kennt, durchaus als dick aufgetragene Ironie betrachten, aber eben nur der. Ein Abonnementsgast, der nun mal den Hang zur Operette hat, kann sich jedoch mit gleicher Berechtigung an dem herrlichen Alpenpanorama, den weißen Wolken am blauen Himmel, dem hochstämmigen Bergwald und dem echt k.u.k-Hotel „Im weißen Rössl“ ergötzen, ohne auch nur einen Hauch von Ironie zu verspüren. Man kann an diesem volkstümlichen Schauspiel also durchaus seinen naiven Spaß haben, denn da wird ordentlich gesungen – alles bekannte Ohrwürmer! – und getanzt, gewatscht und geknutscht. Von Satire keine Spur mehr. Da ist dann zwar die Karikatur des stets schnarchenden Kaiser Franz Josef recht nett, und dessen Anreise im weißen Schwan – was hat „Lohengrin“ hier zu tun? – auch einen Lacher wert, aber ein satirischer Seitenhieb auf die übrigens längst untergegangene k.u.k.-Monarchie sähe anders aus.

Klärchen und Sigismund (Erik Biegel)

Vergessen wir also die hoch zielende Ironie-Ankündigung des Hofschreibers Busse und nehmen die Inszenierung als das, was Libretto und (diese) Inszenierung hergeben. Dann bleibt ein durchaus schmissiges Singspiel mit hohen Wiedererkennungseffekten – „Aber zuschaun kann I net“. Selbst Musikfreunde, die Operetten nicht zu ihren Favoriten zählen, kommen im Laufe der Jahre nicht um die akustische Aufnahme von Liedern wie „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“, „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ oder „Was kann der Sigismund dafür…“ herum und erleben hier plötzlich ein seltsames „déjà entendu“. Wenn man solche Ohrwürmer plötzlich „ernsthaft“ von der Bühne vernimmt, stellt sich ein seltsames Gefühl der Abneigung ein und man möchte am liebsten fragen „Muss das jetzt sein?“. Der durch jahrzehntelanges Abspielen dieser Stücke gewachsene (Ab)Gewöhnungseffekt ist einfach stärker als die Wirkung der Geschichte selbst, die dank ihrer Schlichtheit und der – im Gegensatz zur „Fledermaus“, um nur ein Beispiel zu nennen – geringen intellektuellen Flughöhe den Zuschauer einfach nicht mehr vom Sessel reißen kann.

Für Unwissende zwecks eigener Urteilsbildung ein Abriss der Handlung: Oberkellner Leopold liebt unglücklich Chefin Josepha, die wiederum am Gast Rechtsanwalt Siedler aus Berlin interessiert ist. Der vertritt den Gegner von Fabrikant Giesecke, der mit Tochter Ottilie hier Urlaub macht und ausgerechnet auf Dr. Siedler trifft. Dann trifft auch noch der eitle Sohn des Prozessgegners ein, und es kommt zu weiteren prä-erotischen Verirrungen, bis sich alle passenden Paare finden – auch Leopold und Josepha – und alle sind’s zufrieden. Das war’s! Kleine Seitenhiebe auf Befindlichkeiten, Eitelkeiten und menschliche Schwächen würzen diese nette Handlung, und man kann fast alle Lieder mitsingen.

Das Ensemble des Staatstheaters Wiesbaden gibt sich alle Mühe, allen voran Thomas die Vries als – viel zu souveräner – Zahlkellner Leopold und Annette Luig als Rösslwirtin Josepha, der Inszenierung eine gewisse Kontur zu verleihen. Jürgen Rust gibt den Fabrikant Giesecke als typisch preußischen Elefant im Porzellanladen, dagegen fällt Jud Perrys Dr. Siedler schon etwas ab in die Konturlosigkeit. Erik Biegel verleiht dem Sigismund durchaus lebendige und satirische Züge, kratzt aber des Öfteren knapp an der Knallcharge vorbei. Marie Smolka ist ein witziges Klärchen und Simone Brähler eine eher statische Ottilie, aber was soll sie aus dieser Rolle auch viel machen? Zygmunt Apostol erntet als seniler Kaiser Franz Josef zwar einige Lacher, aber eben nur, weil senile Greise wie auch Betrunkene immer dankbare Rollen darstellen.

Das Orchester unter der Leitung von Wolfgang Wengenroth verbreitet den typischen Operetten-„Sound“: alles erscheint ein wenig zu leicht und beliebig, eben zum Mitsingen. Am Ende hat man sich ganz nett unterhalten, aber man hätte sich durchaus auch eine andere Abendgestaltung vorstellen können, zum Beispiel ein gutes Buch zu lesen.

Frank Raudszus

Alle Fotos © Martin Kaufhold

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