Markus Werner: „Kalte Schulter“

Print Friendly, PDF & Email

1201_kalte_schulter.jpg

Roman über eine existenzielle Verstörung.

Wie in dem kürzlich besprochenen Roman „Bis bald“ steht auch hier wieder ein Mann mittleren Alters im Mittelpunkt, der sich dem Leben gegenüber ohnmächtig fühlt. Wank ist Kunstmaler, kann seine Bilder jedoch nicht verkaufen, da er sich weigert, den breiten Publikumsgeschmack zu bedienen. Sein Malerkollege und Freund-Feind Rötzel liegt dagegen mit seinen gegenständlichen Bildern auf der kommerziell richtigen Linie und lässt dies Wank auch in sanfter Jovialität spüren. Um sich über Wasser zu halten, malt Wank für einen Kaufhausbetreiber Werbeplakate und muss dies – symbolträchtig! – auch noch in einem dunklen Kellerraum erledigen. Das Malen hat er mittlerweile aus einer tiefgehenden Verunsicherung aufgegeben, und seinen einzigen Lebenshalt findet er in seiner Freundin Judith, die ihn offensichtlich liebt, in der Beziehung jedoch die pragmatische Seite nicht vergisst. Sie geht einem bürgerlichen Beruf nach – Zahnarzthelferin – und folgt einem zielorientierten Lebensplan. Obwohl sie Wank nicht drängt, erwartet sie irgendwann eine Legalisierung der Beziehung und die Gründung einer richtigen Familie.
Wank jedoch irrt ziellos durchs Leben. Seine künstlerischen Ambitionen haben durch den fehlenden Publikumszuspruch einen schweren Rückschlag erfahren, und seine Brot-Tätigkeit ekelt ihn geradezu an. Er findet jedoch nicht die Kraft, seinem Leben eine entscheidende Wende zu geben. So lebt er in den Tag hinein und freut sich auf die Abende mit Judith. Trotzdem liebäugelt er mit anderen Frauen, wohl, um sein angegriffenes Selbstbewusstsein aufzuwerten. Seine Mitmenschen, in diesem Fall die anderen Mieter des Hauses, in dem er wohnt, öden ihn wegen ihrer Fadheit und Mittelmäßigkeit an, obwohl er ahnt, dass er sich nicht entscheidend von ihnen unterscheidet. Auch er kann sich zeitweise plump verhalten, trinkt gern ein Glas mehr als ihm gut tut, und lässt andere mehr oder minder verblümt seine Abneigung spüren. Zwar ist diese Abneigung durch die typisch kleinbürgerlichen Schwächen seiner Mitmieter begründet, doch sich selbst betrachtet Wank nicht gern in einem gesellschaftlichen Spiegel.
An einem heißen Sommerabend geben er und seine Freundin dennoch ein Fest für die anderen Mieter, das dank ausgiebigem Alkoholgenuss etwas unkontrolliert endet. Je weiter der Abend voranschreitet, desto mehr sagt man Dinge, die man im nüchternen Zustand für sich behalten würde, und der Grad der Höflichkeit und gegenseitigen Rücksichtnahme nimmt stetig ab. Der Alkohol setzt verborgene Abneigungen, Kränkungen, Missgunst und Neid frei, die sich zwar nicht in offener Frontstellung aber in zunehmend anzüglichen Reden zeigen. Als das Paar am nächsten Morgen leicht verkatert am Frühstückstisch sitzt, atmen beide erleichtert wegen des überstandenen Abends auf. Und dann bricht völlig unerwartet die Katastrophe über sie herein. Fast wie in einer griechischen Tragödie muss Wank den Kelch bis zur Neige trinken und alle Hoffnung fahren lassen.
Während Markus Werner in „Bis bald“ einen Menschen darstellt, der angesichts des drohenden eigenen Todes Abstand zur realen Alltagswelt gewinnt und sich aufgrund der Situation in einer geradezu kafkaesken Situation befindet, schildert er hier die Befindlichkeit eines Künstlers, der unter Erfolglosigkeit und der darauf zurückzuführenden existenziellen Verunsicherung leidet. Man kann darin durchaus autobiographische Züge vermuten, denn welcher Schriftsteller quält sich nicht mit Zweifeln an dem eigenen Können. Selbst erfolgreiche Autoren berichten immer wieder von diesen Zweifeln oder vertrauen sie ihrer Autobiographie an. Bei Werners Protagonist Wank äußert sich dieser Zweifel in einsamen Spaziergängen, die ihn auf Friedhöfe führen und ihn eigenartige Menschen treffen lassen. Eine solche Begegnung mutet derart skurril an, dass man sie als nächtlichen Traum deuten könnte. Die zwitterartige Frau, die er an dem Grab ihres Mannes trifft, gibt ihm seltsam verschlüsselte Sätze mit auf den Weg, die man als Aufforderung zur Loslösung vom unerträglichen Hier und Jetzt und zu einem neuen Aufbruch interpretieren kann. Nach diesem merkwürdigen Erlebnis beschließt Wank, die Initiative zu ergreifen und sein unerträgliches Leben zu ändern. Doch die folgenden Ereignisse werfen mehr als einen Schatten auf diesen Aufbruch.
Für Markus Werner ist das Leben nicht planbar. Das Zusammenleben in der Gesellschaft läuft auf einem desillusionierenden Niveau ab, große Gefühle gibt es nicht, die Banalität siegt über alles. Und wo einmal menschliche Nähe schüchtern wächst, zerstören der blinde Zufall oder ein unwahrscheinliches Ereignis jeden Ansatz zu so etwas wie einem gelungenen Leben. Aus Werners Buch spricht ein großer Pessimismus über den Sinn des Lebens. Nach dem Verlust der Religion und dem naiven Glauben an ein ewiges Leben ist der Mensch dem sinn- und ziellosen Walten der Natur ausgeliefert. Ob er liebt oder leidet, Glück oder Unglück empfindet, ist den Mechanismen der Welt und des Lebens gleichgültig, ja, es gibt nicht einmal eine Instanz, die irgendein Interesse an der Befindlichkeit des menschlichen Individuums hegt. Was Wank empfindet, könnte man mit dem banalen Satz „Es ist, wie es ist“ umschreiben: kein Sinn, kein Ziel – das Leben IST einfach.
Und so steht Wank denn am Ende auch hilflos da, unfähig, größere Entscheidungen zu treffen oder seiner Wut eine Projektionsfläche zu geben. Sozusagen aus Treue sich und seiner Freundin gegenüber bleibt er bei dem vorher getroffenen Entschluss, den demütigenden Kellerjob aufzugeben und ein neues Leben anzufangen. Wie dies aber aussehen soll, weiß er selber nicht.
Auch in diesem Roman besticht der lakonische Stil, der auf jegliche aufgesetzte Empathie verzichtet und die seelische Befindlichkeit des Protagonisten mit nüchterner Genauigkeit beschreibt. Selbst die Katastrophe läuft ab wie ein Film, den man weder anhalten noch zurückspulen kann.
Das Buch „Die kalte Schulter“ ist im Fischer Taschenbuchverlag unter der ISBN 978-3-596-19069-0 erschienen, umfasst 159 Seiten und kostet 8,99 €.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar