Stefan Zweig: „Ungeduld des Herzens“

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1202_ungeduld.jpg Eine gelungene Hörspielfassung des Romans aus der k.u.k-Zeit

Stefan Zweig – Jahrgang 1881 – stammte aus dem Wiener Großbürgertum und erlebte das Ende der k.u.k.-Monarchie aus nächster Nähe. So spielen auch seine Romane immer wieder in dieser Zeit. „Ungeduld des Herzens“ ist zwar erst im Jahre 1938 erschienen, als Zweig schon vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflohen war, kehrt jedoch noch einmal zurück in die – nur scheinbar – unbeschwerte Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Der junge Leutnant Hofmiler leistet seinen Dienst bei der k.u.k-Kavallerie in einer kleinen Garnisonsstadt einige Bahnstunden von Wien entfernt. Durch zufällige Vermittlung des örtlichen Apothekers erhält er eine Einladung zu einer Abendveranstaltung auf dem nahe liegenden Schloss der Kekesfalvas. Beim Tanzabend unterläuft ihm aus Unwissenheit der schwerwiegende „faux pas“, die körperlich schwer behinderte Tochter des Haushernn aufzufordern. Seine schriftliche Entschuldigung am nächsten Tag wird nicht nur angenommen sondern sogar mit einer Einladung verbunden. So lernt er die junge Edith und ihren Vater näher kennen. Ohne es selbst anfangs zu merken, verstrickt er sich immer tiefer in die Gefühlswelt dieser Familie. Edith ist ihm sehr zugetan und genießt seine regelmäßige Anwesenheit, und ihr Vater hofiert ihn geradezu. Der Zuhörer erkennt sehr schnell, dass die juinge Edith sich in den feschen Leutnant verliebt hat und dass der Vater ihn geradezu als – dauerhaften? – Glücksfall für seine Tochter betrachtet.
Als der behandelnde Arzt zu einer Routineuntersuchung ins Haus kommt, bittet Kekesfalva den Leutnant, den Arzt unauffällig nach dem Stand der Krankheit zu befragen, da er selber sicherlich keine realistische Antwort erwarten könne. Hofmiller erfährt auf diesem Wege aus dem Munde des Arztes die niederschmetternde Wahrheit, die der Arzt mit dem Hinweis vom angeblichen Erfolg einer neuen Therapie abmildert. Beim späteren Rapport bringt es Hofmiller aus falschem Mitleid nicht über sich, die eigentliche Antwort weiterzugeben, sondern betont vor allem die mögliche Heilung durch eine neue Therapie. Diese Nachricht münzen Vater und Tochter sofort in einen überschwänglichen Optimismus um, den Hofmiller nicht mehr zu enttäuschen wagt. Jetzt ist er in seiner eigenen Geschichte gefangen und muss das unfreiwillig zynische Spiel mitspielen. Die Freude und Hofmillers fortgesetztes Mitleid eskalieren in einer förmlichen Verlobung.
Hofmiller jedoch verleugnet die Verlobung noch am selben Abend vor den spottenden Kameradenund lässt sich am nächsten Morgen von seinem Kommandeur auf unbestimmte Zeit versetzen. Darauf bringt sich Edith um. Hofmiller erkennt seine Schuld und stürzt sich in den nahenden ErstenWeltkrieg, ohne dort jedoch den Tod zu finden. 
Die Geschichte ist perfekt aufgebaut, gestaltet zielgerecht und konsequent die Entwicklung des Konflikt und lässt ihn auf die einzig folgerichtige Weise enden. Hofmillers Schuld liegt in seinem zu oberflächlichen Mitleid. Er ist zwar – eben aus Mitleid – schnell zu einer falschen, aber Hoffnung vortäuschenden Aussage bereit, scheut sich aber vor den Konsequenzen, die er damit heraufbeschwört. In dem k.u.k-Ständestaat war es für einen Offizier natürlich gesellschaftlich unmöglich, eine Verlobungszusage zu brechen, aber die Schuld ist hier nicht eine der Etikette, sondern der inneren Haltung. Hofmiller hat deutlich erkannt, dass Edith nicht nur in ihn verliebt war sondern ihre ganze Zukunftshoffung auf ihn konzentrierte. Zwar hat er nicht offiziell um sie geworben, aber er hat sich Stück für Stück weiter in die emotionale Verstrickung hineinziehen lassen, ohne die Gefahren zu erkennen. Seine beschönigende Aussage über die Meinung des Arztes fügen dieser latenten Schuld – Edith sich in ihnm verlieben zu lassen – noch eine explizite hinzu. Es muss ihm klar sein, dass Edith seine überstürzte und unangekündigte Abreise nicht verkraften und auf die eine oder andere Weise daran zugrunde gehen wird.
Das Hörspiel wurde bereits im Jahr 1961 mit einer Reihe damals bekannter Schauspieler, unter anderem Gustl Halenke als Edith und Matthias Fuchs als Hofmiller, aufgenommen. Den Darstellern gelingt es, die einzigartige Konstellation der Beziehungen und die Unausweichlichkeit des Konflikts auf geradezu beklemmende Weise in gelebte Sprache umzusetzen. Gustl Halenke ist eine durch ihrem überschäumenden Lebensmut und ihre unerbittliche Konsequenz beeindruckende Edith, Matthias Fuchs gibt einen durch die emotionalen Ansprüchen deutlich überforderten jungen Mann, dessen zunehmende Unsicherheit sich in seiner Stimme niederschlägt. Auch die anderen Sprecher wie Kurt Ebbinghaus als Kekesfalva, Viktor Stefan Görtz als Arzt Dr. Condor, Dagmar von Thomas als Ediths Freundin Ilona oder Alfred Schlageter als wortmächtiger Oberst halten ausnahmslos das hohe darstellerische Niveau und verleihen damit diesem Hörspiel hohe Dichte und Authentizität. Die Musik – Walzer und Streichquartette – geben die Atmosphäre der k.u.k-Zeit wieder, übertönen jedoch teilweise die Dialoge etwas zu sehr und gestalten das Zuhören dadurch anstrengend.
Das Hörbuch umfasst zwei CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 122 Minuten, ist im Audio-Verlag unter der ISBN 978-3-89813-340-0 erschienen und kostet 14,99 Euro.

Frank Raudszus

 

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