Thomas Glavinic: „Unterwegs im Namen des Herrn“

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Der romaneske Bericht über eine Pilgerreise nach Bosnien

Der Österreicher Thomas Glavinic hat vor einiger Zeit in einem Interview gestanden, dass er beim Schreiben nicht unbedingt die literarische Höchstleistungen anstrebe sondern gerne experimentiere, neue Formen des Schreibens ausprobiere und dabei auch das Risiko des „Scheiterns“ eingehe, was immer das bedeutet. Nun, das vorliegende Buch kann man sicher nicht in die Kategorie „Scheitern“ einsortieren, obwohl es bewusst auf literarische Transzendenz verzichtet. Dieser Verzicht birgt eine gewisse Ironie in sich, denn das Thema ist die Transzendenz „par excellence“, nämlich die Religion. Zusammen mit einem fotografierenden Freund hat Glavinic in einem heißen Sommer eine Pilgerreise per Bus nach Bosnien gebucht, um einmal am eigenen Leib und Geist zu erfahren, was so eine Pilgerreise bedeutet und welche Menschen daran teilnehmen.
Der dokumentarische Charakter zeigt sich schon daran, dass Glavinic als er selbst auftritt, angefangen bei seinem Vornamen über seine kroatische Abstammung bis hin zu Hinweisen auf seine Schriftstellerei. Ähnlich wie in „Das bin doch ich“ oder „Lisa“ muss man sich als Leser jedoch in Acht nehmen, nicht jeden Satz autobiographisch und dokumentarisch zu nehmen. Glavinic spielt tatsächlich mit den Gattungen und garniert das reale Äußere mit vielen literarischeh Zusätzen und Ausschmückungen, die mit der konkreten Realität nichts zu tun haben müssen. Das berührt jedoch nicht die Authentizität der Aussage. Man darf sich immer den Autor im Mittelpunkt eines Geschehens vorstellen, das sich ähnlich aber nicht unbedingt genau in dieser Form abgespielt haben muss.
Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang zwei Dinge: erstens verzichtet Glavinic bei diesem Buch auf jeglichen Gattungsbegriff, speziell „Roman“, und zweitens benennt er die Mitreisenden – außer seinem Freund und Fotografen – alle nur mit Pseudonymen wie „der Reiseleiter“, „die alte Fundamentalistin“ oder „der Tennisspieler“. Das lässt darauf schließen, dass er die Personen der Pilgergesellschaft originalgetreu nachgezeichnet hat und aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen auf Namen verzichtet. Es würde jedoch nicht verwundern, wenn er nachträglich doch noch ein wenig juristisches Hickhack über sich ergehen lassen müsste. In dieser Hinsicht bietet der literarische Markt ja ein paar einschlägige Beispiele.
Glavinic und Freund steigen eines frühen Morgens in den Bus nach Medjugorje, einem kleinen Ort in Bosnien dicht an der kroatischen Grenze. Schon bald zeigen die Mitreisenden ihre eigenartigen Charakterzüge. Wenn Glavinic geglaubt hat, dass die Hinwendung zur Religion diese Menschen weise und freundlich hat werden lassen, so sieht er sich getäuscht. Von aufgesetzter Bigotterie über Verhuscht- und Verklemmtheit bis zu stahlharten Heiligenverehren ist alles dabei. Der Reiseleiter begegnet den beiden jungen Männern von Anfang an mit abweisender Skepsis, weil ihm ihre freie, so wenig fromme Wesensart offensichtlich nicht gefällt. Eine Gruppe von Frauen sondert sich von vornherein ab und übt sich in asketischer Strenge. Ein echtes Wiener Gewächs, den Glavinic wegen seiner gegelten Haare und der aufgesetzt fröhlichen Art nur den „Tennislehrer“ nennt, fällt deutlich aus dem religiösen Rahmen, ist deshalb aber noch lange kein Gewinn für die Reisegruppe.
So geht der Autor von Person zu Person durch die Gruppe, ohne dies jedoch im Sinne einer soziologischen Untersuchung zu gestalten. Vielmehr gewinnen die Mitreisenden während der Pausen und bei den diversen Gruppenaktivitäten zunehmend an Kontur, aber nicht an Leben. Denn aus Glavinics Perspektive ähneln die Pilger bis auf wenige Ausnahmen eher Zombies, die ihre Pilgerreise wie aus einem inneren Zwang aber ohne emotionale Beteiligung absolvieren. Das Heilige manifestiert sich in frömmelnden Broschüren, Gebeten und formalisierten religiösen Ansprachen.
Schon vor Medjugorje beginnt das aktive religiöse Programm mit Besichtigungen, und dort angekommen, erleben die beiden die „religiöse Hölle“, wenn der Ausdruck in diesem Zusammenhang erlaubt ist. Von den Lautsprechern vor der Kirche der Heiligen Gospa – Mutter Gottes von Medjugorje – dröhnen unablässig religiöse Gesänge, und die Hitze wie der bosnische Schnaps tun ihr Übriges. Denn die beiden ungläubigen Wiener betrachten das religiöse Programm sehr schnell nur noch als bigotten Zirkus, wohl auch deshalb, weil die Hauptstraße des kleinen Ortes mit Souvenirläden gepflastert ist, die unerträglich kitschige Devotionalien anbieten. Wie bereits aus anderen Glavinic-Büchern bekannt, finden der Autor und sein Begleiter ihren geistlichen Trost in geistigen Getränken. Doch diese können den Begleiter, dessen Frau in Wien kurz vor der Entbindung steht, auch nicht mehr ruhigstellen, so dass er in eine gefährliche Sinnkrise gerät, die in panische Fluchtreaktionen mündet. Eine mittelschwere Angina des Autors führt dann zu dem Entschluss, die Pilgerreise vorzeitig zu beenden und per Fluzeug nach Wien zurückzukehren.
Dazu müssen sie jedoch nach Split zum Flugplatz kommen, und damit kommt Glavinics in Kroatien lebender Vater in Spiel. Der holt sie nicht nur ab und fährt sie stark alkoholisiert nach Split, sondern quartiert sie für eine Nacht bei einem Freund ein, dessen Gastfreundschaft sich für die beiden zum Albtraum entwickelt. Hier kommt dann doch noch insoweit die Literatur ins Spiel, als Glavinic in der Beschreibung des Ivica und seines Umfeldes das ganze Chaos der letzten zwanzig Jahre im ehemaligen Jugoslawien verdichtet. Ivica ist ein herzensguter Mensch und Gastgeber, aber gleichzeitig unberechenbar und ein Alkoholoker mit krimineller Ader. Woher er das Geld für das Anwesen, den Lebensstil und die Autos nimmt, weiß niemand. Einem Beruf geht er offensichtlich nicht nach, dafür artet jede Einladung zu einem chaotischen Besäufnis mit allen einschlägigen Begleiterscheinungen aus. Ivica und sein Freundeskreis sind derart unkontrolliert, dass die beiden Wiener bei aller Sympathie ihrer Gastgeber um ihre Gesundheit wenn nicht um ihr Leben fürchten müssen. So bleibt ihnen keine andere Wahl, als einen Moment des alkoholischen Komas bei ihrem Gastgeber zur Flucht aus dem Anwesen und zum Flugplatz zu nutzen. Den abschließenden Höhepunkt bildet die Landung in Wien bei Gewitterstürmen, die noch einmal Anlass zu Gebeten geben.
Glavinic hat zwar in diesem Buch nicht mehr als einen Reisebericht verfasst, dabei aber wieder einmal seine Fähigkeit zur Beschreibung extremer Situationen und psychischer Belastungen bewiesen. Wer möchte, kann hinter seiner literarisch geradezu zelebrierten Angina eine Metapher für das Leiden der Ungläubigen sehen, muss es aber nicht. Auch die Schilderung der endzeitlichen Zustände im Sodom und Gomorrha des Freundes Ivica kann man als die aktualisierte Beschreibung eben dieser biblischen Stätte interpretieren, man kann darin aber auch nur die desolaten Zustände im Balkan nach dem langen Krieg sehen.
Das Buch „Unterwegs im Namen des Herrn“ ist im Hanser-Verlag unter der ISBN 978-3-446-23739-1 erschienen, umfasst 207 Seiten und kostet 17,90 €.

Frank Raudszus
 

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