Im 9. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt präsentiert das Duo Mitterrutzner/Schöch Lieder der Romantik

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Martin Mitterrutzner

Das hohe Lied der Romantik  

Im 9. Kammerkonzert des Staatstheaters Darmstadt präsentiert das Duo Mitterrutzner/Schöch Lieder der Romantik
Die Romantik war fraglos ein Höhepunkt der Liedkunst. Diese Kunstform bringt sowohl den ausgeprägten Individualismus der romantischen Epoche als auch die dazugehörigen Gefühle wie Sehnsucht und Schmerz in eizigartiger Weise zum Ausdruck, da kein Orchester die Stimme des Individuums übertönt und der Sänger Metrik und Intensität weitgehend eigenständig gestalten kann.

Diese Kunstform gehört wegen ihrer klanglichen Konzentration auf die einzelne Stimme zwar nicht zu den „Rennern“ des Repertoirebetriebes, aber an diesem Donnerstag war das Kleine Haus dennoch sehr gut besetzt, was auf eine gewisse Kennerschaft des Publikums schließen ließ. Denn was die beiden Musiker an diesem Abend boten, gehörte schon zur musikalischen Extraklasse. Der erst 28jährige Tiroler Tenor hat sich in wenigen Jahren zu einem renommierten Sänger entwickelt, der eine breite Palette gesanglicher Gattungen abdeckt. In der Frankfurter Oper singt er verschiedene Opernpartien, und dennoch findet er noch die Zeit, mit seinem Partner Kammerkonzerte zu geben. Schöch, im gleichen jugendlichen Alter, hat als Pianist ebenfalls bereits eine Reihe von Austzeichnungen erspielt und konzertiert mit verschiedenen Orchestern.

In Darmstadt präsentierten die beiden ein vielfältiges Programm mit Liedern von vier Komponisten: Felix Mendelssohn-Bartholdy, Robert Schumann, Hugo Wolf und Franz Liszt. Alle vier sind Kinder des 19. Jahrhunderts und gehören zur Schule der Romantik. Das Nebeneinander von Liedern dieser vier Komponisten bot den Zuhörern einen reizvollen Vergleich, zumal in zwei Fällen dasselbe zugrunde Gedicht von zwei unterschiedlichen Komponisten zu Gehör kam.

Felix Mendelssohn-Bartholdy zeigt in seinen Liedbearbeitungen seine Vorliebe für den Klavierpart, der weit über eine reine Begleitung des Sängers hinausgeht und bereits einen eigenen Stellenwert in der Komposition einnimmt. Dabei bewegen sich seine Vertonungen in einer ausgewogenen Metrik, die dem emotionalen Inhalt des jeweiligen Textes entspricht. Doch bei Mendelssohn ist auch die Klage musikalisch noch wohltönend. Zu den vorgetragenen Liedern gehörten so bekannte Titel wie „Leise zieht durch mein Gemüt“ und „Auf Flügeln des Gesanges“. Ein sehr berührendes Lied, „Verlust“ übertitelt, stammt von Mendelssohns Schwester Fanny, die als Frau keine Musiker- oder gar Komponistenkarriere anstreben konnte. trug die sieben Lieder, die sich überwiegend der Liebe in ihren freudigen aber mehr noch ihren leidvollen Varianten widmen, mit einer intensiven emotionalen Prägung vor. Dabei ist er ein Meister der leisen Tönen, die mal lyrisch-liebesdürstend, mal verzweifelt-resigniert klingen. Doch wenn die Verzweiflung ausbricht, meist zu Ende eines Liedes, kann er sie auch expressiv ausdrücken. ist ihm dabei mit einem zurückhaltenden, ausgesprochen weichen, fast zarten Anschlag ein idealer Partner, der ihn nie übertönt, jedoch auch nie in den Hintergrund zurücktritt.

Michael SchöchDiese Vortragsmerkmale kamen im zweiten Teil noch stärker zum Vorschein. Robert Schumanns Zyklus „Dichterliebe“, bestehend aus sechzehn Liedern nach Gedichten aus Heinrich Heines Sammlung „Lyrisches Intermezzo“, besingt die Liebe und vor allem deren Verlust. Im Gegensatz zu Mendelssohn spielt der Text eine wesentlich größere Rolle. Schumann setzt den Ausdruck des jeweiligen Gedichts in Musik um, wobei für ihn die Bedeutung der einzelnen Worte sowie die Satzstruktur eine wesentliche Rolle spielen. Ihm liegt daran, den Inhalt des Gedichts als Gesamtkunstwerk aus Sprache und Musik zu gestalten. Dazu dehnt und staucht er die Metrik entsprechend dem emotionalen Ausruck des Textes. Regelmäßigkeit ist eher selten, Liebeslust und -leid werden durch extreme metrische und auch harmonische Rückungen ausgedrückt. Auch das Klavier erhält wesentlich mehr Spielraum als bei Mendelssohn. Geht es bei jenem noch darum, das Lied in einer geschlossenen metrischen Form von Stimme und Klavier vorzutragen, bringt Schumann die Emotion durch eine gleichberechtigtes Auftreten beider „Instrumente“ zum Ausdruck. Dazu gehören eigenständige Klavierpartien zwischen den Strophen ebenso wie ausgedehnte Nachspiele des Klaviers, wenn der Sänger schon geendet hat. Der Pianist nimmt dann die Grundstimmung noch einmal auf und variiert sie auf seine Art in einem ganz anderen Klangraum. Immer wieder fällt auch die zerrissene Metrik auf, mit denen Schumann die seelischen Spannungen und Abgründe ausdrückt. So kling seine Variante von „Als wüßten´s die Blumen, die kleinen“ ganz anders als bei Mendelssohn. Auch das berühmte „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“ ist bei Schumann nicht ein in erster Linie musikalisch ausgewogenes Lied über das Wesen der Liebe sondern der Verzweiflungsschrei eines Betroffenen. Man erinnert sich dabei unwillkürlich an Schumanns langen – letztlich erfolgreichen – Kampf um Clara Wieck.

Allein aufgrund der größeren Expressivität war dieser zweite Teil eine deutliche Steigerung gegenüber dem Beginn. Beide Solisten zeigten ihr außerordentliches Können: konnte hier seine ganze stimmliche Breite ausspielen und legte dabei eine derartige emotionale Spannung in seinen Vortrag, dass das Publikum wie gebannt zuhörte und keinen Laut von sich gab. Selbst das lästige Husten hörte für erstaunlich lange Zeit vollständig auf, und das ist wohl das höchste Lob für die Solisten. bewegte sich sowohl bei der Begleitung als auch in seinen eigenständigen Passagen auf Augenhöhe mit Mitterrutzner und beeindruckte mit seinem variablen Anschlag, der jede Stimmungsvariante des jeweiligen Liedes überzeugend zum Ausdruck brachte.

Nach der Pause schloss sich der etwas kürzere, deshalb aber in der Qualität nicht abfallende Teil mit Liedern von Hugo Wolf und Franz Liszt an. Auch Wolf hat sich der Gedichte Heinrich Heines angenommen und sieben von ihnen in dem Zyklus „Liederstrauß“ vertont. Die Ausdrucksweise erinnert oftmals an Robert Schumann, obwohl die Harmonik moderner klingt als bei Schumann. Schließlich kam Hugo Wolf vier Jahre nach Schumanns Tod zur Welt. Mit neueren harmonischen Varianten lässt sich die Atmosphäre von Heines Gedichten noch treffender wiedergeben, so etwa in dem düster-ironischen „Sie haben heut´abend Geselslchaft“ oder in dem fast gespenstischen „Mir träumte von einem Königskinde“ Auch hier schafften es die beiden Solisten wieder, in den Zuschauerreihen vollständige Ruhe herzustellen, so bewegend und eindringlich waren die Interpretationen der einzelnen Lieder.

Den Schluss bildeten Lieder von Franz Liszt, wobei bei den Liedtexten auch hier wieder Heinrich Heine Pate stand. Neben den verzweifelten „vergifteten Liedern“ erklang das selige „Im Rheine, im schönen Strom“, dann folgte das symbolträchtige, Kälte verströmende „Ein Fichtenbaum steht einsam“, und zum Schluss – natürlich – die „Loreley“. Doch gerade letztere kommt nicht als Lisztsches Virtuosenstück für das Klavier daher, sondern eher als nachdenkliches Lied, das dem Sänger viel Spielraum für die Interpretation der todbringenden Frauengestalt einräumt, der man über ihren legendenhaften Charakter hinaus durchaus auch einen symbolischen zuschreiben kann. und sorgten mit dieser  ausgedehnten und intensiven Interpretatiion für einen letzten Höhepunkt. Allein die mehrfache Wiederholung der letzten beiden Zeilen verfehlte ihre nahezu transzendente Wirkung nicht.

Das Publikum zeigte sich derart angetan, dass die beiden noch zwei Zugaben von Mendelssohn und Schumann anhängten.

Frank Raudszus

 

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