Das Ballett-Ensemble des Nationaltheaters Mannheim zeigt Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“

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Davidson Jaconello (Prinz) und Tyrel Larson (Pilot)

Getanzte Aphorismen  

Das Ballett-Ensemble des Nationaltheaters Mannheim zeigt Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“
Das schmale Buch „Der kleine Prinz“ des französischen Piloten und Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry liegt auch heute noch oft auf den Gabentischen für Kinder. Den kleinen Prinzen assoziieren Leser und Verleger gleichermaßen gerne mit einem Kind, wohl wegen der vordergründigen Naivetät der Fragen und der Weltsicht dieses Außenseiters. Doch wer das Buch nicht in Gestalt eines als Kinderbuch illustrierten Buches liest, stellt bald fest, dass hier existenzielle menschliche Fragen zur Sprache kommen. Nicht umsonst wies die Vertreterin des Nationaltheaters bei ihrer Einführung darauf hin, dass Literaturexperten das Buch als ein „Schlüsselwerk“ der Literatur des 20. Jahrhunderts einordnen und es auf eine Ebene mit Kafka stellen.

Ein Pilot – „alter ego“ des Autors – muss in der Wüste notlanden und trifft dort auf einen seltsamen kleinen Menschen, der ihm ebenso seltsame Geschichten erzählt und Fragen stellt. Dieser „kleine Prinz“ kommt von einem anderen Planeten, wo es ihm nicht mehr gefiel. Er erzählt von den Wesen, die er dort getroffen hat: die arrogante Herrscherin ohne Untertanen, die Eitle, die sich ewig in Spiegeln bewundert, den Trinker, dem es nur um den nächsten Schluck geht, die Geschäftsfrau, die alles nach seinem kommerziellen Wert einordnet, den Laternenanzünder, der vor Arbeit nicht mehr ein- noch ausweiß und schließlich der Geograph, der die Welt vermisst, ohne sie zu kennen. Dieser rät ihm auch, die Erde zu besuchen, weil die Menschen angeblich einen guten Ruf haben.

Schon in diesem Bericht über die Herkunft des kleinen Prinzen sieht man die Archteypen bzw. wesentlichen Eigenarten der menschlichen Gesellschaft vorbeimarschieren: Die Machtgier, die Eitelkeit, die Sucht, die Habgier, das alltägliche Hamsterrad und schließlich die (Natur-)Wissenschaft.

Davidson Jaconello (Prinz) und Maria Eugenia Fernandez (Die Rose)Seinen unerschütterlichen Optimismus bezieht der kleine Prinz aus der Rose, die auf seinem Planeten nur einmal existierte und so etwas wie ein seelischer Fixpunkt für ihn war. Der Bezug zur „blauen Blume“ der Romantik liegt dabei auf der Hand.
 
Im zweiten Teil kommen noch biblische Motive hinzu. Die Schlange umgarnt den kleinen Prinzen, der sich nach seinem Heimatplaneten zurücksehnt, und bietet ihm den „Kuss“ an, der ihn dorthin zurückbefördert. Als plötzlich eine ganze Schar von roten Rosen auftaucht, zeigt sich der kleine Prinz verunsichert ob des Verlustes der Einzigartigkeit. Der Fuchs kommt als pragmatischer Freund, der ihm die Regeln in der Welt der Menschen erklärt und ihn damit in eben dieser Welt willkommen heißt.

Erst danach trifft der kleine Prinz den Piloten, dem er all diese Erlebnisse erzählt hat. Der Pilot hat inzwischen sein Flugzeug repariert. Seine eigenen Sorgen bleiben im Hier und Jetzt, und die metaphysische Verunsicherung des kleinen Prinzen versteht er erst, als es zu spät ist. Der kleine Prinz, enttäuscht von dieser rationalen Welt ohne echte Freunde, lässt sich auf den Vorschlag der Schlange ein und stirbt einen irdischen Tod; doch sein Leib verschwindet vollständig, und der Pilot trauert um diesen einmaligen und ungenutzten Kontakt zu einer anderen Welt.

BRian McNeal (Schlange) und Davidson Jaconello (Prinz)Diese Handlung kann man vielfältig deuten. Es kann eine Parabel auf Geburt, Leben und Tod darstellen, mit all den Möglichkeiten eines Lebens, man es kann jedoch auch als die Rückschau eines Menschen auf ein Leben der verpassten Gelegenheiten und der großen Irrtümer sehen. Die Stärke dieses Buches ist gerade seine Schlichtheit, die in diesem Fall tatsächlich mit Größe gleichzusetzen ist. Der Verzicht auf moralische Plattheit oder hohes Pathos lassen die Szenen und die Erkenntnisse um so mehr an Bedeutung gewinnen.

Wie kann man ein solches Stück, das bewusst auf eine schlüssige Handlung verzichtet und weitgehend im symbolischen Raum bleibt, tänzerisch darstellen? Dominique Dumais, stellvertretende Intendantin und Choreografin des Nationaltheaters, hat sich dieser Herausforderung gestellt und eine Choreografie entwickelt, die den Inhalt des kleinen Buches im Sinne eines „Handlungsballetts“ verständlich auf die Bühne bringt. Es geht also darum, dem Publikum eine Geschichte zu erzählen und nicht nur Befindlichkeiten tänzerisch darzustellen. Um das Verständnis der Handlung sicherzustellen, setzt sie an wenigen Stellen punktuell Sprache ein. Ansonsten sprechen die Szenen für sich.

Musikalisch hat sie das Stück mit einer breiten Palette von Kompositionen unterlegt. Neben Werken bekannter Musiker wie Christoph Graupner (1683-1760), Thomas Adès (*1971), David Lang (*1957), Alfred Schnittke (1934-1998) und Arvo Pärt (*1935) verwendet sie vor allem die Musik des jungen Julien Guiffes, die dieser speziell für diese Choreografie komponiert hat. Dabei ordnet sie den Darstellungen der menschlichen Charaktermerkmale (s.o.) die Musik der Fremdkomponisten zu. Diese Palette beginnt mit Graupners „Partita für Cembalo“, zu der Julie Pécard den Part der einsamen, herrschüchtigen Königin tanzt und dabei ein wenig an Mozarts „Königin der Nacht“ erinnert.

Den Prolog und das erste Aufeinandertreffen von Pilot und kleinem Prinz unterlegt sie mit Julien Guiffes´ Musik. Der Prolog spielt dabei noch eine besondere Rolle, da er die Bedeutung des Zeichnens in der Handlung hervorhebt. Dazu lässt sie über einen Projektor Sandzeichnungen auf einer transparenten Glasplatte erstellen. Mit dieser Technik lassen sich Zeichnungen genauso schnell und leichthändig erstellen wie auch wieder entfernen. Fast zwangsläufig ergibt sich daraus eine Allegorie auf die Vergänglichkeit alles Kreativen und damit des Lebens.

Das hatte wohl auch Antoine de Saint-Exupéry im Sinn, als er seinen kleinen Prinzen den Piloten als erstes darum bitten ließ, ihm ein Schaf zu zeichnen. Zwei Entwürfe lehnt er ab, erst der dritte – eine geschlossene Schachtel, in der man das Schaf vermuten kann – akzeptiert er. Auch dies lässt sich wieder interpretieren auf das Undarstellbare des Lebens, wie es ja auch einige Religionen kennen.

Tatjana von Weisum hat für die Choreografie ein Bühnenbild entworfen, das über zwei invariante Elemente verfügt: an der Bühnenrückwand prangt eine große Sonne, die mit den Tageszeiten und den Erzählungen ihre Farbe ändert und die unerbittliche Hitze der Wüste – sprich: des Lebens – darstellt. Davor geben einige geschwungene Elemente die Dünenlandschaft der Wüste wieder. Auf einem von Zeit zu Zeit herabsinkendem Gaze-Vorhang wird eine – offensichtlich realistische – Sternenlandschaft projiziert, die sich langsam aber stetig bewegt. Auch hier vergeht die Zeit, nichts ist ewig und statisch.

In dieser Umgebung tanzt Davidson Jaconello in grünem Kostüm den kleinen Prinzen als heiteres Wesen, dessen Naivetät alle pragmatischen Gesichtspunkte seiner Umwelt zunichte macht. Den Piloten tanzt – im hellen Khaki-Anzug des Wüstenfliegers – Tyrel Larson. Diese beiden gestalten im Wesentlichen den Ablauf des Abends, nur unterbrochen von den anderen allegorischen Figuren. Der Pilot ist dabei ganz Vertreter der hiesigen, auf das Technische und Machbare fixierten Welt, während der kleine Prinz für alle nicht sichtbaren aber fühlbaren Dinge steht. Der Tanz der beiden Protagonisten zeigt deutlich, dass sich der Pragmatiker von diesem Naiven verunsichert fühlt und ihm nicht ohne eine gewisse Ablehnung oder gar Aggressivität begegnet. Erst gegen Ende des Stücks erkennt der Pilot die Bedeutung dieses fremden Wesens.

Da eine eigentliche Handlung nicht vorliegt, müssen die Tänzer seelische und transzendente Allegorien und Assoziationen durch Bewegungen wiedergeben, was nicht immer einfach ist und des Öfteren zum Selbstzweck gerät. Dann verliert sich der Bezug des Tanzes zur Aussage des Stücks. Nur dort, wo eindeutige menschliche Interaktion oder Eigenschaften darzustellen sind, sind die tänzerischen Figuren auch Abbild der Aussage. Das gilt in erster Linie für die anfangs erwähnten menschlichen Eigenschaften, die sich in schönster Märchenhaftigkeit auf der Bühne entfalten. Die herrschüchtige Königin rauscht über die Bühne und demütigt den kleinen Prinzen, die Eitle windet sich um ihre Spiegel, die Geschäftsfrau stöckelt energisch in ihrem „Business“-Kostüm über die Bühne, und der Geograf schwebt als weltfremder Wissenschaftler in einer Art Heißluftballon über der Bühne.

Eine Attraktion ist auch die Schlange, getanzt von Brian McNeal. Im goldenen Kostüm schlängelt er sich über die Bühne und um den kleinen Prinzen, dass ihm die Gefahr buchstäblich aus den Poren steigt. Der Fuchs wiederum (Luis Eduardo Sayago) kommt als freundschaftlicher Philosoph im karierten Rock daher, der seine Ratschläge erteilt, dann aber den Prinzen sich selbst überlässt.

Die Choreografie lebt über lange Strecken von ihrer Märchenhaftigkeit, den farbigen Kostümen und den Interaktionen zwischen den Figuren. Dort hat sie auch ihre stärksten Szenen. Doch immer dann, wenn es um die Darstellung der inneren Befindlichkeiten der Protagonisten geht, entfernt sich der Tanz von der eigentlichen Geschichte und dreht sich eher um sich selbst. Dennoch ist diese Choreografie als Gesamtkunstwerk von Tanz, Bühne und Musik durchaus sehenswert. Der kräftige Beifall des Publikums ist dafür zwar kein Beweis, jedoch immerhin ein Indiz.

Frank Raudszus

 

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