Hans Falladas „Wolf unter Wölfen“ im Deutschen Theater Berlin

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Meike Droste (Petra Ledig), Katharina Marie Schubert (Devisenvamp / Ida vom Alex / Koksnutte vom Kudamm / Eva von Prackwitz)

Rette sich, wer kann – oder: jeder ist sich selbst der Nächste  

Das Deutsche Theater Berlins liegt nur wenige Gehminuten vom Bahnhof Friedrichstrasse entfernt und befindet sich neben den Bühnen des Berliner Ensembles und des Friedrichstadtpalasts im Herzen eines Quartiers ehrgeiziger kultureller Darbietungen. Im Sommer dieses Jahres hat das Schauspiel „Wolf unter Wölfen“ seinen festen Platz im Programm. Nach dem Roman von Hans Fallada hat John von Düffel diese Inflationsrevue für die Theaterbühne aufbereitet. Wie die Genrebezeichnung anschaulich zeigt, spielt das Stück zur Zeit der großen Inflation, die dem Ersten Weltkrieg folgte. Ebenso gibt der Begriff Revue einen mehr als treffenden Ausblick auf die Art der Darbietung, welche in sanftem Blick über diese Jahre und szenischen Episoden in und um Berlin herum schweift.

Die Stimmung der frühen Zwanziger war wohl sehr zwiespältig. Einerseits litten Staat und Volksempfinden unter hohen Reparationszahlungen, die an die Siegermächte des verlorenen Krieges abzutreten waren. Andererseits war man der Vollbeschäftigung nahe, und die milden Sommer brachten hervorragende Ernten ein. Doch infolge des Krieges waren die Schuldenlasten so immens geworden, dass die deutsche Reichsregierung schon seit geraumer Dauer versuchte, der Ausgaben durch vermehrten Banknotendruck Herr zu werden. Dies erwies sich auf kurze Sicht als erfolgreich, führte aber zu einem unvergleichlichen Wachstum des umlaufenden Geldvermögens, welches, den Gesetzten einfacher Mathematik folgend, zu dessen rapider Entwertung beitrug.
 
Der schwindelerregende Fall der Reichsmark verdrehte die Werte der Gesellschaft, als das Sparen völlig irrsinnig wurde und einzig Konsum und Investition in Sachgüter das alltägliche Leben bestimmten. Der umsichtige Bürger häufte über die Jahre Schulden an und schaffte sich neben deren Entwertung durch Eigentumserwerb stattliche Vermögenswerte. Viele andere gaben sich der Verführung hin, in einer der aus dem Boden sprießenden Spielsalons ihr großes Glück zu finden, um sich das Gewonnene dann doch umgehend in den umliegenden Bars und Etablissements durch die Finger rinnen zu lassen.

John von Düffel erzählt in seinem Schauspiel von Petra und Wolfgang,einem mittelosen Liebespärchen aus Berlin. Die Liebenden möchten heiraten, sind jedoch kaum in der Lage, ihre Miete für den kleinen Unterschlupf aufzubringen. Nur Wolfgang arbeitet, doch er ist der Spielsucht verfallen und verzockt buchstäblich jeden Heller. Als er ein weiteres Mal hinauszieht, um ein letztes ihm von seiner Mutter überlassenes Kunstwerk zu versilbern – denn nicht mal Geld für die Traugebühren ist noch da -, gerät Peter in einen Streit mit der Hauseigentümerin und einer leichten Dame aus der Nebenwohnung. Eben diese ist sich nicht zu schade, als, so wörtlich im Programmheft, „Koksnutte vom Kudamm“ ihr täglich Brot zu verdienen und somit auch ihre Miete zu zahlen. Sie denunziert Petra, die daraufhin verhaftet wird und  unter dem Verdacht der Verwahrlosung und diverser Milieukrankheiten von der Bühne verschwindet.

Meike Droste (Petra Ledig), Ole Lagerpusch (Wolfgang Pagel) Wolfgang kehrt schließlich mit harten Devisen zurück, doch findet er nur seine verwaiste Wohnung und die schnell zu Tränen gerührte Vermieterin. Auch wenn sie im Angesicht der begehrten Dollars um Vergebung fleht und gegenüber der Polizei Ihre Anzeige gegenüber Petra zurückziehen möchte, bleibt diese vorerst in Haft. Für Wolfgang bricht die letzte haltende Hoffnung  zusammen –  die Devisen stellen ohne seine Liebe keinen Wert mehr dar. Sein Leben dreht sich weiter wie ein riesiger Roulettekessel – ewig im Kreis – mal kommt rot, mal schwarz, mal die grüne Null. Das Bühnenbild ist nun ein übergroßer Roulettekreisel, aus dem ein Entfliehen unmöglich scheint.
Im Taumel des Spiels begegnet Wolfgang alten Kameraden aus der Armee. Längst sind die Einheiten aufgelöst, aber die Befindlichkeit der Ränge haben sich erhalten. So sieht sich der Rittmeister außer Dienst noch immer als gestandener Offizier, vor dem Wolfgang seinen Respekt zu haben aber vor allem zu zeigen hat. Gespielt von Peter Jordan, präsentiert der Herr Rittmeister a. D. eine glänzende, emotional aufgeladene und mitreißende Rolle! ER schafft es schließlich, Wolfgang und einen weiteren Kameraden davon zu überzeugen, die im Chaos versinkende Hauptstadt Berlin für das Landleben auf einem Gut zu verlassen.

Nach der Pause springt man in einen ländlichen Naturbadesee – und nicht nur dieser erfreut sich daran, die früheren Soldaten in ihrer von der Natur geschaffenen Pracht abkühlen zu dürfen, sondern auch der Zuschauer ‚genießt‘ die freie Aussicht. Das verruchte Stadtleben wandelt sich nun zu einem von Ackerbau geprägte Landgutdasein. Darstellerisch gesehen wird alles etwas weicher und freundlicher, engagierter am Erfolg des Guten ausgerichtet – es entstehen echte Perspektiven. Aber auch das Land hat seine Tücken – wenige Landschönheiten, die vielen den Kopf verdrehen, nächtliche Ackerdiebe und ausbeuterische Verpächter. Somit bleibt auch die zweite Hälfte des Stücks spannend – aber eben auf ihre ganz eigene, ungezwungene und doch auch positivere Art.

Das Theaterstück überzeugt durch seine schauspielerischen Leistungen und die hervorragende Herausarbeitung der harten Seiten der frühen zwanziger Jahre. Man wünscht sich manchmal, es wäre nicht alles so peinigend, traurig und aussichtslos gewesen. War es durchgehend so perspektivlos? Hat jeder in einer gewissen Depression vor sich hingelebt und einzig für sich und mit sich gekämpft? Wir wissen es heute nicht mehr, aber wünschen unseren Großeltern und Eltern, dass sie doch auch einige fröhliche Momente hatten. Unser heutiges Leben erscheint dagegen überschwänglichen luxuriös. Hoffen wir, dass die Politik Ihre Lehren aus dieser Zeit für die andauernde Eurokrise immer im Hinterkopf behält.

Malte Raudszus

Alle Fotos © Arno Declair

 

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