Joachim Kaiser: „Sprechen wir über Musik“

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1306_kaiser_musik.jpgFragen an den führenden Musikkritiker des deutschen Feuilletons
Joachim Kaiser, Jahrgang 1928, gilt unbestritten als der führende Musikkritiker der deutschen Presselandschaft. Bereits seit 1959(!) schreibt er für die „Süddeutsche Zeitung“ die einschlägigen Rezensionen und wird dabei trotz seines mittlerweile hohen Alters von 86 Jahren nicht müde. Seine Autobiographie haben wir bereits hier vorgestellt. Im Magazin der SZ beantwortet er Leserfragen zum Thema „Klassische Musik“, wobei er schon diese Einordnung wahrscheinlich als Schubladendenken bezeichnen würde. Er selbst sagt von Haydn, Mozart und Beethoven, sie hätten nicht gewusst, dass sie „Klassiker“ waren.
Das vorliegende Hörbuch stellt eine Auswahl typischer Fragen und Antworten zusammen, wobei der Autor sie nach bestimmten Themengebiten geordnet hat. Eine weibliche Stimme stellt die jeweilige Leseranfrage vor, und Joachim Kaiser beantwortet sie in seiner typischen Redeweise, die ein wenig langsam und bisweilen schwerfällig anmutet. Das ist jedoch offensichtlich darauf zurückzuführen, dass sich Kaiser bei jeder Antwort Zeit lässt und die Worte sorgfältig wählt.
Auf der ersten CD geht es im Wesentlichen um die Wirkung von Musik, wobei Kaiser zwischen Instrumental- und Bühnenmusik unterscheidet. Er geht auf die Frage ein, ob Musik „herzergreifend“ sein solle, ob man sich also der Gefühlswirkung ohne schlechtes Gewissen auissetzen könne. Kaiser erteilt dem emotionalen Klassik-Hörer Absolution und verzichtet auf jegliche Vorgabe vom hohen Ross der Musikkritik. Für ihn ist Musikrezeption in hohem Grade subjektiv und die Musik zielt für ihn in erster Linie auf die Emotionen ab. Dazu verweist er unter anderem auf Mozart. Eine Antwort widmet er explizit dem Begriffspaar „Herz und Verstand“, eine andere „Genie und Wahnsinn“.
Auch dem Falschspielen weist er eine Existenzberechtigung zu, weil man sonst Dilettanten die aktive Musikausübung verbieten müsse. Natürlich darf ein Profi keine falschen Noten spielen, aber der Amateur spielt besser ein paar falsche als gar keine Noten. Teilweise geht er in seinen Antworten auch sehr ins Detail, so wenn er einmal auf eine „Pointe in Takt 138“ eines Werkes eingeht. Da sollte der Fragesteller die Partitur schon kennen oder mindestens zur Hand haben.
Auf der zweiten CD geht Kaiser aun Interpreten und Dirigenten ein. Karajan, der nach seinem Tode von so manchem Feuilletonisten schon beinahe als Aufschneider verspottet wurde, lässt er eine ausdrückliche Ehrenrettung zukommen, indem er ihn zu einem der bedeutendsten wenn nicht genialsten Dirigenten des 20. Jahrhundert erklärt. Natürlich darf die Droge „Mahler“ nicht fehlen, die laut Kaiser oft von den falschen Interpreten eingeworfen wird, und den Schnellspielern unter den Pianisten begegnet er mit verhaltenem Spott, auch wenn er die jeweilige technische Perfektion anerkennt.
Die Frage, was Schubert oder Mozart bei längerem Leben noch geschaffen haben könnten, verweist er in das Reich der bloßen Spekulationen, da niemand über die „Hätte“ und „Wenns“ Auskunft geben könne, genauso wie die Fragen nach dem „größten“ Pianisten, Geiger oder Dirigenten. Hier spürt man eine leichte Ungeduld des Kritikers. Ahnt er doch, dass viele Fragesteller von ihm nichts anderes wollen als die Sicherheit, in einer Diskussion immer Recht zu behalten. Wenn Bach laut Kaiser der größte Komponist aller Zeiten wäre, könnte man sich diese Meinung getrost zueigen machen. Gerade das aber lehnt Kaiser ab: es gibt in der Musik – wie überhaupt in der Kunst – keine objektive Rangliste wie etwa im Sport, und wer das nicht akzeptiert, hat das Wesen der Kunst nicht verstanden. Kaiser drückt das nicht so direkt aus, aber die Botschaft ist dennoch unüberhörbar.
Auch bei seiner eigenen Zunft und Person macht er nicht halt. Er gesteht ein, dass Kritiker und damit auch er selbs eitel seien. Sie suchen nach der unübertroffenen Formulierung, sind gerne im Recht und belehren gerne. In einem gewissen Rahmen hält er das für legitim, darüber hinaus natürlich nicht. Von da aus kommt er zu Bedeutung und Existenzberechtigung der Musikkritik, die er natürlich nicht bestreitet. Er lässt sich über den Deutungsdrang ebenso aus wie über die Publikumswünsche und „Kritikerfallen“.
Der Hörer erfährt in diesen zwei Stunden sehr viel über Musik allgemein, über bestimmte Werke, Komponisten, Interpreten und Dirigenten. Bei manchen Fragen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, der Fragesteller wolle damit nur seine Bildung und Originalität beweisen, denn oftmals beinhalten die Fragen implizit bereits die Antworten. Joachim Kaiser erkennt diese Intention sicher, ignoriert sie aber erst einmal und beantwortet auch solche rhetorischen Fragen ernsthaft, als gehe es jedesmal um die Lösung eines Problems. Dabei ergibt sich auch stets eine neue Sichtweise.
Das Hörbuch umfasst zwei CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 126 Minuten, ist im Hörverlag unter der ISBN 978-3-86717-940-9 erschienen und kostet 13,99 Euro.

Frank Raudszus

 

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