Das Städel-Museum widmet dem italienischen Künstler Piero Manzoni die Ausstellung „Als Körper Kunst wurde“

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Linie et al. in Dosen

Das Städel-Museum widmet dem italienischen Künstler Piero Manzoni die Ausstellung „Als Körper Kunst wurden“

In diesen Tagen wäre Piero Manzoni achtzig Jahre alt geworden. Er starb jedoch bereits im Jahr 1963 als knapp Dreißigjähriger an einem Herzinfarkt. Fast könnte man diesen Lebenslauf typisch für ihn nennen, denn er sprengte auch mit seiner Lebenszeit den Rahmen der üblichen Erwartungen. Manzoni gilt als einer der radikalsten Künstler des letzten Jahrhunderts, da er die Moderne konsequent und kompromisslos bis zur ultimativen Reduktion fortgeführt hat. Den traditionellen Kunst- und Werkbegriff, der auf handwerklicher Qualität und einer erkennbaren, individuellen Wertschöpfung beruhte, hatte schon Marcel Duchamp mit seinen „ready mades“ hinter sich gelassen und stattdessen Alltagsgegenstände aus der Fließbandproduktion in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit gestellt. Manzoni geht noch weiter: er verzichtet erst auf Gegenständlichkeit, dann auf Farbe und schließlich auf ein „werthaltiges Produkt“ überhaupt, das heißt, am Ende mündet sein Kunstbegriff in reine Konzeptkunst und wandert weitgehend zum Betrachter.

Kurator Dr. Martin Engler hat die Ausstellung in drei Bereiche gegliedert, die Manzonis Schaffen in einen chronologischen Kontext stellen und seine Entwicklung widerspiegeln. Im Eingangsraum trifft der Besucher auf Gemälde, die zwar bereits deutlich abstrakte Züge aufweisen, aber immer noch einen figurativen Rest enthalten. So kann man das „Kind mit seinem Spielzeug“ tatsächlich noch identifizieren. Dieser Raum enthält auch Monitore, die Interviews mit verschiedenen Künstlern zeigen, sowie Werke von Zeitgenossen Manzonis, die ihn inspiriert haben und von ihm inspiriert wurden, etwa Lucio Fontana, Alberto Burri oder Yves Klein. Außerdem finden sich hier Werke von zeitgenössischen Künstlern – Erwin Wurm, Leni Hoffmann und Bernard Bazile -, die Manzonis Ansatz aufgenommen und weiterentwickelt haben.
Im nächsten Raum findet man vor allem die „achromen“ Werke Manzonis. Diese „Bilder“ – wenn man sie denn so nennen will – sind weder farbig noch monochrom, sondern mehrheitlich überhaupt nicht aus herkömmlichen Farben erstellt, sondern aus Gips, Kaolin (Teererde) oder gar synthetischen Fasern. Manzoni wendete sich hier zum ersten Mal von der herkömmlichen Technik der Malerei ab und ließ das Material – oder besser die Materie – sprechen. Manzoni ging es dabei um die Oberflächen und Texturen der unterschiedlichen Materialien. Dass die Bilder überwiegend einen „weißlichen“ Farbton aufweisen, liegt am Material, ist jedoch nicht als Farbe Weiß gemeint. Vor allem die Körperlichkeit der Materialien ist ihm dabei wichtig, und er unterstrich dies auch dadurch, dass er beliebige Gegenstände des Alltags, z. B. Brötchen, in die Bildkonstruktion einbezog und sie ebenfalls mit dem jeweiligen Material überzog. Von diesen Arbeiten hat Manzoni weit über hundert Exemplare erschaffen, von denen in dieser Ausstellung nur eine bregenzte Zahl zu sehen ist. Zum Vergleich sind ähnliche Werke von Zeitgenossen Manzonis zu sehen.

Manzoni:
Die „Achromes“ schließen sich als Ring um einen zentralen Teil, in dem Manzonis Arbeiten auf dem Gebiet des Körperlichen zu sehen sind. Und dieser Kern ist nicht nur das meist Diskutierte sondern auch das Ambivalenteste wenn nicht gar Fragwürdigste seines gesamten Schaffens. Die Reduktion des darstellerischen Kunstwerks trieb Manzoni weiter in seinen „Linien“-Konzept. Dabei reduzierte er das eigentliche „Bild“ nicht nur auf eine durchlaufende Linie, sondern ordnete diese auch auf einer Endlos-Leinwand an, die er anschließend zusammenrollte und ihn einer Dose unsichtbar verschloss. Das Kunstwerk verschwand damit vollständig aus dem Gesichtskreis des „Betrachters“ – den wir hier daher in Anführungsstriche setzen – und existierte nur noch in dessen Vorstellung.
Manzoni radikalisierte dieses Konzept noch, indem er die Körperlichkeit an sich zum Kunst- wenn nicht Kult-Objekt erklärte. Es beginnt noch recht harmlos und fast humoristisch damit, dass er Menschen oder einzelne Gliedmaßen von Ihnen zum Kunstwerk erklärt und sie eigenhändig signierte. Später hat er die Atemluft von Menschen – speziell von sich und anderen Künstlern – in Luftballons gesammelt sowie – als Höhepunkt der künstlerischen Provokation – seinen eigenen Kot eingedost und als „Merda d´artista“ („Künstlerscheiße“) zum Kunstwerk erklärt hat. Es liegt natürlich nahe, dass so mancher Kritiker die Bezeichnung dieses Werks auf Manzonis gesamtes Schaffen angewendet hat.
Die radikale Umwertung des Kunstbegriffs mündet in große Sockel aus Holz oder anderen Materialien, wie man sie als Basis für Skulpturen nutzt. Manzoni brachte auf diesen Sockeln Fußspuren an, auf die sich Betrachter stellen sollten, womit sie automatisch zum Kunstwerk wurden. Fast logischer Höhepunkt dieses Sockel-Konzepts ist ein umgedrehter Sockel, auf dem damit die gesamte Erdkugel steht, die damit zum Kunstwerk erklärt wird.

Abgesehen von dem eher unappetitlichen Detail der „Merda d´artista“ wirft diese Verlagerung des Kunstbegriffs aus dem Künstler in die Vorstellung des Betrachters schwerwiegende logische Folgen auf. Von jeher hat sich der Künstler als Sachwalter, Schöpfer und Deuter des Kunstbegriffs gesehen, ob mit oder gegen die jeweilig herrschende Kunstauffassung. Nie kam ein Künstler auf die Idee, auf diese Autonomie zu verzichten. In dem Augenblick, in dem er die Deutung in den Betrachter verlagert, verliert er nicht nur die Deutungshoheit sondern auch die Unabhängigkeit. Denn in diesem Augenblick steht und fällt der Kunstcharakter eines Werks mit der Meinung des Betrachters. Und wenn die überwiegende Mehrheit etwa im wahrsten Sinne des Wortes als „Künstlerscheiße“ betrachtet, ist das keine inkompetente, aggressive Meinungsäußerung eines Kunstbanausen sondern eine unumstößliche Tatsache. Wenn ich mich nicht auf den Sockel stelle, bin ich kein Kunstwerk, und wenn ich mir die Linie (oder anderes) in der Dose nicht als Kunstwerk vorstelle, ist es auch keins. Der Betrachter ist nach diesem Konzept die einzig autonome Instanz, und er kann sie nach Gutdünken nutzen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.

Der provozierende Charakter, den Manzonis Werke in den fünfziger Jahren noch aufgewiesen haben mag, ist mittlerweile weitestgehend verlorengegangen, und damit stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieses Künstlers, der das Spiel mit der Provokation und die Position des Bürgerschrecks vielleicht nur aus aristokratischer Langeweile gesucht hat. Man möchte es nicht unbedingt als falsch bezeichnen, ihm im Städel-Museum eine eigene Ausstellung zu widmen, aber die kritische Frage nach der Sinnhaltigkeit ist durchaus gerechtfertigt.
Die Ausstellung „Als Körper Kunst wurde“ ist vom 26. Juni bis zum 22. September 2013 dienstags und freitags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags von 10 bis 21 Uhr geöffnet.
Frank Raudszus

 

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