Darmstädter Bürger spielen mit Unterstützung des Staatstheaters Gustav Mahlers 8. Sinfonie

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Probe zur Uraufführung in der Neuen Musik-Festhalle München
Eine Stadt musiziert  

Darmstädter Bürger spielen mit Unterstützung des Staatstheaters Gustav Mahlers 8. Sinfonie
Irgendwann im vergangenen Jahr saßen Martin Lukas Meister, Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt, und Joachim Enders, Leiter der Bessunger Kantorei, eines Nachmittags zusammen, „arbeiteten wenig und redeten viel“. Dabei stellten sie fest, dass Darmstadt über ein ausgesprochen reiches Musikleben verfüge und dass man dieses einmal zu einer großen Aufführung zusammenführen müsse. Bei diesem Wunsch blieb es lange, da es den verschiedenen Musikvereinigungen an organisatorischen Mitteln und natürlich am Geld mangelte. Doch schließlich gelang es, mit Hilfe des Staatstheaters ein Konzert vorzubereiten, die Proben zu organisieren und schließlich die Aufführung im Großen Haus des Staatstheaters sicherzustellen.

Um möglichst viele Musikausübende einzubinden, entschied man sich für ein orchestrales Chorwerk und fand in Gustav Mahlers 8. Sinfonie, die wegen ihres enormen Personalaufwands auch „Sinfonie der Tausend“ genannt wird, das ideale Werk.

Unter diesen 152 Musikern saßen lediglich 15 „Profis“ aus dem Orchester des Staatstheaters, um bestimmte Instrumentengruppen zu verstärken.

Probe zur Uraufführung in der Neuen Musik-Festhalle München (Quelle: Wikipedia)

Dazu kamen Sängerinnen und Sänger aus verschiedenen Darmstädter Chören. Insgesamt waren – außer dem Staatstheater Darmstadt – folgende Musikvereinigungen vertreten:
Kinderchor des Staatstheaters Darmstadt Bessunger Kantorei Chor der Technischen Universität Musikverein Darmstadt e. V. Orchester der Technischen Universität Sinfonietta Darmstadt sowie zahlreiche kleinere private Ensembles.

Als sich pünktlich um 20 Uhr der Vorhang hob, entfuhr dem Publikum im ausverkauften Haus ein spontaner Ausruf des Erstaunens. Die Bühne war bis zum letzten Quadratzentimeter gefüllt, und an der Rückwand erhob sich der aufsteigend angeordnete Chor gefühlt bis zur halben Raumhöhe. Dazu zogen links und rechts auf den Zugängen die Kinderchöre auf, für die auf der Bühne einfach kein Platz mehr war. Die einheitliche Kleidung der Chormitglieder – die Orchestermusiker waren eher individuell gekleidet – erzeugte einen festlichen Eindruck, der dem Anlass durchaus angemessen war.

Zuletzt erschienen die Gesangssolisten aus dem Opern-Ensemble des Staatstheaters:
Julie Davies, Susanne Serfling und Margaret Rose Koenn (Sopran) Anja Bildstein, Elisabeth Hornung (Alt) Lasase Penttinen (Tenor) Oleksandr Prytolyuk (Bariton) Thomas Mehnert (Bass) und stellten sich an Bühnenrand auf. Nachdem schließlich auch Dirigent Martin Lukas Meister erschienen war, konnte es losgehen.

Mahlers Sinfonie ist in zwei Teile gegliedert. Der erste intoniert den mittelalterlichen Pfingsthymnus „Veni, Creator Spiritus“, der aus acht je vierzeiligen Einheiten besteht. Diesen intoniert großenteils der Chor in verteilten Rollen, dazwischen treten immer wieder die Solisten auf und interpretieren einzelne Strophen in herausgehobener Weise. Das Orchester leistet dabei mehr oder weniger die musikalische Untermalung, ohne dabei jedoch in eine bedeutungslose Begleitung zu verfallen. Obwohl Chöre und Solisten durch den nahezu ununterbrochenen Vortrag des Textes sozusagen die Regie führen, erweist sich der Orchesterpart durchaus nicht als unbedeutend. Zwar tritt das Orchester vor allem bei den kunstvoll aufgebauten Wechselgesängen der acht Solisten in den Hintergrund, meldet sich jedoch bei der Aufnahme neuer Themen wieder machtvoll zu Wort und zeigt dann die komplexe Struktur der Partitur, wie man sie von Mahler gewohnt ist. Erstaunlich ist dabei, wie es dem Orchester und dem Dirigenten gelungen ist, in der kurzen Zeit und unter der Randbedingung, dass viele „Hobby-Musiker“ im Berufsleben stehen und nur begrenzte Zeit für die Musik haben, ein solch homogene Klangwirkung zu entfalten. Wenn auch nicht immer alle Einsätze perfekt passten – wer kann das bei einem so großen Orchester aus überwiegend Amateren schon verlangen? -, so wirkte doch der Gesamteindruck ausgesprochen stimmig und klanglich überzeugend.

Gleiches gilt für den Chor, der aus verschiedenen Chören mit unterschiedlichem Hintergrund hinsichtlich „Sangeskultur“, Erfahrung und Gewohnheiten besteht. Auch hier beeindruckte die feine Abstimmung sowohl in der Intonation als auch in der Dynamik. Man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass dieses Ensemble schon längere Zeit zusammen singt. Aufgrund dieser konzentrierten und ausgefeilten Interpretation des „Veni, Creator“ entstand eine hymnische, fast transzendete Atmosphäre, zzu der Mahlers Klanggemälde natürlich wesentlich beitrugen.

Der zweite Teil besteht aus einer Vertonung der Schlussszene aus Goethes „Faust II“, beginnend mit „Waldung, sie schwankt heran“ und endend mit „Das ewig Weibliche, zieht uns hinan“. Ein langes Orchestervorspiel mit einem innigen Adagio und einem etwas lebhafteren Scherzo führt auf den Vokalvortrag hin, das mit dem Chor beginnt. Anschließend treten die einzelnen Solisten auf: Oleksandr Prytolyuk als „Pater Ecstaticus“ und Thomas Mehnert als „Pater Profudus“. Die Sänger zeigten dabei ihr beeindruckendes Stimmvolumen und bestachen durch ihre Bühnenpräsenz. Dann folgen wieder verschiedene Chorpartien mit dem „Chor seliger Knaben“, „Die jüngeren Engel“, bevor Lasse Penttinen als „Doctor Marianus“ explizit auf die Bedeutung der Frauen verweist.

Diese kommen dann nach weiteren Chor-Zwischenspielen – Chor der Büßerinnen und Una“ – in Gestalt der „Magna Peccatrix“ (Susanne Serfling), der „Mulier Samaritana“ (Anja Bildstein), der „Maria Aegyptiaca“ (Elisabeth Hornung) zu Wort, wobei die drei Sängerinnen die Strophen nach „Die du großen Sünderinnen“ in einer Art Fuge interpretieren. Der strahlende Sopran von Juie Davies kam hier ebenso zur Geltung wie der lyrische von Susanne Serfling. Die Altstimmen von Anja Bildstein und Elisabeth Hornung setzten dagegen die dunkleren Akzente.

Der äußerst intensive und musikalisch vielschichtige Schluss ist ein feines Gewebe aus Chorstimmen und Solisten, so die „Seligen Knaben“ versus „Una Poenitentum“ oder der „abschließende „Chorus Mysticus“, der „Doctor Marianus“ und die Mater Gloriosa“, die im Wechsel und engen Zusammenspiel die letzten, mittlerweilen zur sprachlichen Ikone geronnenen Zeilen aus Goethes „Faust II“ intonieren. Dabei erreichte der Vortrag eine derartige Intensität transzendentaler Emotionen, dass kein Laut mehr aus dem Publikum zu hören war.

Es wäre schön gewesen, wenn die Zuhörer nach den letzten Tönen einige Sekunden Stille bewahrt hätten, um die Wirkung einsinken zu lassen. Bei manchem war jedoch der Mittelungsdrang so stark, dass die ersten „Bravo“-Rufe und andere Beifallskundgebungen unmittelbar in das Verklingen des Schlussakkords fielen.

Das Ensemble hatte den begeisterten Beifall des Darmstädter Publikums mehr als verdient, und zwischen Bühne und Zuschauerraum dürften dabei viele Blicke gewechselt worden sein. Standen doch auf beiden Seiten viele Familienangehörige. Nicht nur den aktiv Beteiligten an diesem Konzert dürfte dieser Abend noch lange in Erinnerung bleiben.

Eine zweite Aufführung findet am 22. Juni statt.
 

Frank Raudszus

 

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