Das Staatsballett Berlin präsentiert Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“

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Irdisches und Überirdisches im traumhaften Zweikampf

Das Staatsballett Berlin präsentiert Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“
Das Staatsballett Berlin führt derzeit Tschaikowskis Ballett „Schwanensee“ in den Räumlichkeiten der Deutsche Oper Berlin (DOB) auf. Wie in vielen anderen Kulturstätten Berlins, lädt auch die Deutsche Oper Berlin regelmäßig zu einem Einführungsgespräch zuder jeweiligen Aufführung ein. Neulingen, aber auch erfahrenen Besuchern bietet sich mit diesem dreißig minütigen Vortrag stets die Gelegenheit einer Einstimmung auf das Werk. Für gewöhnlich, wie auch in diesem Fall, wird kurz der Ablauf der Erzählung rezitiert. Im Anschluss folgen Hintergründe zur Entstehung und zu federführenden Persönlichkeiten sowie Interpretationsansätze zur möglichen Aussage des Komponisten.

Bei „Schwanensee“ handelt es sich um eines der bekanntesten Ballette überhaupt. Zur Musik von Peter Tschaikowski wurde es im Jahr 1877 im Bolschoi Theater Moskau uraufgeführt. Die Wiederaufnahme durch die Deutsche Oper Berlin erfolgte vor vier Jahren im Oktober 2009 mit Choreographie und Inszenierung von Patrice Bart nach Marius Petipa und Lew Iwanow.

Die Handlung spielt im zaristischen Russland zu Lebzeiten Peter Tschaikowskis. Die Königin lebt mit ihrem Sohn Siegfried alleine und projiziert all ihre Wünsche auf ihn. Die Omnipräsenz der Mutter hält den Sohn im goldenen Käfig der Abhängigkeit. Auch Benno von Sommerstein, der enge Jugendfreund Siegfrieds, fürchtet die Auflösung ihrer Freundschaft, denn tatsächlich geht seine Zuneigung über eine Freundschaft hinaus. Es kommt zur Begegnung von Siegfried mit Odette, die mit ihrer Mischung aus Schwan und Mensch seine  Begierde weckt. Als Benno und die Königin die aufkeimende Liebe wahrnehmen und den Verlust ihres jeweiligen Geliebten fürchten, schmieden sie gemeinsam mit dem Premierminister Rotbart einen hinterhältigen Plan.

Es wird ein Ball zu Ehren Siegfrieds ausgerufen, bei welchem Odile, Rotbarts Tochter, ein Ebenbild von Odette, der Intrige den gewünschten Verlauf geben soll. Sie erscheint im Kontrast zu Odette und dem Corps de Ballett im schwarzen Tutu. Nach den ersten sehr distanzierten Annäherungen versucht die Königen noch Siegfrieds Eifersucht selbst zu wecken, indem sie Premier Rotbart zum „pas de deux“ auffordert. Dann umgarnen die anderen geladenen Prinzessinnen den Thronfolger mit individuellen, von Eleganz, Zärtlichkeit, Leidenschaft und Temperament geprägten Tänzen. Doch wie es scheint, hat Siegfried nur Augen für Odile, in welcher er Odette wiederzuerkennen meint. Er erliegt ihrem Elixier aus Schönheit, Distanz und Verlangen und lässt sich schließlich von Königin und Premier zum Schwur ewiger Treue treiben.

Plötzlich erscheint Odette im Hintergrund. Siegfried erkennt seinen Irrtum schmerzlich. Er verzehrt sich nach Odette, erfährt dafür von Mutter Königin und Premierminister Rotbart aber nur Spott und Gelächter. In Verzweiflung treibt es ihn an den See, wo er Odette um Vergebung bittet. Ebenso unerwartet taucht hier Rotbart auf, und Siegfried erkennt, dass dieser hinter der Verbannung Odettes zum Schwan steckt und außerdem Erfüllungsgehilfe seiner Mutter in der Intrige ist. Es kommt zum Kampf, in dem Siegfried den Premier tötet. Schließlich reflektiert Siegfried, dass er erst seine wahre Liebe verriet und nun noch zum Mörder wurde – Ausweg seines gescheiterten Daseins ist wohl nur noch der Tod. Er sucht und findet ihn im See. Die Königin bleibt einsam zurück.

Die Inszenierung von Schwanensee spiegelt die Dichotomie von Irdischem und Überirdischem wider. Siegfried kämpft gegen die irdischen Zwänge von Eifersucht, Missgunst, Neid und für die Erfüllung seines Traumes nach Liebe. Die Szenerie der Schwäne ist metaphorisch für das Überirdische, nicht Erreichbare, möglicherweise nicht einmal Reale sondern Substanz einer Traumwelt. Die Faszination des Fliegens mag als Ursprung des Balletts gesehen werden. Hierbei zeigen gerade die Schwäne eine besondere Anmut, Eleganz und Leichtigkeit trotz ihrer Größe. Im Tanz des Corps de Ballett sowie bei Odette tritt immer wieder der Flügelschlag durch die Armführung hervor. „Schwanensee“ der DOB ist ein Feuerwerk des Tanzes – aus lyrischer wie auch aus dramatischer Sicht. Und trotz der adoleszenten Darstellung in ihrer Komplexität empfiehlt sich das Ballett für die ganze Familie und somit auch für Kinder – vor allem wohl für kleine Mädchen, die zahlreich und mit großer Begeisterung der Aufführung zugesehen haben.

Das Bühnenbild sowie die Kostüme hat Luisa Spinatelli entworfen. Abgesehen von der zaristischen Ausprägung tritt das räumliche Arrangement in den Hintergrund und überlässt so dem Tanz und der Musik die gewünschte Präsenz im Fokus des Betrachters. Ein schönes Stilmittel ist der zarte Vorhang, der zeitweise auch während der Szenen hängen bleibt, da er durchsichtig ist und den Hauch von Nebel über einem winterlichen See verkörpert. Zumindest einmal wird die gesamte Bühne in ein Kontinuum aus flachem, dichtem Seenebel verwandelt, in dem die Schwäne langsam aus ihrem Schlaf erwachen und in die Höhe emporsteigen. Vorn gleitet der Nebel regenartig in den Orchestergraben nieder. Optisch gibt dies ebenfalls ein verwunschenes Stimmungsbild wieder und führt dabei glücklicherweise nicht zu einer Ohnmacht der Musik.

Das Orchester überzeugt durch seine musikalische Vielfältigkeit und den warmen Klangmantel, den es um das Publikum legt. Zu Beginn erfüllt das Solo einer Klarinette den Saal. Es untermalt das Heranwachsen Siegfrieds unter der Obhut seiner Mutter. Immer wieder wagt sich auch die Harfe mit ihren zarten aber sehr klaren Klängen in Form großer Regentropfen in den Vordergrund. Das Orchester bietet eine malerische Musik ohne Dissonanzen, die dynamisch agiert aber nicht virtuos in den Vordergrund tritt.

Der Tanz des Corps der Ballett ist in all seinen wiederkehrenden Auftritten und Rollen gezeichnet von Präzision und Anmut bei beeindruckender Homogenität in Bewegung und Körperlichkeit. Odette und Odile, verkörpert durch Shoko Nakamura, glänzen durch die eiserne Ambition der Künstlerin nach Perfektion. Dieser Glanz mag etwas kühl erscheinen, da die Konzentration auf technische Unantastbarkeit einen Hauch von Surrealismus verkörpert. Selbst die Verbeugungen nach einem „pas de deux“ werden durch Shoko Nakamura in Form eines Ballett dargeboten, was über das Maß hinaus beeindruckt aber auch unnahbar sein kann. Siegfried zeigt sehr starke charakterliche Züge wie Zweifel, Liebe, Angst und Hoffnung und liefert dazu eine brillante tänzerische Leistung ab. Die Erwartungen an Körperspannung und nahezu akrobatisches Ballett kann der Tänzer Mikhail Kaniskin ohne Zweifel erfüllen. Das Suchen nach Distanz zu seiner Mutter der Königin (Elena Pris) tritt weniger akzentuiert auf als der schwelende Konflikt mit Benno von Sommerstein (Kévin Pouzou).

Elena Pris tanzt die Königin in ihrer Rolle distanziert, surreal und somit leicht abgehoben von der Realität. Eine Mischung aus Elfe und Geist beschreibt womöglich den Charakter, der sich herausbildet. Die Eifersucht gegenüber Odette wird sehr dezent vermittelt. Leonard Jakovina verdeutlicht als Premierminister Rotbart durch seinen kraftvollen, arroganten und herausfordernden Tanz mit markanten Zwischenspielen das Wesen der Macht. Es bleibt noch Benno von Sommerstein, dessen Liebe zu Siegfried deutlich erkennbar wird. Im Spiegelbild entsteht daraus die tiefe Eifersucht und Enttäuschung über den drohenden Verlust von Siegfried. Tänzerisch zeigt sich Kévin Pouzou auf dem Niveau von Mikhail Kaniskin.

Malte Raudszus

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