Louis Begley: „Erinnerungen an eine Ehe“

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Ein bitterer Blick auf die New Yorker Oberschicht

Der US-amerikanische Autor Louis Begley ist mittlerweile achtzig Jahre alt und blickt in seinen Romanen zunehmend zurück auf sein Leben. Der Ich-Erzähler in dem vorliegenden Roman ist wie er Schriftsteller und ebenfalls im vorgeschrittenen Alter.

Am Anfang steht ein Rückblick auf die eigene familiäre Geschichte des Erzählers Philip, und man denkt bereits, es gehe um seine eigene Ehe mit der Französin Bella. Begley verleiht nicht nur dieser Ehe sondern auch den beiden Partnern die Aura des Besonderen, was bei der Ich-Form etwas seltsam aufstößt. Nicht nur waren die beiden ein ideales Paar – beide Schriftsteller, beide sehr sensibel und intelligent -, sie übten auch eine Distanz zu ihrer Umwelt, die fast schon an Hochmut grenzt. Begleys Diktion bei dieser Retrospektive trägt deutliche Züge intellektueller Eitelkeit, und als Ironie lässt sich das nicht deuten, weil der schöne Schein durch keine Fakten gebrochen wird. Dazu kommt noch, dass ihr einziges KInd – auch das ein Zeichen der Einzigartigkeit – ausgerechnet im Central Park durch einen herabfallenden Ast getötet wurde. Da drängt sich der Satz auf: „Wen die Götter lieben…“.

Doch Begley verlässt diesen Pfad der eigenen Ehe, die nach vielen Jahren durch den Tod der Ehefrau Bella endete, und streift sie nur von Zeit zu Zeit. Der Titel betrifft also nicht die eigene Ehe sondern eine andere, was der der Interpretation einer ironischen Darstellung der eigenen Ehe ebenfalls widerspricht.

Als Künstler hat Philip „natürlich“ abwechselnd in Paris und New York gelebt. Auch das scheint ein Stereotyp für alle erfolgreichen Künstler zu sein (deutsche Schriftsteller leben gerne abwechselnd in Berlin und New York), und Begley benutzt es in seinem Roman ebenfalls ohne Ironie. In Paris hat er vor einem halben Jahrhundert Lucy kennengelernt, eine junge Frau aus bester New Yorker Familie, die das hinter ihr stehende Geld dazu nutzte, die Welt und die Künstler kennenzulernen. Zwar hatte sie studiert und hätte sofort als Redaktuerin in einer der führenden Modezeitschriften arbeiten können(hauptsächlich wegen ihres edlen Namens), aber sie betrachtete auch die kleinste Verpflichtung stets als Einschränkung und nutzte die reichhaltige Apanage, die ihr die Familienstiftung schon früh zugesprochen hatte, für ein uneingeschränktes Leben in beiden Metropolen. Ob Philip eine Affäre mit ihr hatte, bleibt im Unklaren; im Zweifelsfall hat er nichts mit ihr gehabt.

Diese Lucy trifft er nun in New York als alt gewordene, allein lebende und verbitterte Frau wieder. Seit einem Vierteljahrhundert ist sie geschieden, ihr Ehemann hat wieder geheiratet und ist mittlerweile an einem Unfall gestorben. Sie aber redet fast nur über ihn und das so schlecht wie möglich. Philip glaubt ihre Variante des Scheidungsgrunds – Fremdgehen – nicht, da er ihren Mann – und sie! – gut kannte. Aus einem für Philip unerfindlichen Grund hat sie damals ausgerechnet den Aufsteiger Thomas geheiratet, dessen Vater eine Autowerkstatt nördlich von New York an der Atlantikküste betrieben hat, dort, wo sich die Ferienhäuser der reichsten und vornehmsten Familien New Yorks aneinander reihen. In einer Gesellschaft, wo selbst die „upper ten“ sich durch feinste Unterschiede der Familienchronik voneinander abgrenzen, ist das im Grunde genommen ein Skandal, und Lucys ELtern betrachteten die Ehe auch so, wenn sie auch zu öffentlicher Kritik zu vornehm waren.

Die Ehe scheiterte denn auch eben an diesem gesellschaftlichen Unterschied. Bei seinen Recherchen im weiteren Freundeskreis kommt heraus, dass die etwas haltlose Luca in dem grundsolliden und ehrgeizigen Thomas ursprünglich ein stabilisierendes Gegengewicht sah, seinen aus ihrer Sicht kleinbürgerlichen Ehrgeiz jedoch als fast degoutant betrachtete. Sie selbst hatte vor ihrer Ehe neben diversen Affären eine „amour fou“ mit einem Schweizer Journalisten, die sie auch nach der Hochzeit nicht aufgab. Als diese Beziehung durch einen Zufall aufflog, musste sich ihr Mann von ihr trennen, was sie ihm nie vergaß. Nach ihrem Selbstverständnis konnte nur sie eine Beziehung beenden, nicht aber der Mann.

Man könnte die Figur der Lucy als das Beispiel auffassen, an dem Begley seine Kritik an der New Yorker Oberschicht entzündet. Doch so ist es nicht. Gerade andere Vertreter dieser Schicht werden als zwar standesbewusste aber durchaus vernünftige Menschen dargestellt, mit denen man reden und leben kann. So bleibt die egozentrische Lucy ein individueller Fall, der die Eigenarten dieser Gesellschaftsschicht wie ein Brennglas bündelt und die Umgebung neben sich verbrennt. Faszinierend ist dabei die Unbelehrbarkeit, mit der Lucy ihre Sicht der Welt und ihres Lebens unter den Mitmenschen verbreitet, nicht wissend – aber ahnend -, dass niemand ihr glaubt. So vermutet sie auch hinter jedem Kontakt ihrer Gesprächspartner mit der „Gegenseite“ – der zweiten Frau ihres Ex-Mannes – zu Recht eine andere Interpretation ihrer Ehe und damit ein Komplott.

Begley beschreibt in diesem Roman zwar die Auswüchse einer vom Alltagsleben abgehobenen Egomanin, jedoch fragt man sich nach der Allgemeingültigkeit dieser Aussage. Schließlich handelt es sich bei einer Gesellschaft, die selbst einen erfolgreichen und allseits angesehenen Investmentbanker nur wegen seiner (klein)bürgerlichen Herkunft mehr oder minder subtil ausgrenzt, um maximal ein Promille der New Yorker oder auch der amerikanischen Gesellschaft. Man kann zwar nicht verlangen, dass ein Romancier stets die Nöte der sozialen Verlierer anprangert, aber einen so kleinen Ausschnitt der Gesellschaft kritisch zu beleuchten und dann auch nur eine individuelle Person dieser Schicht, ist als Zeitzeugnis etwas zu dünn. Dem widerspricht nicht, dass er genau beobachtet und seine Protagonisten psychologisch glaubwürdig charakterisiert. Man hat jedoch nach der Lektüre dieses Buches ein wenig das Gefühl, dass sich der Autor recht wohl in dieser Schicht fühlt und geschmeichelt ist, von ihr akzeptiert zu werden. Denn auch das beschreibt er deutlich, wenn die Vertreter der ältesten New Yorker Familien seinen schriftstellernden Ich-Erzähler geradezu hofieren und ihn drängen, doch ihrem elitären Club beizutreten.

Louis Begleys Roman  „Erinnerungen an eine Ehe“ ist im Suhrkamp-Verlag unter der ISBN 978-3-518-42392-9 erschienen, umfasst 222 Seiten und kostet 24,90 €.

Frank Raudszus

 

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