Witold Gombrowicz: „Berliner Notizen“

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Idiosynkratische Notizen eines Exilanten

Der polnische Schriftsteller Witold Gomrowicz, geboren 1904, reiste im Sommer des Jahre 1939 aus beruflichen Gründen nach Argentinien. Dort überraschte ihn der Kriegsausbruch, und er verbrachte die nächsten vierundzwanzig jahre als mehr oder minder freiwilliger Exilant in diesem Land, das er nicht kannte und dessen Sprache er – anfangs – nicht verstand. Seine Empfindlichkeit für die Zumutungen des Lebens erleichterte ihm den Aufenthalt nicht gerade, und so verbrachte er das erste Drittel seiner Exilzeit als Asylant, das zweite als kleiner Bankangestellter und erst das dritte als zunehmend anerkannter Schriftsteller. Sein vorheriger literarischer Status hatte sich nach dem Krieg durch das politische System in Polen nicht erhalten.

Im Jahr 1963 erhielt Gombrowicz schließlich eine Einladung der Fordstiftung zu einem Studienaufenthalt West-Berlin. Da er selbst die Auswirkungen des Krieges auf Polen nur aus den Medien kennengelernt hatte, überwog die Neugierde eine eventuelle Abscheu vor dem Land der Täter, und so nahm er die Einladung an.

Über seine Reise nach Europa führte er vom ersten Augenblick an ein Tagebuch. Es beginnt im Hafen von Buenos Aires, beschreibt die Abfahrt, die nach einem Vierteljahrhundert des Exils einen starken seelischen Eindruck bei ihm hinterlässt, dann die Überfahrt nach Europa, den Zwischenaufenthalt in Paris und endet in Berlin. Gombrowicz fühlt sich im Alter von knapp sechzig Jahren beereits ausgelaugt, alt und krank, und nach der Lektüre dieser Notizen wundert sich der Leser nicht, dass der Autor im Jahr 1969 starb.

Schon Abfahrt und Überfahrt zeigen eine zwiespältige Persönlichkeit. Einerseits identifiziert er sich nach so vielen Jahren mit seiner Wahlheimat, andererseits sehnt er sich nach dem alten Polen, von dem er ahnt, dass es nicht mehr so sein wird wie vorher. Eingeladen hat man ihn dorthin sowieso nicht, wohl, weil man ihn als Relikt des vorsozaistischen Systems betrachtet. Mit einer fast verqueren Wehmut sieht er die Silhouette von Buenos Aires und später die Küste des amerikanischen Kontinents hinter sich versinken.

Während der Überfahrt beschränkt er Kontakte zu Mitreisenden auf das Schachspiel und wird dort gleich zum Sieger. Hier schimmert Stefan Zweigs „Schachnovelle“ durch. Trotz dieses Erfolgserlebnisses plagt ihn ein tief sitzendes Gefühl absoluter Nichtigkeit, das wohl auf die subjektive Erfahrung eines misslungenen Lebens zurückzuführen ist. In seiner Sensibilität hat er den erzwungenen Ortswechsel eher als Schicksalsschlag denn als Chance betrachtet. Natürlich spielte dabei auch die Tatsache eine Rolle, dass er in Südamerika in den ersten zehn bis fünfzehn Jahren bei weitem nicht die schriftstellerische Rolle spielen konnte wie in Polen. Das mag die Empfindung des Scheiterns und der Sinnlosigkeit verstärkt haben.

In Paris wird er unter Literaten und Kritikern herumgereicht. Doch diese unerwartete Ehre verwirrt ihn eher als dass sie ihm schmeichelt. Er ist den – zum Selbstzweck geronnenen – Kulturbetrieb nicht gewohnt und lehnt den eher geschäftsmäßigen, von Eitelkeiten und taktischen Erwägungen geprägten Kommunikationsstil ab. Die französischen Intellektuellen jagen ihm mit ihrer kühlen, objektivierenden Art buchstäblich Angst ein, da er sich von ihnen entblößt fühlt. Den Louvre entdeckt er als einen Ort der organisierten Selbstdarstellung der Besucher, denen ihre eigene Anwesenheit vor der „Mona Lisa“ wichtiger ist als die Kunst an sich.

Seltsam entfremdet vom europäischen Literaturbetrieb reist er weiter nach Berlin, wo ihn angesichts der politischen Lage, der Isolation der Stadt und der fernen Nähe Polens eine Todesahnung beschleicht. Diese Ahnung resultiert jedoch nicht unmittelbar aus der politischen Situation sondern eher aus seinem eigenen Innern, das sich mit dieser Welt nicht mehr arrangieren kann. Da ist die Mauer – die er übrigens konkret gar nicht erwähnt – nur noch ein Auslöser für depressive Gedanken. Bei der Lektüre der Notizen liegt man sicher nicht ganz falsch, wenn man bei Gomrowicz Depressionen diagnostiziert. Seine Tagebuchnotizen zeigen alle Symptome dieser Krankheit, wie man sie heute kennt. Dazu gehört auch die Tatsache, dass er selbst die Gründe für das Gefühl der Sinnlosigkeit und der Nichtigkeit  nicht benennen kann. Er sucht in seinem Inneren und in seiner Vergangenheit nach diesen Gründen, benennt den einen oder anderen und schwächt diese Meinung sofort wieder ab. Im Grunde genommen ist er ja ein Glückspilz, dass er dem Krieg und der Vernichtung Polens entronnen ist, doch er empfindet es eher als Verlust der Heimat und Zerstörung des Lebensentwurfes.

Fast verzweifelt versucht er, Europa über die Sinne, das Licht, die Luft und die Gerüche wieder zu entdecken, doch will ihm das nicht glücken, wohl auch, weil er innerlich dazu nicht mehr bereit ist. Gombrowicz schaut eher in die Vergangenheit als in die Zukunft, die ihm düster erscheint. Und da die sinnlichen Wahrnehmungen nicht mehr mit denen vor dem Krieg identisch sind,  gibt er innerlich auf. Statt eines aktiven Bewusstseins spürt er ein „empfundenes Sein“, das ihn besetzt und das er nicht (mehr) beeinflussen oder gar lenken kann. Doch bei all seinen Idiosynkrasien ist er hellsichtig genug, das Dritte Reich nicht nur als einmaligen Fall eines pathologischen Demagogen zu sehen, und formuliert konkret die Frage, ob Hitler nur ein Deutscher sei.

Die Notizen dieses vom Exil gezeichneten Schriftstellers vermitteln einen intensiven Eindruck von der seelischen Befindlichkeit vor allem sensibler Naturen, die – auch wenn persönlich sicher – im fernen Exil nicht nur die Heimat sondern auch alle bisherigen Beziehungssysteme verloren. Ähnlich Gombrowicz haben viele Exilanten eine Rückkehr in das alte Leben nicht mehr geschafft, und wenn auch nur deshalb, weil sie die Jahre dazwischen nicht vergessen konnten. Zu diesem Nichtvergessenkönnen gehört auch das Wundern über eine Welt, die über das Grauen des Zweiten Weltkrieges zur „Normalität“ hinweggehen konnte. Dabei klagt Gombrowicz jedoch nicht nur die Deutschen an, sondern hütet sich vor einer wohlfeilen Verurteilung seiner Gastgeber aus der Sicht des schuldfreien und „objektiven“ Beobachters. Er wundert sich genauso über den Eifer der Deutschen, jetzt alles überkorrekt zu machen und alle Befindlichkeiten zu berücksichtigen. In diesem Berliner Jahr ist Gombrowicz bereits weit entfernt von einem tages- und gesellschaftspolitischen Alltag, der permanent politisch korrekte Meinungsäußerungen fordert. Er betrachtet dieses Europa wie durch eine Distanz schaffende Folie und reist im Jahr 1965 wieder nach Paris, ohne jedoch auch dort wieder festen Weltanschauungsboden unter die Füße zu bekommen. Vier Jahre später stirbt er.

Das Buch „Berliner Notizen“ ist in der edition.fotoTAPETA erschienen, umfasst 126 Seiten und kostet 16,80 €.

Frank Raudszus

 

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