Castorf inszeniert in der Berliner Volksbühne Molièrs „Der Geizige“ als lautstarkes Zerwürfnis der Charaktere

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Ensemble
Schrill, scharf, sarkastisch – Castorfs „Der Geizige“ von Molière  

Castorf inszeniert in der Berliner Volksbühne Molières „Der Geizige“ als lautstarkes Zerwürfnis der Charaktere
Streit ist eines der Kennzeichen dieser Inszenierung und schafft ab und an die besagte schrille Atmosphäre. Harpagons Kinder Cléante und Élise bekeifen sich gegenseitig wegen ihrer Ansichten, Liebe und ihres Vaters Willen. Dieser hat als Geizhalz außer für seine Mätresse keinerlei Sinn für Emotionen und ist geleitet von der unendlichen Gier, sein Vermögen zu schützen und zu mehren. Harpagons Ansichten und Entscheidungen schneiden scharf wie ein Beil, das Fleisch teilt, durch jegliche Befindlichkeiten seiner Kinder und anderer Mitmenschen. Mit ungekanntem Sarkasmus untermalt er seine opportunistischen Handlungen und tobt wie das Rumpelstilzchen, so denn etwas seinem Plan zuwider läuft. Prall von emotionalen Ausbrüchen wie Wut, Hass aber auch Liebe und Schock konfrontiert Castorf die Zuschauer mit teils im Stakkato voranpreschenden Szenenwechseln.

Leitfigur ist ohne Frage Harpagon, gespielt von Martin Wuttke, der uns als Tatort-Kommissar aus Leipzig bekannt ist. Er spielt einen untersetzten und gekrümmten Giftzwerg mit schneeweißem Harr, der sich maßgeblich daran erfreut, seine Umwelt zu terrorisieren. Einzig seine Mätresse und gleichzeitig Heiratsvermittlerin (Kathrin Angerer) vermag es, ihn tatsächlich etwas mild zu stimmen und aufzuheitern. Sie schafft dies aber einzig, indem sie ihn mit Lob und Komplimenten ohne jeglichen Realitätsbezug überhäuft, was dieser wie eine ausgetrockneten Savanne, den Sommerregen aufsaugend, bis in die Zehenspitzen einatmet. Eine herrliche Episode im Stück, die zu großer Heiterkeit führt. Martin Wuttke kokettiert auch in wenigen eingestreuten Szenen mit seinem Tatort-Dasein und schafft es so sehr unterhaltsam, dem Stück eine verrückte Würze zu verleihen.

Die schöne und langbeinige Élise, gespielt von Lilith Stangenberg, ist in Valère verliebt. Dieser ist Sohn des Herren Anselme und hat sich als Hausangestellter in die Nähe von Élise gebracht. Der Vater Harpagon befiehlt jedoch, seine Tochter möge Anselme zum Mann nehmen. Anselme (Axel Wandtke) ist alt und gebrechlich und hat ein respektables Vermögen – zudem würde er Élise ohne Aussteuer ehelichen. Valère (Maximilian Brauer) schmachtet sehr um Élise, zeigt sich aber gleichzeitig völlig unterwürfig gegenüber dem Geizigen. Ebenso wie seiner Liebe Bruder, Cléante, ist er in ein lachhaftes Kostüm aus Glitzersakko, Netzstrumpfhosen und Stiefeln gekleidet, die beide wohl in der Lächerlichkeit darstellen, wie Harpagon sie sieht. Cléante (Franz Beil) wiederum ist in Mariane verliebt, welche jedoch Harpagon für sich selbst ausgesucht hat. Ein herrliches Schauspiel ist es, wenn Frosine, die Heiratsvermittlerin, beide Seiten auf das erste Treffen vorbereitet. Mariane erzählt sie, wie reich Harpagon ist und wie nah doch sein Ableben sei – nur wenige Monate blieben ihm, die sie mit ihm zu verweilen hätte, bevor das Vermögen auf sie übergehe. Harpagon berichtet sie von einer Mariane, die mit jungen Männern nichts anzufangen weiß und sich von dem Intellekt und der Überreife der Alten angezogen fühle. Und da Harpagon noch so jung wirke, müsse er unbedingt versuchen, älter daher zu kommen, sonst würde sie ihn gewiss als Jungspund ablehnen. Mariane (Yelena Kuljic) wirkt beim ersten Treffen dann jedoch stark irritiert, als sie auf den krächzend, hustend und humpelnden Harpagon trifft. Ob sie sich darauf wirklich einlassen möchte, scheint fraglich.

Castorfs Inszenierung begeistert durch die Schauspieler, die Ironie und den Sarkasmus der Charaktere sowie die intelligent gewählten Kostüme. Das Bühnenbild ist äußerlich ein einfaches Holzhaus, welches innen mit holzvertäfelten Wänden den Pomp des Adels verkörpert. Ist Harpagon in Wirklichkeit also doch nur ein einfacher Mann? Ab und an werden Szenen via Live-Video auf eine Leinwand projiziert, so sie denn im Hintergrund stattfinden. Ein wohlgewähltes Stilmittel, was dieser Tage keine Einzigartigkeit darstellt, aber im intelligenten Einsatz eine ganz eigene, teils vergangenheitsbezogene Atmosphäre schaffen kann. Etwas massiv erscheint der Ansatz zum Ende der zweiten Aufführungshälfte, welche sich insgesamt etwas lang zieht und gefühlte 15 Minuten per Leinwand übertragen wird. Einige Zuschauer verlassen entkräftet von den schrillen Bildern und Tönen den Saal. Aber es ist anzunehmen, dass Castorf provozieren möchte und nicht zufrieden wäre, wenn es einhellig wohlwollenden Beifall aus allen Reihen gäbe. Das ist gelungen! Und das Stück in Summe absolut auch!          
                                                                                 
Malte Raudszus

Alle Fotos © Thomas Aurin

 

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