Walter Renneisen präsentiert im Staatstheater Darmstadt seine Einmann-Show „Deutschland, Deine Hessen“

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Walter Renneisen
Der Witz – am End verderrterderr!  

präsentiert im Staatstheater Darmstadt seine Einmann-Show „Deutschland, Deine Hessen“
ist eigentlich gar kein Hesse, sondern wurde im rheinland-pfälzischen „Ausland“, genauer in Mainz, geboren. Allerdings verschlug ihn bereits die Schulzeit ins südhessische Rüsselsheim, wo er die Eigenarten der hessischen Mundart gründlich studieren konnte. Seine Zeit beim Staatstheater Darmstadt hat diese Fähigkeit nicht nur privat sondern auch professionell entscheidend gefördert, so dass man ihn heute von einem echten „Heiner“ (für Nicht-Hessen: ein Darmstädter) kaum unterscheiden kann. Allerdings hat er – nach eigenen Aussagen in mühsamer Kleinarbeit – auch das Hochdeutsche fast bis zur Perfektion erlernt. Seine praktischen und theoretischen Kenntnisse der hessischen Mundart und der dahinter steckenden Wesensart dieses Volksstamms breitete er am 10. November in einer zweistündigen Veranstaltung im Großen Haus des Staatstheaters Darmstadt vor einem zahlreich erschienen Publikum aus.

(Quelle: Wikipedia)

Es begann – ganz im Stile der Darmstädter Mundartposse „Datterich“ – mit einer Panne: auf Renneisens Vortragspult lag der zweite Teil des Manuskripts, was ihn zu einem Eilmarsch durch das Labyrinth des Staatstheaters zur Garderobe und zurück zwang. Für einige Minuten ließ er das Publikum mit dem Instrumentenbestand einer ganzen Band – Flügel, Kontrabass, Schlagzeug, Gitarre, Trompete, Tuba – allein und förderte dabei die Überlegungen der Besucher, wann denn nun die Mitglieder dieser Band auftauchen würden. Nun, sie tauchten alle nach kurzer Zeit in Personalunion mit (wieder) auf, denn genau er war es, der im Laufe der zwei Stunden alle diese Instrumente im Zusammenhang mit dem hessischen Idiom zu Rate zog und lautstark einsetzte.

Bei der Herleitung des Hessischen holte Renneisen weit aus, bis in die Frühzeit der Erdgeschichte vor etwa fünfzig Milionen Jahren, als sich die eurasische von der atlantsichen Platte trennte.  dadurch entstand eine große Spalte, die von Marseille über „Oarheilje“ bis zur englischen Küste reichte. Mitten in dieser Spalte liegt Hessen, vor allem Südhessen mit der Rheinebene. Anhand von sand- und kieselgefüllten Flachzylindern demonstrierte Renneisen das Rieseln der Bäche und das Rauschen der Flüsse in der Urzeit und leitete aus diesen Geräuschen unmittelbar die Zischlaute der hessischen Sprache ab. Dem folgte dann ein Zwischenspiel aus historischer Zeit, in dem er die gepflegte, aber leider unverständliche Sprache der Römer sowie ihre Kleinwüchsigkeit der bodenständigen Ausdrucksweise und dem massiven Körperbau der Chatten – die damaligen Hessen – am Limes gegenüberstellte. Diese Gegenüberstellung endete bekanntlich mit dem fluchtartigen Abzug der Römer nach Rom und der Ausbreitung des Hessischen in dem nun entstandenen sprachlichen Vakuum.

Danach wagte Renneisen einen Riesensprung bis in die Jetztzeit, wobei er die Sprache der Hessen anhand vieler Anekdoten sowie treffender Sprüche und Miniaturszenen aus dem hessischen Alltag lebensnah ausdeutete. Dass man so manche dieser Geschichten auch schon auf bayerisch oder sächsisch mit dem gleichen Heiterkeitserfolg gehört hat, tat dabei seinem Vortrag keinen Abbruch. Dabei steuerte er zielsicher auf den berühmten südhessischen „Kaktusdialog“ hin, in dem eine Darmstädterin zur anderen sagt: „Den Kaktus mussde gieße, sonst verderrterderr“. Die Lautfolge „verderrterderr“ variierte Renneisen mit wahrer Begeisterung nicht nur sprachlich und stimmlich auf vielfältige Art und Weise, er intonierte die rhythmische Lautfolge auch auf dem Klavier – mit Gesang -, auf der Trompete und – besonders melancholisch – auf dem Kontrabass.

Ein besonderer „Renner“ war auch das Gedicht des „Wärmsche uff dem Tärmsche“ (Hochdeutsch: „Würmchen auf dem Türmchen“), das diesen Reim auf alle mögliche Arten variiert und geradezu surrealistisch-lautmalerische Züge annimmt. Natürlich kann man das dann auch am Klavier begleiten oder mit anderen Instrumenten vortragen, was Renneisen ausgiebig tat. Da das „Wärmsche“-Gedicht in Darmstadt ein uralter „Schlager“ ist, war der Erfolg natürlich entsprechend, wobei Renneisen auf geradezu virtuose Weise mit der Erwartungshaltung des Publikums spielte und es immer wieder zu Lachsalven herausforderte.

Der erste Teil bis zur Pause war strukturiert und ausgewogen in der Hinsicht, dass Renneisen um die hessische Sprache und um die sie Sprechenden kleine landsmannschaftliche Geschichten wob. Da stellter er die unterschiedlichen regionalen und lokalen Dialekte plastisch und mit großem Heiterkeitseerfoplg vor, wobei er nicht vergass, durch die Art der Anekdote auch die lokale Mentalität der jeweiligen Bevölkerungsgruppe zu beleuchten.

Der zweite Teil war dann leider nicht mehr so strukturiert. Da Renneisen sein bestes Mundartpulver offensichtlich bereits zur Pause verschossen hatte, musste er jetzt zu Lückenfüllern greifen. Da boten sich seine Instrumente und seine durchaus beträchtlichen musikalischen Fähigkeiten an. So nutzte er Elvis Presleys Militärzeit in Friedberg zu einem Ausflug in die Zeit des frühen Rock´n Roll und kontrastierte diesen mit den damals bei der älteren Generation beliebten Schlagern der fünfziger Jahre, was zwar durchaus einen gewissen Unterhaltungswert aufwies, aber nicht mehr viel speziell mit dem Hessischen zu tun hatte. Diese Ausflüge in die allgemeine Heiterkeitszone dehnte er gehörig aus, bis er schließlich in einem großen Bogen wieder zurück zur hessischen Wesensart und dem zugehörigen Dialekt kam. Jedoch folgten jetzt keine scheinwissenschaftlichen – und daher gerade komischen – Ausführungen, sondern es folgte eine Anekdote – sprich Witz – dem anderen. Der zweite Teil der zweiten Hälfte bestand hauptsächlich in dem Serienvortrag von Witzen, die zwar alle auf Hessisch erklangen, aber zum großen Teil als Witze in jeder Region Deutschlands hätten angesiedelt sein können. Da die einzelnen Witze jedoch durchaus Pointen erhielten, war der Heiterkeitserfolg in den meisten Fällen gesichert; und wenn ein Publikum erst einmal durch verschiedene gute Witze „angefüttert“ ist, lacht es schließlich über jeden Witz, der einen Wiedererkennungseffekt auslöst, und sei es nur ein mundartlicher.

Man hätte vor allem im zweiten Teil mehr aus dem Thema machen können, zum Beispiel die Aufnahme und Abwandlung des Dialekts durch Migranten, aber das schien Renneisen wohl ein zu heißes Eisen zu sein – oder er ist nicht auf die Idee gekommen. So versandete der zweite Teil in einer Flut von Witzen, die zwar wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht waren, aber nicht unbedingt den Wert von Perlen aufwiesen.

                                                                                 
Frank Raudszus

 

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