Folge 87 von „Gutes Wedding – Schlechtes Wedding“ im Berliner „Prime Time Theater“

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Szenenfoto

Hitchcocks „Psycho“ in der Uckermark   

Folge 87 von „Gutes Wedding –  Schlechtes Wedding“ im Berliner „Prime Time Theater“
Die Uckermark ist mit Sicherheit einer der deutschen Landstriche, denen trotz Ihrer landschaftlichen Schönheit und Vielfältigkeit zu wenig Beachtung geschenkt wird. Dabei sind es in der „Toskana des Nordens“ nicht nur das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und der lockende Naturpark Uckermärkische Seen, die einen besuch lohnen, nein, es kommen sogar größte Berühmtheiten von dort.
Eine Idee? Nun einige wenige mögen sich erinnern: unsere liebe Frau Kanzlerin Dr. Angela Merkel ist in dem beschaulichen Ort Templin aufgewachsen. Grund genug also, der Uckermark und ihrem mysteriös verkannten Dasein etwas auf den Grund zu gehen.

Wenn das Berliner „Prime Time Theater“ im Stadtteil Wedding eine Folge der Serie „Gutes Wedding –  schlechtes Wedding“ präsentiert, erfasst jeder Leser sofort, dass es sich hierbei um das Original der ähnlich benannten Serie im Fernsehen handeln muss. Ganz genau so ist es, denn Prime Time Theater ist live, ehrlich, echt und direkt. Hier schaut man in den Alltag der Menschen und auf ihren Mund. Wie jeder Stadtteil Berlins hat auch der Wedding seinen ganz eigenen Charakter; ein Stadtteil, der der Gentrifizierung durch westliche Republikflüchtlinge (u.a. Schwaben) im Gegensatz zu Prenzlauer Berg oder Mitte noch nicht zum Opfer gefallen ist. Der Wedding ist sehr multikulti, bürgerlich und traditionsbewusst und zeigt sich mit der Serie „Gutes Wedding – Schlechtes Wedding“ auch als selbstironisch. Ein hohes Gut! Der Blick in die Karte an der Bar lädt zum ersten Lacher ein, wenn das Auge über die Cocktails gleitet und beim „Prenzelwichser“ stockt – Kreativität in allen Dimensionen.

Immer wieder sympathisch, unkompliziert, frei und somit typisch für Berlin, aber vielen deutsch Deutschen sicherlich etwas zuwider, ist die freie Platzwahl im Saal. So windet sich schon eine Stunde vor Beginn eine lange Schlange Wartender vor den Toren des Theaters, bewaffnet mit in Handtuchmanier vorgehaltenen Jacken und Schals, um rasch die besten Plätze zu ergattern. Wenige Minuten später fließt der Schwarm aus dem Saal ins Foyer zurück und greift an der Bar nach Bier oder den erwähnten Cocktails sowie Buletten mit Senf oder Brezeln. Es ist eine herrliche Stimmung, um Leute zu gucken und etwas zu grübeln und darüber zu diskutieren, was genau einen nun bei „Horror in der Uckermark“ erwarten wird.

Die Vorstellung soll eigentlich pünktlich starten, aber einige Nachzügler müssen noch auf die letzten freien Plätze verteilt werden. Es herrscht eine Atmosphäre, die nicht unweit derer von Klassenausflügen ist. Zumal jeder Zuspätkommer einzeln den Saal betreten muss, vorgestellt wird und dafür Applaus erntet. Entertaint wird das Ganze von Oliver Tautorat – als Gründer des Theaters, Kassierer und Schauspieler ist er immer präsent.

Das EnsembleSchließlich verlöscht das Licht und das Schauspiel beginnt. Der hagere Norman Mord (Alexander Ther) steht an der Rezeption des morbiden „Mords Motel“ – ein gruseliges Familienunternehmen, das von ihm und seiner Mutter geführt wird. Noch zu später Stunde kommt ein unerwarteter Gast – es ist Natascha, ein pralle Russin, gespielt von Alexandra Marinescu. Norman ist seines klaren Denkens beraubt und begleitet Natascha noch zu Ihrem Zimmer – die Nummer 1 – sie ist bislang der einzige Gast. Doch schon wenig später zeigt sich der nächste Unangekündigte – Pastor Gottlieb „Vati“ Horwarth (Oliver Tautorat). Wie sich herausstellt, ist Natascha seine Geliebte und hatte ihn kurz zuvor um 500.000 Mark erleichtert. Ob es sich dabei noch um Ostmark handelt, wird nicht näher ausgeführt, davon darf man aber ausgehen. Da kurz zuvor noch ein seltsamer Schrei aus Nataschas Zimmer hallte, wiegelt Norman erstmal die Nachfragen von Vati nach der Anwesenheit anderer Gäste ab und gibt ihm ein entferntes Zimmer. Nicht genug des Trubels in dem doch sonst so totenstillen Motel – Norman stopft als Hobby gerne alle Arten von Tieren aus – öffnet sich ein weiteres Mal die Tür. Hereinspaziert kommt das Gängsterpärchen Mushido (Philipp Lang) und Penissiela (ebenfalls Alexandra Marinescu). Diese haben soeben einen Juwelenraub begangen, doch nun ist ihr „Trabant“ mangels Sprit liegengeblieben. Auf Ihrem Zimmer feiern sie erstmal ein kleines Fest und tanzen um den Schmuck – es dauert aber nicht lange, bis sie Wind davon bekommen, dass an jenem Abend noch eine ganze Menge mehr an diesem mysteriösen Ort zu erbeuten sein wird. Und zu guter Letzt prescht noch „Mutti“, offensichtlich Vatis eifersüchtige Ehefrau, ins „Mords Motel“. Für Norman hat spätestens jetzt der Horror in der Uckermark begonnen.

Es folgt ein buntes Schauspiel, das sich zwischen den Szenenbildern Rezeption, Normans Reich, den morbiden und verfallenden Zimmern sowie der angrenzenden Dusche abspielt. Vom uckermärkischen Dialekt bis zum grammatikalisch abenteuerlichen Satzbau des Gangsterpärchens bietet das hohe sprachliche Abwechslung und viele Gelegenheiten zum herzlichen Lachen. Dazu werden selbst alle Klischees bedient: Mutti wird von Vati rumkommandiert und Mushido himmelt Penissilea an, die ihn immer wieder zurückschubst. Zwischendurch verfällt Gottlieb wegen ein paar Gläschen zu viel seines Lieblings „Goldkrone“ in rauschende Träume über Natascha. Wirklichkeit und Traum scheinen zu verschwimmen – denn eigentlich, so glaubte man, wurde Natascha schon am Anfang ermordet. Von Norman? Schon vor 10 Jahren gab es einen mysteriösen Todesfall einer jungen Frau im „Mords Motel“ und Norman soll sie ausgestopft haben. Er wurde damals aber nicht des Mordes überführt.

Das Bühnenbild wird durch Videoinstallationen angereichert. So werden durch verschiedene Tapetenmuster neue Räume geschaffen, und die Saalstimmung schwingt mit dem Schauspiel. Zwischen den Szenewechseln tänzelt immer wieder der Slogan „Gutes Wedding – Schlechtes Wedding“ über die Wand. Solche und andere witzige und freche Ideen befeuern die Amüsanz und Leichtigkeit des Stücks.

Wer also einen Abend abseits der großen Berliner Bühnen sucht, ist mit dem Angebot im „Prime Time Theater“ bestens bedient. Ganz ehrlich ist es sogar ein Pflichtbesuch, denn das ist Theater von Berlinern für Berliner und zeigt eine ganz eigene Seite der hauptstädtischen Lebensweise und Kultur. Aber bitte bestellen Sie Ihre Karten im Vorhinein – auf Grund der großen Beliebtheit sind die Chancen an der Abendkasse äußerst limitiert.         
                                                                                 
Malte Raudszus

 

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