Ironische Bürstenstriche an einem Denkmal

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Das Staatstheater Wiesbaden zeigt in Darmstadt eine Bühnenfassung von Thomas Manns Roman „Lotte in Weimar“

Der „Weimarer Geistesriese“ Johann Wolfgang von Goethe war im frühen 19. Jahrhudnert, also noch zu seinen Lebzeiten, Objekt ungetrübter Bewunderung und Verklärung. Diese Tendenz hielt noch bis ins 20. Jahrhundert an, bis der zeitliche Abstand auch kritische oder zumindest ironisch distanzierende Stimmen hervorbrachte. Einer, der es wagte, ein wenig an dem Denkmal deutschen Geisteswesens zu kratzen, war Thomas Mann. In seinem Roman „Lotte in Weimar“ nimmt er zwei Themen auf: einerseits Goethes Frühwerk „Werthers Leiden“ mitsamt seiner literarischen und individuellen Wirkung und andererseits die Wandlung des alternden Goethe zu einem gravitätischen, seiner überragenden intellektuellen Bedeutung durchaus bewussten „Großdichter“.

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Michael Günther Bard (Goethe), Monika Kroll (Charlotte)

Die Handlung nimmt ein historisches Ereignis auf, das zwar verbürgt ist, aber keinerlei spektakulären Details aufweist. Die verwitwete Charlotte Kestner, geborene Buff, reiste im Jahr 1916 im Alter von 63 Jahren nach Weimar, um dort Verwandte zu besuchen. Dabei besuchte sie zwar auch Goethe, aber die Chroniken berichten von diesem Treffen nichts Besonderes. Die Tatsache, dass Charlotte bekannterweise das Vorbild für die unerreichbare Lotte im „Werther“ war, reichte jedoch Thomas Mann, um daraus eine leichte Komödie mit ironischem Tiefgang zu entwickeln.

Kaum ist Charlotte mit ihrer Tochter Clara im Hotel „Elefant“ abgestiegen, erkennt sie der Hotel-Kellner Mager, selbst ein glühender Verehrer des großen Weimarers, an ihren Meldedaten und setzt die Neuigkeit unverzüglich in Umlauf. Prompt erscheinen die ersten Bittsteller, die sich von Goethes ehemaliger Angebeteten Unterstützung ihrer sehr speziellen Interessen erhoffen. Der Kellner Mager würde Charlotte am liebsten noch vor dem Auspacken der Koffer einer längeren Befragung über den jüngeren Goethe unterziehen und lässt sich kaum aus dem Zimmer vertreiben. Der Lehrer Dr. Riemer, ehemals Goethes Sekretär, erhebt diese Position im Nachhinein zu einer Herzens- und Geistesfreundschaft und ist bis heute nicht darüber hinweggekommen, dass Goethe ihm keine Professur an einer Universität verschafft hat. Die Irin Mrs. Cuzzle sieht bei ihrer den Sehenswürdigkeiten und Berühmtheiten des Kontinents gewidmeten Reise eine Chance, über Charlotte an den großen Goethe heranzukommen, und die junge Adele Schopenhauer schließlich versucht, über Charlotte die Heirat des in ihren Augen missratenen Goethe-Sohnes August mit ihrer Freundin Ottiilie zu verhindern. All diese Versuche des Antichambrierens lässt Thomas Mann noch vor dem Auspacken der Koffer ablaufen, um daran zu zeigen, wie nervtötend und rücksichtslos die Lobbyisten ihre jeweiligen Interessen verfolgen.

Goethe selbst ist in diesen Gesprächen als die große Figur im Hintergrund präsent, tritt aber nicht auf. Im Roman erhält er die Nachricht von Charlottes Ankunft und lässt seinen Sohn die Einladung zum Mittagessen überbringen, die Bühnenfassung erweckt den gegenteiligen Eindruck, was zu einem ungewollten(?) komischen Effekt führt, da der Zuschauer bereits von der Einladung weiß, die Goethe jetzt erst ausspricht. Das ist nur ein Kleinigkeit, die jedoch den Unterschied zwischen Roman und Bühnenfassung verdeutlicht. Der Roman kann die Wirkung und das Auftreten Goethes wesentlich detaillierter und damit facettenreicher darstellen. Thomas Mann beschäftigt sich in diesem Roman mit der Wirkung des „Genies“ auf seine Umwelt. Im Roman erscheinen Dr. Riemer und Adele Schopenhauer durchaus als komplexe Figuren, die nicht nur die eigene Position – und auch Frustration – angesichts der Größe und Eigenarten Goethes zum Ausdruck bringen sondern auch allgemeine Erkenntnisse über diese Konstellation entwickeln. Diese detaillierte Aufarbeitung der Wirkung und Stellung großer Persönlichkeiten geht in der Bühnenfassung notgedrungen weitgehend verloren. Dr. Riemers Monologe vor Charlotte Kestner wirken eher wie kaum kaschierte Klagen über die Nichtbeachtung seitens Goethes und verleihen ihm streckenweise einen Anflug von Lächerlichkeit. Ähnliches gilt für Adele Schopenhauer oder auch August Goethe, die in der Theaterfassung auf ihren Charakterkern zurückgeführt werden. Das lässt sie holzschnittartiger als im Roman erscheinen.

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Magdalena Höfer (Lotte), Benjamin Kiesewetter (Werther)

Ähnliches gilt für Goethe selbst, der im zweiten Teil mit dem morgendlichen Erwachen ins Spiel kommt. Während Thomas Mann ihn im Roman über seine Stellung in Gesellschaft, Politik und Geistesleben reflektieren lässt, wirkt dies in der verdichteten Bühnenform eher wie eine ironische Beschreibung eines selbstgefälligen älteren Herrn, der sich sogar in seinen Selbstgesprächen nur nur als den großen Dichter sieht und den Kontakt zum Alltag weitgehend verloren hat. Sein Selbstbildnis ist durch die permanente Bewunderung seitens seiner Umwelt korrumpiert, ein Korrektiv weit und breit nicht in Sicht. Sein Diener Carl, den er ebenfalls mit – für ihn unverständlichen – literarischen Bonmots und Zitaten überhäuft, geht darüber gleichmütig hinweg, sein Sohn August jedoch hat täglich mit der Tatsache zu kämpfen, der mittelmäßige Sohn eines großen Mannes zu sein. Daran kann man schon zerbrechen, wie es viele ähnliche Beispiele gezeigt haben. Goethe selbst hört kaum zu, sondern berieselt seine Umwelt mit einem steten Strom literarisch und poetisch ausformulierter Feststellungen zu den verschiedensten Themen. Seine Umwelt macht es ihm auch leicht, da in seiner Gegenwart niemand das Wort zu einer längeren Ausführung zu ergreifen geschweige denn ihm zu widersprichen wagt. So werden Goethes Auftritte im Roman und vor allem im Theaterstück zu Monologen, die den Zuschauer nerven (sollen). Man möchte ihm zurufen „Sei doch mal still und lass die anderen reden!“. Ironischerweise gleicht er damit auf einer anderen Ebene dem Kellner Mager, der ebenfalls nicht aufhören kann, (über Goethe) zu reden.

Für Charlotte gerät der Besuch bei Goethe zur großen Enttäuschung, da er gar nicht erst das private Gespräch mit ihr sucht, sondern sie mit seinen literarisch-philosophischen Monologen zudeckt und sich ansonsten angelegentlich mit ihrer hübschen Tochter Clara befasst, wobei er Charlotte den Rücken zukehrt. Erst zum Schluss kommt es zu einem Gespräch zwischen den beiden. Im Roman stellt sich Charlotte dieses Gespräch nur vor und sagt ihm dabei ein paar Wahrheiten. In der Bühnenfassung wird dieser fiktive Charakter des Gesprächs nicht klar, so dass man es durchaus für real halten kann. Diese Ambivalenz kann von der Regie durchaus gewollt sein, da das imaginierte Gespräch einerseits für Charlotte einen quasi-realen Charalter hat und Goethe sich andererseits entsprechend seinen vorherigen Auftritten verhält. Alle Kritik an seiner Steifheit, Unnahbarkeit und Selbstgerechtigkeit beantwortet er mit literarischen Metaphern, die Charlottes Kritik im Rahmen des Zweier-Gesprächs letztlich alltäglich-kleinlich aussehen lassen. Nur der Zuschauer sieht aus der Perspektive des objektiven Betrachters die wahren Verhältnisse und Maßstäbe.

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Monika Kroll, Benjamin Kiesewetter

Regisseur Slobodan Unkovski hat zwar bereits zweieinhalb Stunden für das Stück vorgesehen, doch selbst diese Dauer kann natürlich nicht alle Feinheiten des Romans wiedergeben. Doch ihm gelingt ein sehr treffendes und gut ausbalanciertes Stimmungsbild, das den Grundtenor des Romans mit einigen Abstrichen zum Ausdruck bringt. Dabei bringt ein besonderer Regieeinfall zusätzlich Leben und Spannung in die Inszenierung: durch die gesamte Inszenierung ziehen sich Szenen aus dem „Werther“, die von zwei jungen Schauspielern – Magdalena Höfner als junge Lotte und Benjamin Kiesewetter als junger Werther – in die Handlung eingestreut werden. Diese Szenen wirken wie Träume oder Erinnerungen der alternden Protagonisten, und sowohl Charlotte als auch Goethe wenden sich diesen Szenen wie eigenen Traumgebilden zu, während die anderen Figuren sie nicht wahrnehmen. Dabei tritt mit zunehmender Spielzeit der Kontrast zwischen der ursprünglichen, absoluten Emotionalität Goethes und seiner eher indifferenten wenn nicht uninteressierten Alterssicht zutage. Ein weiterer auffallender Regieeinfall besteht darin, dass Unkovski Michael Günther Bard, den Darsteller des gealterten Goethe, über Strecken mit dem Rücken zum Publikum spielen lässt. Seine präsente Stimme ermöglicht diese Spielweise ohne Einschränkungen der Verständlichkeit, und die Absicht dahinter ist, die innere Abkehr des „großen Mannes“ vom Publikum und die zunehmende Selbstbezüglichkeit solcher Persönlichkeiten zu zeigen. Goethe kehrt nicht nur Charlotte sondern auch dem Publikum den Rücken, letztlich sogar dem realen in dieser Aufführung. Damit wehrt er sich auch gegen die Vereinnahmung durch eine Öffentlichkeit, die stets den Großen für ihre Parrtikularinteressen einzuspannen versucht.

Angelina Atlagić hat dazu ein historisches Bühnenbild geschaffen, das die Zeit um 1816 wiederbelebt. Im Bühnenhintergrund öffnet dabei ein romantische Landschaftsbild den sehnsüchtigen Blick in die Ferne. Für die Kostüme gilt das Gleiche. Charlotte erscheint im langen weißen Kleid einer älteren Dame und trägt – jungmädchenhaft-romatische Anspielung – beim Essen mit Goethe ihr von ihm damals so bewundertes Jungmädchenkleid, was er leider nicht bemerkt. Goethe kommt in schwarzer Seidenkleidung, die anderen in üblichen Kostümen des frühen 19. Jahrhunderts. Bühne und Kostüme bleiben also konsequent in der Zeit der Handlung.

Die Darsteller runden den Gesamteindruck durch beeindruckende Leistungen ab. Monika Kroll spielt die Charlotte mit der Selbstsicherheit und der feinen Ironie einer lebenserfahrenen Dame, die die Schwächen der Männer kennt, die aber selbst auch nicht gegen romantische Anwandlungen gefeit ist und eine gehörige Portion an Sehnsucht mit sich herumträgt. Sie kann dann dann plötzlich auch in Tränen ausbrechen, wenn die Eerwartungen enttäuscht werden, oder ihre Lippen ein wenig mehr zusammenpressen, wenn ein Gefühlsausbruch nicht angemessen erscheint. Auf feine und nie übertriebene Art bringt sie das Leiden der Frauen unter der immanenten Unterdrückung und Nichtachtung zum Ausdruck, die damals öffentlich als solche gar nicht wahrgenommen wurden. Michael Günther Bard stellt einen raumfüllenden, mit seinem Selbstbewusstsein und seiner selbstgerechten Art seine Umwelt beherrschenden Goethe dar, den das Vakuum um ihn herum geradezu zur Aufblähung zwingt. Jörg Zirnstein spielt den August als zerrissenen und von der Last des Vaterbildes erdrückten Neurotiker, Benjamin Krämer-Jenster den Dr. Riemer als enttäuschten, fast wehleidigen Biedermann. Viola Pobitschka tritt in der Doppelrolle der Clara und der Ottilie auf, wobei sie vor allem letzterer viel jungmädchenhaftes Wesen verleiht. Rainer Kühne spielt einen köstlich verqueren Kellner Mager und Franziska Beyer eine ziemlich verrückte Mrs. Cuzzle sowie die pragmatische Adele Schopenhauer. Martin Müller gibt Goethes Kammerdiener Carl mit stoischer Ruhe.

Das Publikum zeigte sich von dieser Inszenierung sehr angetan und spendete kräftigen beifall.

Frank Raudszus

Alle Bilder © Martin Kaufhold

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