Am Ende schließt sich der Kreis

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Mei Hong Lin beendet ihre Zeit als Leiterin des Darmstädter Tanztheaters mit „Bernarda“.

 

In der Saison 2004/2005 startete die neue Chefchoreographin Mei Hong Lin mit der Produktion „Das Haus der Bernarda Alba“. Jetzt hat sie dieses Stück nach ihrem Abschied vom Staatstheater Darmstadt unter dem knappen Titel „Bernarda“ als letzte Produktion an diesem Haus noch einmal aufgenommen. Wir zitieren an dieser Stelle noch einmal unsere damalige Rezension, zum Einen, weil da vieles noch zutrifft, zum Anderen, weil –  neben anderen Darstellern – auch Änderungen der Dramaturgie zu erkennen sind.

Ana Sánchez Martínez (Angustias), Christopher Basile (Bernarda Alba)

Ana Sánchez Martínez (Angustias), Christopher Basile (Bernarda Alba)

Wir schrieben damals:

Federico Garcia Lorcas düsteres Stück über die Auswirkungen eines übersteigerten Katholizismus´ und die Zerstörung einer Familie stand bereits vor einiger Zeit in der originalen Theaterform als „Bernarda Albas Haus“ auf dem Programm. Nun hat sich Mei Hong Lin, die neue Leiterin des Darmstädter Tanz/Theaters, dieses Stoffes neu angenommen und ihn als eigene Choreographie auf die Bühne des Kleinen Hauses des Staatstheaters gebracht. Dieses Stück eignet sich für die tänzerische Darstellung besonders gut, da es im Wesentlichen in der Darstellung seelischer Befindlichkeiten und familiärer Herrschaftsstrukturen besteht und keine komplexe, der sprachlichen Vermittlung bedürftige Handlung enthält.

Der Natur des Mediums – Tanz – gemäß hat Mei Hong Lin die Handlung noch einmal ausgedünnt. Dass Angustias Geld hat, Portiria missgünstig weil missgestaltet und Pepe ein Erbschleicher ist, spielt hier keine Rolle; die Choreographie konzentriert sich allein auf die Unterdrückung der Töchter und ihrer natürlichen Triebe durch eine harte und bigotte Mutter. Um dies noch augenfälliger werden zu lassen, hat Mei Hong Lin Bernarda durch einen Mann besetzt, Julio Viera. Die drahtige männliche Figur in dem langen schwarzen Kleid und die herben Gesichtszüge verstärken so noch den Eindruck der Unnachgiebigkeit. Auch die geistig verwirrte Mutter der Bernarda, die sich als Einzige aufgrund ihrer Unzurechnungsfähigkeit ein spontanes Auftreten leisten kann, verkörpert mit Rafael Valdevieso ein Mann.

In zwölf ineinander übergehenden Szenen schildert Mei Hong Lin den Handlungsablauf und das Leiden der Töchter. Ein weißes, nach vorne offenes Rechteck symbolisiert ansatzweise ein spanisches Haus, im Hintergrund dient ein dunkler Schrank gleichzeitig als Gefängnis für die unbotmäßige weil spontane Alte wie auch als Übergang in die Kulissen. Schwarze Tische ergänzen die Ausstattung und dienen auch mal als Betten. Das schwarz-weiße Bühnenbild gibt klare (Lebens-)Konturen vor und atmet Strenge. Während die Töchter in diesem Geviert wie gefangen hin und her irren und nach einem – natürlich nicht vorhandenen – Ausweg suchen, wandelt Bernarda wie ein Gefängnisaufseher in starrer, unnahbarer Haltung auf der Seitenwand auf und ab oder steht wie ein Monument da, keiner Gemütsregung fähig. Nur von Zeit zu Zeit schallen harte Befehle von oben, so zu Beginn und zum Ende ein harsches „Silentio“, das jeweils eine achtjährige Trauerzeit einleitet.

Am Anfang breiten die Töchter ein weißes Tuch über die gesamte Bühne, das sich wie ein Leichentuch über alles Leben im Hause legt. Zum Schluss, wenn Pepe verjagt ist, Angustias und Adela wieder allein sind und die „Schande“ des Hauses offenbar wird, kommt das Tuch ein zweites Mal zum Vorschein und wird wiederum über alles Lebendige und Tote gebreitet. Zwischen diesen beiden Eckpunkten findet der Kampf der Töchter statt, erst gegen die Mutter und die Träume von der Liebe und der Lust, dann gegen einander, wenn sie Adelas grünes Kleid entdecken – alle tragen zum Zeichen der Trauer ein schwarzes Kleid – und es der Schwester neiden.

Ganz besonders intensiv gelingt die Szene der nächtlichen Träume, wenn sich die Mädchen auf ihren Tischbetten räkeln und von Männern träumen, die sich gleichzeitig wie Lemuren um ihre Betten und sie herumwinden. Diese erotischen Traumszenen leben von der Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit und bringen die verzweifelte Einsamkeit der jungen Frauen körperlich zum Ausdruck. Dem entspricht die Szene zwischen Pepe und Adela, zu der er nach der offiziellen Verlobung mit Angustias geht. Hier wird zum ersten und einzigen Male der Wunsch Wirklichkeit und tänzerisch ausgelebt. Dabei ist der Ausdruck „tänzerisch“ etwas unscharf, weil die Szene auf dem simulierten Bett stattfindet und eher eine ausgestaltete Umarmungsszene darstellt.

Alle zwölf Szenen sind kurz gehalten – das ganze Stück dauert nur neunzig Minuten – und schließen sich nahtlos aneinander an. Dadurch entsteht eine außerordentliche Dichte, und keinen Augenblick entsteht so etwas wie Langeweile. Das Ensemble drückt alle emotionellen Facetten mit viel Gespür fürs Detail aus bis hin zur Mimik, so wenn die Mädchen durch ein Fenster die jungen Männer auf der Straße bewundern und herbeisehnen, oder wenn die Magd La Poncia immer wieder versucht, als Widerpart zu Bernarda zwischen ihr und den Mädchen zu vermitteln oder diese vor der Mutter zu schützen. Zwischen diesen beiden Frauen spielt sich am Rande der Bühne eine kleine Nebenhandlung ab, die vordergründig im Stricken besteht, aber dahinter ein kleines Drama zwischen Herrin und Magd darstellt.

Die Musik zu diesem Tanzdrama kommt von einer vierköpfigen Flamenco-Band am Bühnenrand. Drei Instrumentalisten und eine Sängerin erzeugen einen durchgehenden akustischen Hintergrund, dessen Rhythmus sich immer wieder in den Bewegungen des Ensembles niederschlägt. Diese Musik ist nicht nur Untermalung, sondern – wie im klassischen Ballett – auch Bewegungsanweisung. Der Flamenco steigert noch die schwermütige Stimmung einer hoffnungslosen Konstellation, und wenn Bernarda energisch den rechten Ellbogen in die linke Hand schlägt, findet sich diese Bewegung akustisch in der Musik wieder, die auch ohne Tanz einen eigenen Stellenwert besitzt.

 

 Emanuele Rosa (Pepe el Romano), Veronica Bracaccini (Adela)

Emanuele Rosa (Pepe el Romano), Veronica Bracaccini (Adela)

Diese Rezension gilt in den wesentlichen Aspekten auch für die aktuelle Inszenierung. Neben den Besetzungsänderungen – nach zehn Jahren ist keiner der damaligen Akteure noch am Staatstheater – hat sich in erster Linie das Bühnenbild geändert. Dirk Hofacker hat es einfacher, puristischer gestaltet. Verschwunden sind die knappen Andeutungen eines spanischen Ambiente – nackter Bühnenboden statt Landhausfliesen, keine erhöhte Galerie an der Seite -,  Seiten und Rückwand sind mit halbtransparenten Vorhängen drapiert, eine zentrale Treppe in den Hintergrund dient als „Podest“ für Bernarda. Auch die Kostüme sind modernisiert worden: nur noch Bernarda – hier ebenfalls von einem Mann gespielt – trägt den bodenlangen, strengen schwarzen Rock, die Mädchen tragen kurze schwarze Kleider als Trauersymbol und fleischfarbene Hemden darunter. Die Magd La Poncia ist auch hinsichtlich des Kostüms zwischen Bernarda und den Töchtern angesiedelt: sie trägt ein hellbraunes, hochgeschlossenes Kleid. Ein Zeichen ihres Zwitterdaseins zwischen den gleichaltrigen Mädchen und der treuen Magd der Herrin.

Die Band ist wieder in der gleichen Besetzung mit von der Partie, wobei nicht unbedingt davon auszugehen ist, dass es noch die selben Musiker  wie im Jahr 2004 sind. Die Inszenierung ist identisch in zwölf nahtlos aneinandergefügte Szenen angeordnet und lässt sich auch inhaltlich an der Rezension der ersten Inszenierung ablesen. Doch einige Eindrücke haben sich geändert. So erscheint die Musik – vor allem der Gesang der Flamenco-Sängerin Carmen Fernandez – zu Beginn etwas zu dominant. Die Musik wird hier nicht zur Untermalung und Verstärkung der tänzerischen Gestaltung sondern zum Motor des Geschehens. Da die Handlung anfangs noch keine dynamischen Elemente enthält, lebt die Choreographie weitgehend von der Musik. Auf der Bühne werden die seelischen Befindlichkeiten weniger durch expliziten Tanz als durch Körperhaltung  und -sprache ausgedrückt: hängende Köpfe und scheue Blicke der gegängelten Mädchen, herrisches Gebaren der Bernarda. Angesichts dieser körperlichen Zurückhaltung in den ersten Szenen wird die Musik zwangsläufig zur dominanten Kraft, vor allem in Gestalt der durchdringenden Stimme der Sängerin.

Doch im Laufe der Szenen gewinnt die Handlung an Dynamik, und mit der Auseinandersetzung zwischen den jeweiligen Antipoden entwickelt sich auch die tänzerische Spannung. Es kommt viel Bewegung in das Zusammenspiel der Tänzer und Tänzerinnen, sei es bei dem Kampf der Töchter ums grüne Kleid oder bei den Auftritten der jungen Männer aus der Außenwelt. Mit der Abschwächung des katholischen Aspekts in Bühnenbild und Kostümen gewinnt die Handlung und damit die Aussage allgemeinere Züge und konzentriert sich nicht mehr auf die Auswüchse eines klerikalen Systems. Die katholischen Gebete spielen zwar immer noch eine Rolle, sind aber mehr Zeichen eines Strafexerzierens denn einer tiefen Gläubigkeit. Diese Mädchen folgen nicht mehr einem religiösen Wahnsystem sondern den Zwängen einer Konvention in Gestalt einer despotischen Mutter.

Veronica Bracaccini (Adela), Sofia Romano (Martirio), Johanna Berger (Amelia), Ana Sánchez Martínez (Angustias), Stellina Jonot (Magdalena), hinten: Ines Fischbach (La Poncia), Christopher Basile (Bernarda Alba)

Veronica Bracaccini (Adela), Sofia Romano (Martirio), Johanna Berger (Amelia), Ana Sánchez Martínez (Angustias), Stellina Jonot (Magdalena), hinten: Ines Fischbach (La Poncia), Christopher Basile (Bernarda Alba)

Die eindrucksvollsten Szenen sind in dieser Inszenierung die erotischen Träume der Mädchen, die sich, sanft ausgeleuchtet, auf den zu Betten umgedeuteten Tischen räkeln, und die anschließende Strafe für die lustvollen Träumen bei dem Aufwischen des Bodens. Beide Szenen sind dramaturgisch konsequent durchgestaltet und überzeugen durch ihre originellen choreographischen Einfälle hinsichtlich Vielfalt und Synchronität der Bewegungen. Viel Leben und Realitätsnähe bietet auch der Streit um das grüne Kleid, das als Symbol der Freiheit den einzigen kleinen Lichtblick für alle Mädchen darstellt. Hier kommen ganz elementare Gefühle und Sehnsüchte zum Vorschein unter Verzicht auf nur allegorische Elemente. Man spürt die Sehnsucht der Mädchen nach diesem schönen Kleid geradezu körperlich.

Auch das weiße Tuch kommt wieder auf gleiche Weise wie in der ersten Inszenierung zum Einsatz und legt sich am Schluss wie ein Leichentuch über die neu erstarrte Seelenlandschaft. Adela wickelt sich als Zeichen ihres Freitods in dieses Tuch ein, bis nur noch ihr sich neigender Kopf zu sehen ist.

Die Tanztruppe überzeugt sowohl tänzerisch als auch darstellerisch, wobei die beiden Aspekte natürlich oftmals ineinander übergehen. Christopher Basile tanzt die Bernarda als eiskalten Engel, wobei diese Metapher im doppelten Sinne passt. Zwar bringt er durch seine ruckartigen, kompromisslosen Bewegungen die despotische Art der Bernarda sehr gut zum Ausdruck, doch seine Physiognomie wirkt derart genuin sympathisch, dass es ihm schwerfällt, dem Gesicht eine wirklich bösartig-herrische Ausstrahlung zu geben. Doch hier geht es ja um Tanz- und nicht um Schauspieltheater. Celedonio Indalecio Moreno Fuente tanzt die demente Großmutter mit der verzweifelten Leidenschaft eines alten, in Jugenderinnerungen erstarrten Menschen, und Ines Fischbach verleiht der La Poncia die mühsam erarbeitete Unterwürfigkeit einer innerlich rebellischen Dienstmagd. Veronica Bracaccini  ist eine lebenslustige, fast noch naive Adela, die den aus Frustration erwachsenen Hass ihrer Schwestern nicht versteht, und Ana Sanchez Martinez tanzt die Angustia als eine junge Frau, die meint, als einzige dem Fluch der Trauerhaft entkommen zu können, und doch am Ende mit leeren Händen dasteht.

Veronica Bracaccini (Adela), hinten: Emmanuel Dobby, Christopher Basile (Bernarda Alba), Emanuele Rosa (Pepe el Romano)

Veronica Bracaccini (Adela), hinten: Emmanuel Dobby, Christopher Basile (Bernarda Alba), Emanuele Rosa (Pepe el Romano)

Die Inszenierung steigert sich von Szene zu Szene und entwickelt dabei eine zunehmende psychologische Dichte und Differenzierung der einzelnen Charaktere, die die Zuschauer in ihren Bann ziehen. Man konnte diesen Effekt bei der Premiere daran erkennen, dass es trotz spektakulärer Momente keinen spontanen Szenenapplaus gab. Obwohl der Eindruck fast hautnah zu spüren war, vereinte alle Zuschauer das Gefühl, dass man diese Spannung nicht durch Beifall zerstören dürfe. Schließlich ist ja Beifall immer auch der über die eigene Kennerschaft.

Stattdessen verharrte das Publikum nach der letzten Szene und dem Verlöschen des Bühnenlichtes lange Sekunden in innerer Reflexion, bevor es in erst verhaltenen, dann jubelnden Beifall ausbrach. Am Ende standen große Teile des Publikums und spendeten dem gesamten Ensemble einschließlich der zu diesem Anlass nach Darmstadt zurückgekehrten Mei Hong Lin begeisterten, rhythmischen Beifall.

Frank Raudszus

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