Das Staatsballett Berlin zu Gast in der Deutschen Oper Berlin.
Die Saga um „Tausendundeine Nacht“ ist eine Sammlung morgenländischer Erzählungen, deren vermuteter Ursprung in den Regionen in und um Indien und Persien liegt. Eine Rahmengeschichte fasst eine Vielzahl von Schachtelgeschichten zusammen und, so heißt es nach der Überlieferung, hat in ihrer Entstehung ein Ende einer unsäglichen Serie an Frauenmorden erwirkt. König Schahriyâr, Herrscher einer ungenannten Insel zwischen Indien und dem Kaiserreich China, war dermaßen schockiert von der Untreue seiner Gattin, dass er sich einen obskuren Plan der Rache am anderen Geschlecht erdachte. Er ließ seinen Wesir jeden Abend eine Jungfrau bringen, die am nächsten Morgen hingerichtet wurde.
Eines Tages konnte die Tochter des Wesirs solches Leid nicht mehr ertragen und entschloss sich, selbst des Königs nächste Frau zu werden. Scheherazade, wie die Schöne hieß, begann, in der ersten und womöglich einzigen Nacht mit dem König eine Geschichte zu erzählen. Als sie am nächsten Morgen an der spannendsten Stelle innehielt, gewährte der König der dem Tode Geweihten Aufschub. Scheherazade setzte ihren klugen Ansatz Sonnenuntergang für Sonnenaufgang fort, so dass sie nach schließlich Tausendundeiner Nacht dem König Schahriyâr drei Kinder geboren hatte. Da gewährte Ihr der König Gnade.
Angelin Preljocaj nahm sich die Geschichte „Comme mille et un fantasme“ als Forschungsobjekt vor, um sich im Rahmen der „Marseille-Provence 2013 Europäische Kulturhauptstadt“ und deren Beschäftigung mit dem Mittelmeerraum auf eine Reise nach dem Ursprung der genannten Erzählungen zu begeben. Die Sinnlichkeit der Geschichten bietet sich für Tänze an, die solch feinsinnige Erotik auf der Bühne entfalten können und jede Form der Sprache obsolet machen. So überträgt sich Erotik in ihrer Form als Ästhetik des Surrealismus mittels eines Tanzes und somit reiner Körperlichkeit eingehender auf die Zuschauer als ein verbalisiertes Pendant.
Zu Beginn lässt Preljocaj wahrscheinlich sogar deshalb keine Musik zu, wenn sich nach Heben des Vorhangs eine Schar von Tänzerinnen, ansatzweise bekleidet, grazil aus dem Schlaf räkelt. Scheherazade kommt die Rolle der Wächterin von Achtbarkeit und Ehre der Frau in unserer Gesellschaft zu. Im Ballett wird sie durch die weiblichen Tänzerinnen verkörpert. In der Geschichte um Tausendundeine Nacht sind es ihre Worte und Intelligenz, die gegen ein Bollwerk aus Barbarei ankämpfen und die Gesellschaft zum Hinterfragen der Rolle der Frau anregen sollen.
Auch cinéastische Höhepunkte dieses und des vergangenen Jahres wie „The Great Gatsby“ oder „The Wolf of Wallstreet“ zeigen uns, dass die Rolle der Frau in der Zeit bis heute noch oft durch das Dogma „It’s a man’s world“ bestimmt ist. Selbiges wird von Preljocaj aufgegriffen und glänzend in Szene gesetzt. Der Vorhang senkt sich vor der leeren Bühne ab und ein Moment der Dunkelheit und Stille bestimmt den Saal. Zwei Scheinwerfer illuminieren die Bühnenränder, als leise die Klänge von James Browns „It’s A Man’s World“ erklingen und die Tänzerinnen mit stolzem Schritt vor den roten Samtvorhang schreiten. Die Szene brilliert mit einer bitter-süßen Mischung aus Etablissment-Charme und dem Erwehren der Damen gegen ihre zugedachte Rolle der Entertainment-Dolls.
Das Ballett „The Nights“ lebt nicht von einer durchgehenden Handlung, sondern es sind es die Bilder, die jedes für sich eine eigene Welt erschaffen. Der Tanz ist selbstredend die gesetzte Größe in der Darbietung, wobei auch dieser sich in der allerersten Szene erst entfaltet. Musik, Bühnenbild und Kostümierung sind Fragmente, die nach Wunsch hinzugesetzt oder hervorgehoben werden und ab und an eine führende Rolle in der Darbietung übernehmen. Claudia De Smet begleitet Preljocaj bereits seit 1995 und leitete bei „The Nights“ die Einstudierung. Im Jahr 1997 erhielt sie beispielsweise mit ihrer Tanzpartnerin in New York den renommierten Bessie Award für die herausragende Interpretation des Duetts „Annonciation“. Bis 2001 wirkte De Smet selbst als Tänzerin im Ensemble von Preljocaj mit. Seit Ihrer Rückkehr zum Ensemble 2004 ist sie in der Position als choreographische Assistentin und Probeleiterin aktiv gewesen.
Natascha Atlas setzt gemeinsam mit Samy Bishai die musikalischen Akzente. Mit ihrer englisch-ägyptischen Herkunft hat Atlas das Interkulturelle aufgegriffen, und es ist ihr gelungen, dies als Markenzeichen zu etablieren. Sie fusioniert teils traditionell nordafrikanische teils orientalische Musikstile mit den Klängen elektronischer Sounds, die vor allem aus der Berliner Clubwelt bekannt sind. Dies erzeugt Klangkörper, die traditionell und kulturell aufgeladen sind und gleichzeitig mit ihren tiefen und starken Bässen das Innere des Körpers ergreifen und mitnehmen. Diese Symbiose führt zu einem sehr hohen Niveau an Spannung und Überraschungsmoment, wie es beispielsweise die seltenen und distinguierten Gewürze der Sterneküche erwirken. Der in Ägypten aufgewachsene Bishai studierte klassische Gitarre am Konservatorium in Kairo und setzt seine Akzente basierend auf der Vorliebe für Improvisation, Jazz und nicht-klassischen Musikformen.
Die Bühnenbilder gehen auf Constance Guisset zurück, die auf ein Studium des Kulturmanagement an der renommierten ESSEC Business School in Frankreich zurückblickt. Ihrem Drang nach kreativer Arbeit ging sie nach, als sie später ein Designstudium an der École Nationale Supérieur de Création Industrielle absolvierte. 2009 gab sie ihr Debut mit Preljocaj, als sie sein Bühnenbild für „Le Funambule“ entwarf. Ihr Stil ist geprägt von Balance und Leichtigkeit bis hin zur Schwerelosigkeit. Zusammen mit den Kostümen des in Tunesien geborenen Azzedine Alaïa, der zu den bedeutendsten lebenden Courtiers zählt, ergeben sich bezaubernde Bilder für das menschliche Auge.
Malte Raudszus
No comments yet.