Die schaurige Geschichte eines armen Monsters

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Christian Klischat liest bei den Barfestspielen des Staatstheaters Darmstadt Mary Shelleys Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“.

„Frankenstein“ ist in der westlichen Welt zu einem festen Begriff – ja, geradezu zu einer Ikone – für die Hybris der Wissenschaft und ihrer Vertreter geworden, und ist in verschiedenen Variationen auf die Bühne und in das Kino gekommen. Die Geschichte stammt aus der tiefsten Romantik – 1818 -, die für Schauergeschichten und irrationale Welten schwärmte und sich damit gegen die Zumutungen der Aufklärung wehrte. Wie die Musik und die Malerei distanzierte sich auch die Literatur dieser Zeit von einer traurigen Realität – Kriege, Restauration, Repression und beginnende Industrialisierung – und verlor sich gerne in visionären oder gar magischen Welten.

Christian Klischat

Christian Klischat

In Mary Shelleys Roman berichtet der Kapitän eines englischen Segelschiffes in den Briefen an seine Schwester von einer Fahrt in die arktische Region, wo er die berühmte „Nordwest-Passage“ nach Indien sucht. Mitten im Packeis rettet er einen verelendeten Mann vor dem Hunger- und Kältetod auf einer Eisscholle, der ihm vor seinem nicht mehr zu verhindernden Tod seine Lebensgeschichte erzählt. Es handelt sich um den Genfer Wissenschaftler Victor Frankenstein, der einen künstlichen Menschen geschaffen und ihm per Elektrizität Leben eingehaucht hat. Als er dem Monster eine Lebensgefährtin – wie die Menschen sie haben – verweigert, rächt sich das Monster, indem er Frankensteins Verwandte und Freunde umbringt. Dieser sieht sich gezwungen, ihn zu verfolgen und zu töten, verliert ihn aber in der Arktis aus den Augen.

Dieser Roman lässt sich als eine ernste und angstbesetzte Version von Goethes „Zauberlehrling“ verstehen. Während Goethe als optimistischer Vertreter der Aufklärung diesem Stoff noch einen gewissen pädagogischen, wenn nicht gar humoristischen Aspekt abgewinnt, sieht Shelley in der forschenden Natur des Menschen nur die schreckliche Seite. Auch wenn Mary Shelley den Roman nicht unbedingt als grundlegende Kritik an der menschlichen Gesellschaft und ihren apokalyptischen Tendenzen, sondern in erster Linie als Schauerroman intendiert hat, so bietet sich die allegorische Deutung geradezu auf dem Präsentierteller an. Man braucht heute an die Stelle des künstlich geschaffenen, sich zum Monster entwickelnden Menschen nur die Nuklear-, Gen- oder Computertechnologie zu setzen und steht dann vor einem ähnlichen Fragestellung, wie sie Shelley in ihrem Buch heraufbeschwört: „Kann der Mensch die Folgen seiner Erfindungen wirklich beherrschen?“. Insofern passt dieses scheinbar nur für Liebhaber klassischer Horrorgeschichten noch interessante Buch durchaus in unsere Zeit.

Christian Klischat las diesen Roman im Rahmen der „Barfestspiele“ in der Bar der Kammerspiele. Schummrige Beleuchtung, die gerade reichte, um das Manuskript lesen zu kennen, eine kleine Schar von Zuhörern, deren Gesichter sich im Dunkel des Raums verloren, sorgten für die richtige Atmosphäre für die Lesung, die Klischats Mimik, Gestik und Stimme beherrschten. Schon nach wenigen Sätzen hatte er das Publikum mit seiner beschwörenden, von hintergründigem Schrecken durchdrungenen Stimme eingefangen. Schnell konnte man sich in die Lage des Kapitäns versetzen, der die Erzählung seines todkranken Gastes mit zunehmendem Grauen anhört. Von diesem kann er sich nur distanzieren, indem er Frankensteins Erzählung in „Ich-Form“ ohne eigene Kommentierung wiedergibt. Durch diese doppelte Erzählebene erreicht die Autorin eine ausgeprägte Verfremdung des eigentlichen Geschehens, eine beliebte Technik der Romantik, um das Geheimnisvolle solcher Geschichten zu verstärken.

Klischat steigerte die Wirkung noch, indem er die handelnden Personen in Frankensteins Geschichte mit eigenen sprachlichen Eigenarten versah. So erinnerte das breite Lispeln von Frankensteins Professor ein wenig an Marcel Reich-Ranicki – Absicht?? -, und die Stimme des Monsters klang durch den monotonen Duktus und die kantige Aussprache ein wenig wie frühe computergenerierte Sprachsysteme. Im Kontext der Geschichte wirkte das dann besonders schaurig. Auch die Besatzung – vor allem der Steuermann – des Schiffes erwachten in Klischats Lesung zum Leben – einem Leben in Angst und Schrecken nicht nur vor Kälte, Sturm und Gischt sondern vor allem vor diesem seltsamen Gast.

Als der Erzähler dann schließlich in der Kapitänskajüte seine Seele aushauchte  und damit die Geschichte beendet war – vom Verbleib des Monsters wollen wir hier nichts verraten -, mussten sich die Zuschauer innerlich erst einmal schütteln, um sich des Eindrucks dieser Schauergeschichte und ihrer metaphorischen Macht zu entledigen. Stoff genug für anschließende Diskussionen blieb auf jeden Fall, und Klischat hatte die Gemüter derart angeregt, dass sich auch genügend Redebedarf angesammelt haben dürfte.

Frank Raudszus

 

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