Jo Nesbø: „Blood on Snow – Der Auftrag“

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Ein Thriller mit unerwartetem menschlichen Tiefgang.

Olav Johannson, der Ich-Erzähler, ist ein Auftragskiller. Aus desolaten Familienverhältnissen stammend – Vater krimineller Trinker, Mutter hilflos und schwach – hat er es zu keinem ordentlichen Beruf gebracht und „expediert“ stattdessen für einen Osloer Drogenhändler und professionellen Zuhälter dessen Konkurrenten mit Pistole und ohne Emotionen. In seinen freien Stunden schreibt Olav, jedoch weniger aus literarischem Ehrgeiz – zu allem Überfluss leidet er auch noch an einer Schreib- und Leseschwäche – als aus dem Drang, sich von seinem chaotischen Innenleben zu befreien. Auch gegen emotionale Regungen ist der Berufskiller nicht gefeit. Eine zur Prostitution gezwungene sprachbehinderte junge Frau befreit er von ihrem zugedröhnten Zuhälter und kümmert sich anonym um ihren weiteren Lebensweg in einem einfachen bürgerlichen Beruf.

1601_auftragEs könnte gut so weitergehen, doch nach seinem dritten zur Zufriedenheit seines Chefs erfüllten Auftrag an einem Dealer des Hauptkonkurrenten erhält Olav unvermutet einen unerwarteten Auftrag. Er soll ausgerechnet die junge Ehefrau seines Chefs „expedieren“. Etwas verwundert, fast schon geschockt ob dieses ungewöhnlichen Auftrags macht er sich an die professionelle Beschattung seines Opfers, um den günstigsten Augenblick für die Tat herauszufinden. Dabei entdeckt er, dass sie nachmittags einen jungen Liebhaber empfängt und von diesem offensichtlich misshandelt wird. Verwundert, warum sein Auftrag nicht dem Liebhaber gilt, und fasziniert von der Schönheit der Frau, zieht er die Beobachtung in die Länge und verliebt sich prompt in die Frau. Schließlich kommt er zu dem Schluss, dass sie von ihrem Liebhaber erpresst wird und ihm nur unfreiwillig zu Willen ist. Kurzentschlossen bringt er diesen anstelle der Frau um und berichtet dies seinem Auftraggeber mit der entsprechenden Erklärung.

Doch die Dinge liegen völlig anders als er gedacht hat, und er sieht sich plötzlich nicht nur der Tatsache gegenüber, dass er nun auf der Todesliste seines Chefs steht, sondern dass er damit auch die junge Frau keinesfalls gerettet hat. Daher erklärt er ihr die Situation und nimmt sie zu sich in seine kleine, unter anderem Namen gemietete und niemandem bekannte Wohnung, um sich schnellstmöglich mit ihr ins Ausland abzusetzen. Sie dankt ihm dafür nicht nur verbal und lässt ihn von einem glücklichen Leben fernab Norwegens träumen.

Doch sein ehemaliger Chef ist weder großzügig noch dumm. Über verschiedene Wege und die unvermeidlichen Spuren, die jeder Mensch hinterlässt, kommt er auf Olavs Spur und hetzt seine Killer auf ihren ehemaligen Kollegen. Es entwickelt sich eine unbarmherzige Jagd, die schlecht für Olav auszugehen drohnt. Ersten Angriffen kann er durch Geschick und Glück noch entkommen und entschließt sich zu der einzigen rettenden Alternative: einem Pakt mit dem Hauptkonkurrenten seines Ex-Chefs. allerdings hat er bereits drei dessen Dealer „expediert“, so dass die Erfolgsaussichten zweifelhaft sind.

Wir wollen an dieser Stelle nicht mehr über den weiteren Verlauf des Kampfes zwischen den Killern und Dealern verraten. Es bleibt jedoch bis zum Schluss ausgesprochen spannend, und das Ende sieht anders aus, als man es von den meisten Thrillern dieser Art gewohnt ist. Das liegt auch daran, dass der Autor unter die reine Handlung das Drama eines gescheiterten Lebens – Olavs – legt und den Weg eines begabten und weltoffenen Kindes aus einer zerstörten Familie in die Kriminalität mit den Worten des Betroffenen beschreibt. Man erhält Einblick in die durchaus empathische Psyche eines jungen Mannes, den jedoch die schrecklichen Zustände in seinem Elternhaus förmlich zu seiner ersten Gewalttat treiben und der danach – traumatisiert – nicht mehr zu einem geordneten Leben findet. Die Erinnerungen an seine Träume von einem geglückten Leben bleiben jedoch haften und veranlassen ihn immer wieder zu Anfällen echter Menschlichkeit, die dann jedoch brutal zerstört werden. Wer einmal in den Niederungen der Gesellschaft angekommen ist, darf dort nicht mehr mit Solidarität oder Loyalität in irgendeiner Form rechnen. Am Ende ist zwar in einem höheren Sinne der Gerechtigkeit Genüge getan, aber es bleibt ein Hauch echter Tragik.

Das Hörbuch ist im Verlag „Hörbuch Hamburg“ erschienen, umfasst 4 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 237 Minuten und kostet 12,99 Euro.

Frank Raudszus

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