Martin Walser: „Ein sterbender Mann“

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Eine Elegie über Alter, Tod und Verrat.

Martin Walser ist ein Mann von neunundachtzig Jahren, und da liegt es nahe, ein Buch über das Altern zu schreiben. Das hat er zwar schon in früheren Büchern ansatzweise getan, etwa vor dreizehn Jahren in „Meßmers Reisen„, aber nicht so konsequent und rückhaltlos wie jetzt. Die seit diesem Buch verflossene Zeit hat nicht nur gefühlte oder echte Verletzungen hinzugefügt, sondern vor allem Jahre, die sich nicht verleugnen lassen. Mit knapp neunzig Jahren steht man zwar am Ende eines Lebens, aber die Reaktionen der Menschen auf diese Tatsache fallen doch ziemlich unterschiedlich aus. Bei Walser kann man – von außen gesehen – von einem gelungenen Leben ausgehen. Den Krieg hat er überlebt, was in diesem Alter nicht selbstverständlich ist, da er bei Kriegsende achtzehn Jahre alt und damit Kandidat für das letzte Aufgebot war; nach dem Krieg hat er sich zu einem der bedeutendsten deutschen Schriftsteller entwickelt und viele Auszeichnungen und Ehrungen erhalten. Dass er sich dabei auch Gegner oder gar Feinde gemacht hat, liegt in der Natur der Sache, und teilweise hat er diese Fehden auch literarisch ausgefochten, etwa im „Tod eines Kritikers„.

1605_sterbender_mannWas in dem vorliegenden Buch erstaunt, ist die bisweilen fast penetrante Klage über das Alter. Man erwartet ja von Schriftstellern in fast naiver Weise stets eine gewisse Abgeklärtheit und Altersweisheit, zu der die jahrzehntelange intensive Beschäftigung mit dem Leben und den Schwächen der Menschen vermeintlich zwangsläufig führt. Nicht so bei Martin Walser. Zwar baut er seine Klage über das Alter und die Vergänglichkeit in eine Handlung ein, doch die zentrale Stelle des Buches besteht in einer Ansammlung von Aphorismen und Gedanken zum Thema „Alter“, die etwa wie folgt lauten: „So lange zu leben ist unrühmlich und schwer“ oder „Das Alter ist eine Niederlage, sonst nichts“. In dieser Art geht es über fünfzehn Seiten, auf denen nahezu alle subjektiven und objektiven Beschwerden über das Alter ausgepackt und beklagt werden. Der vordergründig selbstironische Ton einiger Anmerkungen will nicht recht überzeugen, weil daneben meist ein Gedanke geradezu depressiven Ausmaßes steht.

Auch die eigentliche Handlung handelt vom Scheitern und Altern: Theo Schadt, Anfang siebzig, hat durch den Verrat seines besten Freundes seine Firma verloren. Diesen Freund skizziert Walser als eitlen Lyriker, der sich gerne in raunende Verse kleidet und darauf stolz ist, dass sie keiner versteht. Er genießt seine Stellung im Kulturbetrieb und verlangt von allen Bewunderung, ja Anbetung; lässt sich gerne von Frauen anbeten und verlässt sie nach angemessener Zeit, um sich der nächsten Bewunderin zu widmen. Als er für eine begehrenswerte Frau seinen besten Freund verraten muss, ist das für ihn kein Problem. Walser muss solche Literaten zu Genüge kennengelernt haben, sonst hätte er diesen Carlos Kroll nicht derart genüsslich porträtiert.

Theo hilft seiner Frau im Laden bei der Buchhaltung und hofft ansonsten auf ein baldiges Ende, da er auch noch an einem Tumor erkrankt ist. Zufällig lernt er eine gute Freundin seiner Frau kennen und verliebt sich noch einmal. Dass Sina die derzeitige Freundin seines Verräter-Freundes ist, verleiht der Situation einen besonderen Reiz. Theo beginnt mit Sina einen Briefwechsel, der jedoch auf jeden erotischen Hinweis verzichtet und sich auf fast schon groteske Weise zu einem intellektuellen, ja geradezu transzendentalen Niveau aufschwingt. Theo stilisiert Sina zu einer geistig-seelischen Heiligen, die für ihn eine unverdiente Rettung verspricht, sie antwortet anfangs skeptisch, dann steigt sie langsam auf seinen Ton ein.

Parallel dazu führt Theo in einem einschlägigen Internet-Forum einen Dialog mit einer Suizid-Kandidatin, die sich hinsichtlich des Freitodes von knallharter Konsequenz zeigt – zumindest verbal –  und Theo als Romantiker belächelt, da er noch an gewissen Elementen des irdischen Lebens hänge. Dazu kommen intermittierende Briefe an einen Schriftsteller – hier kann Walser nur sich meinen -, in denen Theo von sich in der dritten Person spricht. Das kann man durchaus als Bild für ein intensives Selbstgespräch deuten. Themen all dieser Korrespondenz sind das Scheitern, der Verrat durch Freunde und der Verlust jeglichen Vertrauens in das Leben. Theo Schadt ist buchstäblich am Ende, und auch Sina kann ihm da nicht heraushelfen, da er ihrer nicht würdig zu sein glaubt und sich in seinen Briefen eher wie ein Wurm vor ihr krümmt als ihr in Augenhöhe gegenüber zu treten. Das führt letztlich auch zu dem abrupten Ende der sich gerade entwickelnden Beziehung und endet in Sinas Suizid. Dass auch der verräterische Freund stirbt, und zwar durch Mörderhand, ist eher ein ironisch-makabres Aperçu.

Unübersehbar ist der zunehmend bitter-ironische Grundton dieses Buches, der sich zum Ende hin noch verstärkt. Humor in seinem ureigenen Sinn findet man – wie bei den meisten Büchern Walsers – nicht. Stehen am Anfang noch Dinge des täglichen Lebens wie Liebe, Eifersucht, Neid und Konkurrenzgebaren im Vordergrund, verschiebt sich die Handlung später zunehmend ins Groteske, wenn plötzlich die Personen sterben wie die Fliegen oder sich überraschende personelle Kongruenzen ergeben. Im Angesicht des Todes sind sämtliche bürgerlichen Werte und Etikette Makulatur, und es siegt nur der traurige Witz der Vergänglichkeit. Tröstlich ist das nicht, und schon gar nicht mit unvergänglichen und unveräußerlichen Werten gefestigt. Dass der Verräter stirbt, sollte man weder kriminalistisch noch moralisch werten: das Leben verrät die Menschen am Ende und führt sie in den Tod. Das steckt hinter der Metapher des verräterischen Freundes. Man hat das Leben geliebt wie einen Freund und muss doch sterben, und damit wird Walser – und der Mensch – nicht fertig. Walsers Ironie lässt seinen Protagonisten zwar zum Schluss allein und (fast) genesen unter Leichen zurück, aber es ist für ihn nur noch das Leben einer Mumie.

Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen, umfasst 287 Seiten und kostet 19,95 Euro. Man sollte es jedoch keinem befreundeten oder gar geliebten Menschen über siebzig schenken.

Frank Raudszus

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