Selbstauskünfte aus einer grauen Zeit

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Theater gilt als die Stätte der Fiktion, die Realität durch erfundene Personen und Ereignisse darstellt. Der Wiedergabe historischer Fakten und der handelnden Personen stehen oft rechtliche oder dramaturgische Gründe entgegen. Es sei denn, die betroffenen Personen betreten in Gestalt eines autobiographischen Berichtes selbst die Bühne.

Das Ensemble von "Atlas des Kommunismus"

Das Ensemble von „Atlas des Kommunismus“

Opfer und Täter auf der Bühne

Eben dieses Experiment hat das Berliner „Maxim Gorki Theater“ mit dem Theaterstück „Atlas des Kommunismus“ gewagt. Dabei geht es um die Erfahrung des „real existierenden Sozialismus“ in der 1990 untergegangenen DDR. Der Dramaturg Aljoscha Begrich und die Regisseurin Lola Arias haben auf jegliche Fiktion verzichtet und stattdessen eine Reihe von Personen gefunden, die bereit waren, ihre DDR-Erfahrungen in einer szenischen Anordnung auf der Bühne preiszugeben. Dabei war natürlich wichtig, eine breite Palette von „Schicksalen“ zu präsentieren und neben Opfern auch Mitläufer und sogar Täter auf die Bühne zu bringen. Letzteres dürfte dabei das größte Problem gewesen sein, denn wer gibt schon gerne öffentlich zu, diesem Personenkreis angehört zu haben. Doch die beiden haben eben dies geschafft und dadurch eine spannungsgeladene Mischung von Biographien auf der Bühne miteinander verknüpft.

 

Rundum-Bühne

Um den typischen Schauspielcharakter – Stichwort „Fiktion“ – zu unterlaufen, hat Bühnenbildner Jo Schramm den Zuschauerraum zu beiden Seiten  eines aus grobem Holz gezimmerten „Pseudo-Bühne“ angeordnet und damit den frontalen Theatereffekt vermieden. Ein Lamellenvorhang trennt die beiden Seiten bei Bedarf, und die auf der jeweils anderen Seite agierenden Personen werden per Video auf diesen Vorhang projiziert. Darüber hinaus erfüllt dieser graue Vorhang kurzfristig eine metaphorische Funktion, wenn er sich bei dem Bericht über den Fall der Mauer langsam hebt und für kurze Zeit im Bühnenhimmel verschwindet. Dass er später wieder erscheint, dient nicht nur der zweiseitigen Szenerie, sondern bebildert daneben den unausgesprochenen Gedanken der „Mauer in den Köpfen“ nach 1990.

Echte DDR-Bürger erzählen

Die handelnden Personen kommen aus allen Altersklassen. Da ist die über achtzigjährige langjährige Kommunistin und Stasi-Mitarbeiterin, die über fünfzehn Jahre lang eifrig Berichte geschrieben und sich erst Anfang der achtziger Jahre von der Stasi und der DDR abgewandt hat. Da ist die Dolmetscherin, die 1989 die berühmte Schabowski-Rede simultan übersetzte und sich dabei plötzlich der Bedeutung dieses Moment bewusst wurde. Nach der Wende fand man für sie keine Verwendung mehr. Dann ist da die ehemalige Punkerin, die sich in den 80er Jahren mit wildem Aussehen und radikaler Musik gegen die Erstarrung der DDR wehrte und dafür ins Gefängnis ging, und da ist schließlich die Schauspielerin, die bereits Ende der 80er gewagte Stücke im Gorki-Theater spielte und dem Ensemble bis heute treu geblieben ist. Sie ist in gewisser Weise die exponierteste Figur, da sie als Schauspielerin sich selbst in ihrer Rolle als Schauspielerin spielt. Diese Rolle erinnert ein wenig an die endlose selbstreferentielle Spiegelung von „Gödel, Escher, Bach“. Diese Runde von DDR-gestählten Frauen wird abgerundet von einer Vietnamesin, die 1980 als Siebzehnjährige in die DDR kam und dort statt der versprochenen Ausbildung einen Posten als Küchenhilfe erhielt und allen Schikanen der Isolierung und Übergriffigkeit bis in den Intimbereich hinein erleben musste.

Frauen dominieren die Szene

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, warum in dieser Runde keine männlichen Vertreter des (Alt-)Männer-Staates DDR zu sehen sind. Das mag dramaturgische oder sogar genderpolitische Gründe haben, wird aber weder in der Szenerie noch in der begleitenden Dokumentation thematisiert. Man darf darüber grübeln. Der einzige Mann dieser Runde ist um die dreißig, bekennender Homosexueller und hat demnach die DDR gerade noch als Kleinkind erlebt. Eine Siebzehnjährige, die den Sozialismus nur noch aus Erzählungen kennt, präsentiert sich als lesbisches Pendant zu dem jungen Mann, und ein neunjähriges Mädchen schließlich fragt alle Anwesenden eins ums andere Mal ganz naiv nach der Bedeutung der Begriffe und Erlebnisse.

Stimmig bis zum Mauerfall

Diese Inszenierung ist über weite Strecken in sich stimmig und konsistent, so lange es um die vom Titel angekündigten Themen geht. Den „Atlas des Kommunismus“ kann man als Verortung des real existierenden Sozialismus verstehen, hier am Beispiel der DDR vorgeführt. Vor allem die älteren Frauen, die noch die Entstehung und „Blütezeit“ – so sie es denn gab – der DDR erlebt haben, artikulieren glaubwürdig ihre Erlebnisse, ihre Begeisterung und auch Ernüchterung und Enttäuschung. Grund genug für letztere Befindlichkeit hatten sie ja. Da ergänzen sich die Berichte, und die Akteure spielen ein dialogisches Ping-Pong miteinander, so wenn die Punkerin die ehemalige Stasi-Mitarbeiterin empört fragt, ob auch sie Ziel ihrer Recherchen gewesen sei. Frühe Begeisterung für den Sozialismus und spätere Enttäuschung über die Realität lassen sich bei allen in verschiedenen Stadien erkennen. Der 9. November 1989 war dann auch nicht für alle ein Jubeltag, weil sich einige von ihnen bereits Gedanken über die Zukunft machten.

Nachwendezeit und Kommunismus?

Doch dann  zerfasert die Inszenierung. Offensichtlich wollte man auch die Jahre nach der Wende noch kritisch einbeziehen, obwohl diese mit dem Titel gar nichts zu tun hatte. Da wird dann plötzlich Homophobie und Fremdenfeindlichkeit thematisiert und dabei unterschwellig und wider besseres Wissen suggeriert, dies sei ein typisches Problem des Kapitalismus. Auch Polizeigewalt gegen (linke) Demonstranten findet kritische Erwähnung und wird unausgesprochen dem Kapitalismus untergeschoben. Dass diese Phänomene mit der Wirtschaftsform am wenigsten zu tun haben, kann man am besten an Hand der Aktionen von Volkspolizei und Stasi im Herbst 89 zeigen. Doch die Dramaturgie wollte offensichtlich den Abend nicht mit einem zu deutlichen Zeigefinger auf die DDR beenden und hängte noch diverse aktuelle Probleme dran, die das Ganze zu einem Rundumschlag der Beliebigkeit werden lassen. Selbst der naiv-romantischen Hinweis auf die friedlich-fröhliche Neugier von Kindern als Glücksbringer für die Zukunft darf am Schluss nicht fehlen. Als wenn es so einfach wäre

Trotz dieser Schwächen gegen Ende kann man die Inszenierung des „Maxim .Gorki Theaters“ als ein gelungenes Experiment betrachten, das vor allem von der Authentizität der echten „DDR-Gewächse“ lebt.

Das Publikum sah es auch so und spendete kräftigen Beifall.

Frank Raudszus

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