Pointen aus der Reza-Schule

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Seit Yasmina Reza ist die pointenreiche Beziehungskomödie mit psychologisch-satirischem Einschlag zu einem erfolgreichen Exportartikel Frankreichs geworden. Sie legt stets den Finger in die Wunden der zwischenmenschlichen Beziehungen und breitet sie genussvoll mit viel Gespür für die Pointe aus. Kein Wunder, dass andere Autoren sich dieser Gattung annehmen, um nicht zu sagen „auf diesen Zug springen“. Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière haben sich gleich zu zweit an einen Tisch gesetzt und den Einakter „Das Abschiedsdinner“ verfasst.

Christoph Bornmüller, Jonas Gruber, Maria Radomski

Christoph Bornmüller, Jonas Gruber, Maria Radomski

Pierre und Clotilde sind seit Jahen mit Antoine und Bea befreundet, verspüren jedoch immer weniger Lust auf eine Fortsetzung dieser Freundschaft. Daher nehmen sie die Idee von Bekannten auf, die ungeliebten Freunde zu einem letzten Dinner einzuladen, um sie dann aus dem Freundeskreis zu entlassen. Natürlich gehören zu einem solchen „Abschiedsdinner“ besondere Riten wie ein Wein aus dem Geburtsjahr des Abstiegskandidaten oder Kleidung aus der ersten Zeit der Freundschaft. Der makabre Witz für die Gastgeber besteht darin, dass die Betroffenen während des Dinners nichts davon merken dürfen, denn so kann man das Herrschaftswissen über die wahren Absichten erst richtig genießen. Wie schön ist es doch zusehen, wie sich der andere über die besondere Gastfreundschaft freut, ohne zu wissen, dass es sich um eine Henkersmahlzeit handelt.

Die Plan geht jedoch insofern schon zu Beginn nicht ganz auf, weil Antoines Lebensgefährtin wegen einer Theateraufführung – sie ist freischaffende Schauspielerin – nicht erscheint. Das führt zwar zu einer gewissen Asymmetrie zuungunsten Antoines, erlaubt diesem jedoch, ohne Rücksicht auf seine Lebensgefährtin zu agieren. Anfangs zeigt er sich noch ganz als der Narziss, bei dem sich alles um sein eigenes Ego dreht. Seine Doktorarbeit – die vor gesellschaftlicher Irrelevanz geradezu strahlt – musste er quasi von Neuem beginnen, und seine regelmäßigen Sitzungen beim Psychotherapeuten sind leider, leider dadurch gefährdet, dass der Psychotherapeut unter Krebs im Endstadium leidet. Man spürt förmlich die anklagende Frage „Kann der nicht gefälligst etwas später sterben?“.

Maria Radomski, Christoph Bornmüller

Maria Radomski, Christoph Bornmüller

Doch als Pierre Antoine jovial auf den Jahrgang des Rotweines hinweis, ahnt dieser den wahren Hintergrund, denn auch er hat von der Strategie des Abschiedsdinners gehört. Nun beginnt ein Schlagabtausch von gegenseitigen Vorwürfen und Rechtfertigungen, alten Erinnerungen und Bloßstellungen, den beide Männer einerseits genießen, unter dem sie andererseits jedoch leiden.  Gegenseitig werfen sie sich ihre Schwächen und Verfehlungen vor, jedoch immer im ironisierten Bagatellisierungsjargon. Man will den anderen ja nicht verletzen, sondern nur eine Pointe zum Abend beisteuern und den anderen sanft an seine menschlichen Schwächen erinnern. Clotilde kommentiert diesen verbalen Zweikampf aus abgesetzter Position mal sarkastisch, mal ungläubig, lernt sie doch völlig neue Seiten ihres Mannes kennen. Gekränkt verlässt sie die beiden Streithähne.

Antoine verlangt von Pierre, sich in seine Situation zu versetzen, und um dies auch äußerlich zu kennzeichnen, tauschen sie die Kleidung. Da muss sich dann der kräftige Jonas Gruber als Pierre in die Jeans und Hemd des deutlich schmaler gebauten Christoph Bornmüller zwängen, während dem Grubers Hose und T-Shirts um die Glieder schlabbern. Lacher! Pierre inszeniert anschließend seinen Perspektivenwechsel als bösartige Karikatur seines ehemaligen Freundes, die zwar durchaus zutrifft, aber bereits ausreichender Grund für die Beendigung der Freundschaft ist. Das Ganze ist eine ungleiche Angelegenheit, denn Pierre und Clotilde stehen als Phalanx gegen alle Versuche Antoines, die Freundschaft zu erhalten, ja, neu zu beleben. Seine durchaus engagierten, ja fast anbiedernden Versuche beantworten Pierre und Clotilde mit herablassendem Humor, der die dahinter lauernde Arroganz nur schwach kaschiert.

Als Antoine schließlich in einer Aufwallung letzten Stolzes das Dinner verlässt, kehrt Clotilde zurück und will mit Pierre die erfolgreiche Beendigung des Abschiedsdinners mit einer spontanen erotischen Performance feiern. Doch da macht ihnen Antoine einen Strich durch die Rechnung…..

Christoph Bornmüller, Jonas Gruber, Maria Radomski

Christoph Bornmüller, Jonas Gruber, Maria Radomski

Das Stück bringt typische Verhaltensweisen und Strategien in menschlichen Beziehungen in pointierter Form zum Ausdruck. Antoines egozentrischem Narzissmus steht Pierres arrogante Selbstgewissheit gegenüber, und Clotilde zeigt durch ihre trockene, abgebrühte Art, dass Antoines Behauptung, sie habe hier die Hosen an, nicht ganz unberechtigt ist. Freundschaft wird in diesen Kreisen nach ihrem – temporären – Nutzwert gehandelt, und im Grunde geht es stets um die Deutungshoheit im Leben, die jeder für sich beansprucht.

Jonas Gruber und Christoph Bornmüller finden sich gut in ihre jeweiligen Rollen und verleihen ihren Protagonisten überzeugende und realistische Konturen. Als Kontrapunkt dazu gibt Maria Radomski eine unterkühlte Clotilde, die bei nächster Gelegenheit auch ihrem Lebensgefährten ein Abschiedsdinner bereiten könnte. Regisseurin Caro Thum sorgt für Tempo und zugespitzte Pointen, und Wolf Gutjahr hat dazu ein Bühnebild aus zahllosen Stühlen und ähnlichem Mobiliar geschaffen, das für die Schauspieler geradezu ein Hindernisfeld bildet. Ganz erschließt sich der Sinn dieses „Stuhlwirrwarrs“ nicht. Vielleicht solle es bedeuten, dass die private Umgebung der Menschen mit Hindernissen vollgestellt ist?

Als Drei-Personen-Stück frei nach dem aristotelischen Muster „Ein Ort, eine Zeit, eine Handlung“ eignet sich dieses Stück besonders für die Kammerspiele. Warum die Schauspielleitung es ins Kleine Haus verlegt hat, bleibt unerfindlich, denn die Pointen kommen dort aufgrund der schlechten Akustik auf hinteren Plätzten oft nicht an. Außerdem fehlt dort die für ein solches Kammerstück dichte Atmosphäre. Vielleicht geht es aber um die Zuschauerzahlen, und man erwartet, dass dieses Stück ein Renner wird. Könnte sein – trotz Kleinem Haus.

Frank Raudszus

 

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