Yasmina Reza: „Babylon“

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Der Titel dieses Romans der französischen Theater-Autorin verweist metaphorisch auf die mangelhafte oder gar fehlende Kommunikation zwischen Menschen und die bisweilen katastrophalen Folgen. Wie ein antikes Schicksal treffen diese Folgen die Beteiligten, ohne dass diese wirklich verstehen, was eigentlich geschehen ist.

Die Ich-Erzählerin Elizabeth wohnt mit ihrem Mann Pierre in einem bürgerlichen Viertel einer Stadt, sagen wir Paris. Doch der spezifische urbane Hintergrund spielt keine Rolle. In dem Mietshaus wohnen mehrere Paare etwa in dem gleichen Alter, in dem die Kinder – wenn es welche gibt – bereits das Haus verlassen haben. Man trifft sich im Treppenhaus und kennt sich mehr oder minder gut. Elizabeth lernt den Nachbar Jean-Lino zufällig näher kennen, man versteht sich, unterhält sich über das Leben und alltägliche Probleme, befreundet sich sogar ein wenig, ohne dass es auch nur ansatzweise zu Intimitäten käme. Beide leben in festen Beziehungen, was bekanntlich zwar kein Hindernis für ein Verhältnis ist, hier aber eine gewisse Rolle spielt. Es geht Yasmina Reza auch gar nicht um die üblichen Beziehungsprobleme von Untreue und Seitensprung, sondern um das ganz gewöhnliche Leben, das plötzlich und unerwartet zerbricht. Sie beschreibt Elizabeths und Jean-Linots Lebensumstände einschließlich ihrer Kindheitserlebnisse und – traumata bis ins Detail und entwickelt daraus langsam die menschlichen Profile dieser beiden Protagonisten. Jeder hat in dem Keller seiner Vergangenheit gewisse emotionale Leichen vergraben, die man am besten nicht ausgräbt.

Elizabeth, die selbst den eher unscheinbaren Beruf einer Patent-Ingenieurin ausübt (Ingenieure gelten in der Literatur stets als langweilig), veranstaltet eines Tages ein kleines Fest, zu dem sie neben Kollegen und Freunden auch Jean-Linot mit seiner Lebensgefährtin Lydie einlädt. Der Abend verläuft recht harmonisch, bis auf ein kleines Scharmützel zwischen Jean-Linot und Lydie anlässlich einer ihrer ökologischen Marotten. Kurz nachdem alle Gäste gegangen sind, klingelt Jean-Linot verstört an der Wohnungstür der bereits zu Bett gegangenen Gastgeber und berichtet, er habe Lydie ermordet.

Jetzt beginnen unter Schock eine kurze Analyse der Situation in Jean-Linots Wohnung vor Lydies Leiche und eine kontroverse Diskussion um die Einschaltung der Polizei. Dabei findet sich Elizabeth plötzlich in einer Situation wieder, in der sie den Eindruck der Komplizenschaft machen könnte. Die Polizei nimmt sie vorläufig fest, und ihr Anwalt verdeutlicht ihr, wie man die Freundschaft zu Jean-Linot auch deuten könne, was eine Mitbewohnerin über das zufällige Treffen mit Elizabeth, Jean-Linot und einem großen Koffer im Treppenhaus denken und sagen könnte, und welche Motive ihr die Polizei unterstellen könnte. Elizabeth findet sich wenige Stunden nach einem netten Abend nicht nur im Mittelpunkt einer tödlichen Tragödie, sondern auch in der Gefahr, als Mitwisserin oder gar -täterin im Gefängnis zu landen.

Doch Yasmina will keine Krimi-Autorin sein, sondern diesen Bruch der Normalität beschreiben. Die Polizei glaubt ihr letztlich ihre Darstellung, und das Hörbuch endet mit einer grotesken Rekonstruktion der Tat, bei der alle die „originalen“ Kleidungsstücke (Schlafanzüge und Pantoffeln!) tragen und an einer lebensgroßen Puppe hantieren müssen. Diese letzte Szene vermittelt noch einmal einen makaber-grotesken Eindruck und zeigt, wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, der uns vor schweren Fehltritten schützen soll. Denn Jean-Linot war nie ein Gewalttäter und wird nie einer sein. Nur die Situation des Augenblicks und ein unkontrollierter Affekt – nach mäßigem Alkoholgenuss – haben ihn einmalig und irreversibel dazu werden lassen.

Maren Kroymann liest das Buch mit der Attitüde einer reifen Frau, die schon alles erlebt hat, dem Leben einen gewissen Sarkasmus und gebremste Emotionen entgegenbringt und sich nur sparsam auf andere Menschen einlässt. Damit charakterisiert sie auch die Leere und Banalität des durchschnittlichen Lebens, das irgendwann keine oder nur noch eine sehr begrenzte Zukunft kennt.

Das Hörbuch ist bei Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst 5 CDs mit einer Gesamtlaufzeit von 318 Minuten und kostet 22 Euro.

Frank Raudszus

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