Bocksgesang mit abschwellendem Publikum

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Albert Camus ist für seine an der Grenze der Absurdität agierenden und existenzielle Situationen behandelnden Werke bekannt. Das Theaterstück „Caligula“ wird entgegen Camus´eigenen Aussagen oft als philosophisches Werk oder auch als Antwort auf Hitler (und Stalin) betrachtet. Doch für ersteren kam es 1938 zu früh, da Hitler zu diesem Zeitpunkt sich noch nicht zum mörderischen Despoten entwickelt hatte. Auch einen Verweis auf Stalin sollte man skeptisch beurteilen, weil dessen Verbrechen sich – vor allem unter Linken – noch nicht weltweit herumgesprochen hatten. So bleibt ein szenischer Versuch über die absolute Macht und ihre Gefahren, die Camus anhand des römischen Kaisers konsequent durchspielt. Caligula hatte schon früh seine geliebte Schwester Drusilla verloren und verzweifelte daraufhin an dem Sinn des Lebens und der Welt. Folgerichtig begann er in einem Anfall radikalen Welthasses, alle geltenden Werte zu verachten und nach dem Unmöglichen, nämlich der „Wahrheit“, zu streben. Diese Unmöglichkeit spiegelt sich in dem offen geäußerten Wunsch, den Mond zu erringen. Außerdem verfügte er, dass alle vermögenden Bürger ihre Kinder zu enterben und ihr Eigentum testamentarisch dem Staat zu vermachen. Daraufhin wurden sie zufällig oder systematisch ermordet. Seine Frau und einzige Vertraute Cäsonia folgte ihm in seinen mörderischen Fantasien, versuchte jedoch gleichzeitig, ihn zu lenken.

Gabriele Drechsel und Christoph Bornmüller

Bei Camus steigert sich Caligula in die Vorstellung, nur die absolute und reine Willkürherrschaft mit Mord und Demütigung verschaffe ihm als Menschen die einzige akzeptable Form der Freiheit. Fast verzweifelt sehnt er sich nach Widerstand, doch seine Schreckensherrschaft zeugt nur nackte Angst und Unterwürfigkeit. Beliebig ausgewählte Personen aus Caligulas Umgebung dienen als Demonstrationsobjekte für Caligulas systematische Terrorherrschaft. Öffentlich müssen sie ihm danken für die Ermordung ihrer Verwandten, Vergewaltigung der Ehefrauen und Raub des Vermögens, um ihm im nächsten Augenblick dafür auf seinen Befehl ihren Hass zu gestehen. Sie folgen willig sämtlichen irrationalen Volten seiner Gedanken und Handlungen, aus nackter Angst um Stellung und Leben, und nehmen dafür auch alle Demütigungen in Kauf. Bei Camus treiben die Sinnlosigkeit seiner eigenen Despotie und die Widerstandslosigkeit der Gedemütigten Caligula in eine geradezu verzweifelte Steigerung, die den Widerstand und schließlich seine Ermordung zum Ziel hat. Daraus ergibt sich die Erkenntnis – zumindest für Camus – dass die absolute Freiheit sich am Ende selbst ad absurdum führt.

Regisseur Christoph Mehler hat das Stück als extreme Darstellung des von jeglichen einschränkenden Werten befreiten Individuums konzipiert. Das Bühnenbild in den kahl-schwarzen Kammerspielen besteht lediglich aus einer Schaukel, auf der Christoph Bornmüller in der Hauptrolle des Caligula nahezu die gesamte Aufführungsdauer von knapp eineinhalb Stunden verbringt. Von dort oben schleudert er – aus einer symbolhaft erhöhten Position – seine tödlichen Attacken auf Gruppen und Individuen, schreit seine Verzweiflung heraus und lässt sich auch von Cäsonia, gespielt von Gabriele Drechsel, kaum mäßigen. Seine Opfer Helicon (Jörg Zirnstein), Cherea (Stefan Schuster), Oberhofmeister Patricius (Robert Lang) sowie Scipio – in Dreifachausfertigung dargestellt von Katharina Hintzen, Yana Robin La Baume und Alisa Kunina – müssen seine Drohungen und Demütigungen über sich entgehen lassen und folgen all seine plötzlichen Anwandlungen mit entwürdigender Selbstaufgabe.

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Diese Entwürdigung zeichnet Jennifer Hörr auch in den Kostümen mehr als deutlich nach. Die drei Frauen tragen weite Pluderhosen, deren schmale Hosenträger den entblößten Oberkörper so gut wie nicht bedecken, die Männer unterschiedliche Kostüme, wobei Robert Lang zu einem derangierten Verband um die Brust nur eine Unterhose trägt. Offensichtlich hat der Oberhofmeister auch körperlich unter Caligula gelitten. Zu einem späteren Zeitpunkt verfügt Caligula in dieser Inszenierung eine Entkleidung, die das Gefühl der Entwürdigung auf die Darsteller überträgt und es dadurch auf fast nötigende Weise auch für die Zuschauer spürbar werden lässt: einen großen Teil der Aufführung müssen zwei Schauspieler mit entblößten Geschlechtsteilen absolvieren, während die Frauen nur noch knappe Slips tragen. Das steigert sich noch zu einer nachgestellten Sex-Orgie, die zwar deutlich satirische Züge trägt, aber an diesem Abend doch das Rezeptionsvermögen einiger Zuschauer überstieg. Mindestens ein halbes Dutzend verließ die Kammerspiele vorzeitig.

Dennoch verbreitet diese kompromisslose Nachstellung der Zustände an einem Ort vollständig aufgehobener menschlicher und zivilisatorischer Werte nie eine schwüle oder gar lüsterne Atmosphäre. Zu schroff sind dafür sowohl die Texte als auch die entmenschlichte Kommunikation zwischen den Protagonisten dieser entgrenzten Gesellschaft.  Sentenzen wie „Staatsschatz gegen Menschenleben“ oder „Dem Jahrhundert die Gleichheit schenken“ erringen an diesem Abend Symbolwert, und der geradezu peitschend im Chor skandierte Begriff „Peitsche!“ kennzeichnet die Situation mit Messerschärfe.

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In einem langen Gespräch zwischen Caligula und Cäsiona inmitten der Leiber der anderen mittlerweile sinnlos dahingemeuchelte Figuren versuchen die beiden, sich ihrer Situation klar zu werden, doch Lösungen in herkömmlichem Sinne sind nicht mehr zu erwarten. Am Ende, nachdem auch Cäsonia – textwidrig – gemeuchelt und Caligula verschwunden ist, krauchen die anderen Darsteller als blökende Schafe über die Bühne. Eine etwas zu plakative Metaphorik!

Trotz – oder gerader wegen – der extremen Darstellung verfehlt diese Inszenierung ihre Wirkung nicht und verdeutlicht die Aussage des Stücks überzeugend. Mehler verzichtet auf jegliche vordergründige Aktualisierung – hier hätte sich ja Einiges angeboten – und hält sich eng an den Text. Die Darsteller sind mit dem gleichen kompromisslosen Engagement bei der Sache und scheuen auch die persönliche Bloßstellung nicht.

Wer sich diese Inszenierung anschauen möchte, sollte sich allerdings auf einen Abend mit schwerer Kost gefasst machen.

Frank Raudszus

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