Colson Whitehead: „Underground Railroad“

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Die Sklaverei in den Südstaaten des USA ist neben der Vernichtung der Indianer wohl das dunkelste Kapitel in der noch jungen Geschichte der USA. Lange Zeit wurden die in Afrika wie Wild gejagten und als Arbeitskräfte nach Amerika verschifften Frauen und Männer als Wesen zwischen Tier und Mensch angesehen, die man bedenkenlos kaufen und verkaufen und – eben“ – versklaven konnte. Viele Romane, so etwa „Onkel Toms Hütte“, haben diese menschliche Katastrophe auf verschiedensten literarischen Ebenen beschrieben und die Zustände angeprangert. Der vorliegende Roman, hier in Form eines Hörbuchs, weicht ein wenig davon ab, weil er zwar auch die Zustände auf den Plantagen beschreibt, aber den Schwerpunkt auf die Flucht legt.

Hintergrund und gleichzeitig Titel dieses Romans ist die „Underground Railroad“, ein geheimes Netzwerk, in dem viele Gegner der Sklaverei – Schwarze und Weiße -zusammenarbeiteten, um den Sklaven die Flucht zu ermöglichen und sie in die sicheren Nordstaaten oder gar mach Kanada zu bringen. Der Name dieses Netzwerks ist rein metaphorisch zu verstehen, da es zu der Hochzeit der Sklaverei kaum Eisenbahnen gab, und schon gar nicht in den Südstaaten. Der Autor nimmt es mit den historischen Gegebenheiten jedoch nicht so genau und macht aus der Metapher gleich ein unterirdisches Fluchtfahrzeug.

Doch Anachronismen wie dieser – es folgen noch weitere – schaden dem Roman nicht. Im ersten Teil schildert er die geradezu unmenschliche Behandlung der Sklaven auf den Baumwoll-Plantagen. Sie werden als reine Arbeitsmaschinen ohne jegliche persönliche Würde und Grundrechte betrachtet. Jedes Haustier hat es auf den Plantagen besser als ein Sklave bzw. eine Sklavin. Lediglich der halbe Sonntag ist frei zwecks Kirchgangs, ansonsten gilt nur: Arbeiten (viel), Schlafen (wenig), Essen (wenig). Für die kleinsten „Vergehen“ gibt es drakonische Strafen, und wer nach einem Fluchtversuch wieder eingefangen wird, stirbt vor aller Augen einen grausamen Tod. Dennoch haben damals viele Sklaven die Flucht versucht, und vielen ist sie auch gelungen, wenn auch der Prozentsatz klein gewesen sein dürfte. Eine Chance bestand nur, wenn man Kontakte zu dem Netzwerk „Underground Railraod“ hatte, das für einen schnellen Weitertransport in den ersten beiden Tagen sorgte.

In dem Roman ist es die junge Cora, die nach einer Gruppenvergewaltigung und aufgrund der unerträglichen Lebensbedingungen zusammen mit dem jungen Sklaven Caesar beschließt, zu fliehen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass ihre Mutter ebenfalls geflohen ist und sie als kleines Mädchen alleine zurückließ, was sie ihr nicht verzeihen kann. Tatsächlich gelingt es den beiden – dank Caesars Kontakten zu der „Underground Railroad“ – den nach ihnen ausgeschickten, mit Hunden und Pferden ausgestatteten  Jagd-Teams zu entkommen. In North-Carolina, das der Sklaverei offiziell abgeschworen hat, finden sie nicht nur Unterkunft, sondern auch Arbeit, Ausbildung und die Aussicht auf ein menschenwürdiges Leben.

Doch da sind noch die Sklavenjäger. Das waren Einzelunternehmer, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, das Eigentum der Sklavenhalter nach einer erfolgreichen Flucht gegen entsprechendes Honorar zurückzuholen. Denn die Plantagenbesitzer wussten genau, dass nur die nachgewiesene Aussichtslosigkeit einer Flucht die anderen von einem Fluchtversuch abhalten konnten. Die Sklavenjäger kannten die typischen Aufenthaltsorte geflohener Sklaven in den „freien“ Staaten und gingen bei der Rückholaktion entsprechend rücksichtslos vor. Von Erpressung und Bestechung von Behördenvertretern bis zu roher Gewalt reichte das Spektrum, und so mancher befreite Sklave musste seinen naiven Glauben an die Sicherheit in einem der Nordstaaten bitter büßen.

Auch in diesem Roman gibt es den brutalen und rücksichtslosen Sklavenjäger, der von Coras „Eigentümer“, dem Plantagenbesitzer Randall, den Auftrag zur Rückholung erhält und sich ans Werk macht. Währenddessen fühlen sich Cora und Caesar in ihrer neuen Heimat North Carolina und bei ihrer schulischen Ausbildung richtig wohl und verzichten auf die ihnen angebotene Passage weiter nach Norden.

Jetzt folgt ein erbitterter Kampf um Freiheit und Leben, bei dem Colson Whitehead noch einmal einen – nun noch härteren! – Anachronismus einführt: in seinem Roman, der ja ein historisches Thema behandelt, beschließt der Staat North Carolina, alle Schwarzen zu liquidieren, da sie nur Scherereien machten. Der Autor rechtfertigt diese historischen „Fake News“ mit dem Holocaust des Dritten Reiches in dem Sinne „das hätte auch in den USA des 19. Jahrhunderts passieren können“! Das ist zumindest sehr gewagt und dürfte zu kontroversen Diskussionen führen.

Dennoch ist die Schilderung des Lebens der Schwarzen auf den Plantagen und in den anderen US-Staaten derart dicht und fesselnd, dass sie die historisch mehr als fragwürdigen Teile des Geschehens zum größten Teil kompensiert. Man kann sich dem Sog des Geschehens nicht entziehen, vor allem in der Hörversion, die Helene Grass mit größter Eindringlichkeit vorträgt.

Das Hörbuch ist bei Hörbuch Hamburg erschienen, umfasst sieben CDs mit einer Gesamtlaufzeitz von 532 Minuten und kostet 24 Euro.

Frank Raudszus

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