Tragik des Widerstands

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Die gerade begonnene Saison des Staatstheaters Darmstadt stellt den schillernden Begriff des „Helden“ mit all seinen Abwandlung von der Verehrung bis zur Verdammung in den Mittelpunkt. Puccinis Oper „Turandot“ frei nach Gozzi bietet da ein gutes Betätigungsfeld.

Aldo di Toro, Julian Orlishausen, Michael Pegher, David Lee

In dem Märchen wehrt sich die Prinzessin Turandot gegen eine Verheiratung durch drei Rätsel, die sie jedem Freier stellt. Löst er sie nicht, wird er am nächsten Morgen geköpft. Das schreckt den jungen Calaf nicht von einer Bewerbung ab, und er löst die Rätsel. Doch bietet er der verzweifelten Turandot seinen Kopf für den Fall an, dass sie bis zum nächsten Morgen seinen Namen herausfindet. Als sie dies mithilfe einer List und einer jungen Frau schafft, die Calaf selbst liebt, will Calaf sich umbringen, doch Turandot verhindert dies und gesteht ihm seine Liebe. Ende gut, alles gut!

Solch eine eingängige Geschichte mit Happy End konnte ein Komponist kurz nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr guten Gewissens als Oper vertonen, und so entschied sich Puccini für eine tragisch verschärfte Version, die jedoch wegen seines Todes während der Arbeit ein Fragment blieb. In seiner Version kommt es zum tragischen Konflikt, als Turandot die junge Liu (Katharina Persicke) , die Calaf persönlich kennt und heimlich liebt, foltern lässt, um den Namen zu erfahren. Liu schweigt und stirbt, und damit endet der dritte und letzte Akt des Opernfragments.

Aldi di Toro, Soojin Moon

Regisseur Valentin Schwarz verzichtet bei seiner Inszenierung von Puccinis Version dieses Märchens auf jegliche individuelle Emotionalisierung. Von vornherein geht es bei ihm um den Widerstand des „Helden“ Calaf gegen die Grausamkeit der Kaisertochter. Denn nur in dieser gesellschaftlichen Funktion kann sie ihr grausames Ritual des tödlichen Rätsels überhaupt in Szene setzen. Auch ihr Vater (und Kaiser) Altoum (Lawrence Jordan) spielt keine wesentliche Rolle, hat er doch dem Willen seiner Tochter nachgegeben und sich damit zu ihrer Marionette degradiert. Während Calaf die Rolle des „plakativen“ Helden auf Kosten Unschuldiger einnimmt, ist Liu die wahre Heldin, die sich im Hintergrund aus emotionaler Loyalität opfert.

Bei Schwarz ist Calaf zwar Timurs Sohn, aber ohne dessen gesellschaftliche Funktion als ehemaliger Tartarenkönig. Stattdessen ist Calaf offensichtlich Maler, also Künstler, der bei seinem ersten Auftritt an einem überdimensionierten Bild auf einem die gesamte Bühne überspannenden Gaze-Vorhang arbeitet. Damit schafft Schwarz eine Konfrontation zwischen einem rücksichtslosen Herrschaftssystem und dem Künstler, der mit den Mitteln des unberechenbaren Kreativen den Aufstand gegen das eiskalt berechnende System der Macht probt. Calaf (Aldo die Toro) ist hier nicht besinnungslos liebender Mann, der den Tod um der Erotik willen nicht fürchtet, sondern er will dem Sterben der Bewerber ein Ende setzen. Dieses ergibt sich weniger aus dem gesungenen Text, den man natürlich nicht beliebig ändern kann, als aus Körpersprache, Mimik und stimmlichem Ausdruck, die alle zusammen eher auf einen Zweikampf denn auf erotische Besessenheit schließen lassen.

Soojin Moon, Aldo di Toro

Entsprechend kommt Turandot (Soojin Moon) nicht als emanzipierte Frau daher, die sich lediglich die üblichen Machos vom Halse halten will, sondern als eiskalte, die Macht über Leben und Tod genießende Frau. Die den eigenen Blick verdeckende Sonnenbrille und die perückenhaft starre Haarfrisur signalisieren äußerste Distanz zu allen Menschen ringsum und vor allem zu jeglichen Emotionen. Diese zeigt sie erst, als Calaf die Rätsel löst, jedoch als Verzweiflung über den für sie katastrophalen Machtverlust.

Calaf dagegen wird Zeuge von Lius Selbstmord, die damit verhindern will, dass sie unter der Folter schwach wird und seinen Namen verrät. Er muss erkennen, dass sein „heldenhafter“ Widerstand gegen die (Staats-)Gewalt unschuldige Opfer zur Folge hat, deren Leiden er nur auf Kosten seines eigenen Lebens ein Ende setzen kann. Dass er seinen Namen nicht freiwillig nennt, ist dem Libretto geschuldet, das ein Regisseur nicht ungestraft abändert. Stichwort Werktreue. Ähnliches gilt für seinen Vater Timur, der zwar ebenfalls befragt aber nicht weiter behelligt wird, da der Librettist allein Lius Opfer in den Mittelpunkt rücken will. So sitzt Timur dabei, während Liu gefoltert wird (das wird nur durch ein paar Gesten der Minister Ping, Pang und Pong angedeutet) und sich umbringt. Das dürfte unter die Rubrik „Logik des Librettos“ fallen, spielt aber keine größere Rolle.

Soojin Moon, Jana Baumeister, Aldo di Toro

Um diese vier Hauptpersonen herum lässt Valentin Schwarz eine altchinesische Kulisse errichten. Bühnenbildner Andrea Cozzi schickt eine halbe Kompanie chinesischer Terrakotta-Krieger samt zwei Pferden auf die Bühne, und Pascal Seibicke verkleidet den Chor mit viel Liebe zum Detail in chinesische Bauern und Händler. Dagegen lässt er Calaf und Timur (Johannes Seokhoon Moon) in heutiger Alltagskleidung auftreten – Timur im Anzug und Calaf als Künstler in Jeans, Hemd und Hosenträgern – und kleidet Turandot in ein jungfräulich(!) weißes Kleid mit langer Schleppe. Das weist sie auf doppelbödige Weise nicht nur als unschuldig, sondern auch als potentielle Braut aus.

Die drei Minister Ping (Julian Orlishausen), Pang (David Lee) und Pong (Michael Pegher) erscheinen als Karikaturen von Höflingen in roten Kostümen, die von Kasperlepuppen stammen könnten. Ähnlich steif und konventionell bewegen sie sich und treten stets nur im Kollektiv auf, um jegliche Eigenverantwortung von vornherein auszuschließen. Das kann man durchaus auch als Hinweis auf die heutigen Funktionäre autoritärer Staaten – vor allem China! -, aber auch als bloße Folklore interpretieren.

Ensemble

Ein zentrales Element dieser Inszenierung ist natürlich die Musik, und die überzeugt vom ersten Takt an. Kompromisslos deutet Giuseppe Fizzi am Dirigentenpult Puccinis Partitur als Kritik an Unterdrückung und Grausamkeit. Puccini dürfte bei der Arbeit an dieser Oper sicher noch die Katastrophe des Ersten Weltkriegs im Kopf gehabt haben, in dem machtgierige Regierungen ganze Heerscharen in den Tod schickten. Selbst in den eher lyrischen Arien – etwa von Liu – verzichtet Fizzi auf jegliche Sentimentalität und lässt eher die Verzweiflung und Einsamkeit der jeweiligen Situation durchschimmern. Harmonische Kontraste bis hin zur Dissonanz werden markant ausmodelliert, und auch vor schroffen Schlägen und scharfen Einsätzen schreckt Fizzi nicht zurück. Das Orchester folgt ihm mit hoher Präzision und nie nachlassender Spannung, so dass die Intensität dieser Inszenierung zum großen Teil dem Orchester zuzuschreiben ist.

Das schmälert jedoch die sängerischen und darstellerischen Leistungen auf der Bühne in keiner Weise. Aldo di Toro, Soojin Moon und Katharina bilden auf der Bühne ein Trio, das nahtlos miteinander agiert und sowohl die reine Handlung als auch die dahinter stehenden Motive überzeugend zum Ausdruck bringt. Katharina Persicke gestaltet mit ihrer variablen Sopranstimme das Leiden der Liu auf berührende Weise, und Aldo di Moro verleiht seiner Stimme im Rätselkampf mit Turandot Festigkeit und Strahlkraft, bei Lius Leiden und Tod dann einen Hauch von Brüchigkeit. Soojin Moon hat diese Gelegenheit zur Variation leider kaum, da sie die meiste Zeit die eiskalte Todesbotin spielen und singen muss. Das tut sie allerdings ebenfalls überzeugend.

Die anderen Mitwirkenden füllen ihre Rollen ebenfalls glaubwürdig und engagiert aus, so etwa die drei Darsteller der Minister, die ihren Karikaturen auch stets eine humorvolle Seite abgewinnen können.

Das Publikum zeigte sich von dieser Leistung sehr angetan und spendete kräftigen Beifall.

Frank Raudszus

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