Aus der eigenen Mitte

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Taulant Shehu ist seit 2014 Tänzer des Hessischen Staatsballetts und in dieser Funktion bereits oft auf der Darmstädter Bühne aufgetreten. Jetzt hat er sich dort auch als Choreograph eingeschrieben. Seine Produktion „Dua“ feierte am 18. Januar in den Kammerspielen Premiere.

Choreograph Taulant Shehu

„Dua“ ist das albanische Verb für „lieben“. Es steht als Titelmetapher für eine einstündige Choreographie, die sich mit den Beziehungen zwischen den Geschlechtern beschäftigt, hier speziell mit dem Hintergrund einer albanischen Hochzeit. Die Musik dazu hat Shehus langjähriger Freund Arne Stevens komponiert.

Es beginnt mit einer einsamen Frauenfigur in Tänzer-Wäsche auf einer leeren Bühne, den Rücken dem Publikum zugewandt und den rechten Arm erhoben. Zu sparsamen Klängen, die von einem Dorffest in der tiefsten albanischen Provinz inspiriert sein mögen, bewegt sich die Frau in Figuren, die keine Geschichte erzählen, sondern nur Körperlichkeit vermitteln wollen. Mit der schrittweise Erweiterung um zwei anderen Tänzerinnen entwickeln die synchronen Tanzfiguren einen archetypisch weiblichen Ausdruck. Erst nach einiger Zeit treten die Männer auf, und auch erst, nachdem sich die zuerst aufgetretene Frau in einem geradezu symbolischen Akt einen roten Rock übergestreift hat. Jetzt kann die Frau den jungen Männern gegenüber treten!

Die folgenden Szenen zeigen in flüssigen und ausdrucksstarken Figuren die typischen Abläufe des Umeinanderkreisens der Geschlechter. Doch die Anlehnung an eine Hochzeit ist nur angedeutet, Shehu verzichtet auf die Erzählung einer konkreten, nachvollziehbaren Geschichte. Man nähert sich an, man tanzt miteinander, und man übt wieder Distanz. Deutlich kommen dabei auch die alten Traditionen in der Rollenverteilung der Geschlechter zum Ausdruck. Die Frauen müssen stets auf den ersten Schritt der Männer warten und haben es oftmals schwer, sich ungewollter Avancen zu erwehren. Eine eindringliche Szene zeigt die geradezu penetranten Annäherungsversuche eines jungen Mannes, die in Handgreiflichkeiten übergehen. Doch wird diese latente Gewalt nicht ungeschminkt in realistischer Manier gezeigt, sondern durch Tanz künstlerisch gestaltet und vor allem die Not der jungen Frau dargestellt.

Auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn sich drei Männer wie eine dreiköpfige Bobfahrerskulptur förmlich auf die Bühne schieben und sich dort in Jungmännermanier produzieren. Andere Szenen zeigen ausgelassene Tänze der gesamten sechsköpfigen Truppe, wobei alle weiße Tücher schwenken, was auf einen albanischen Hochzeitsbrauch schließen lässt. In der letzten Szene krauchen alle bis auf eine einzelnen Frau – wahrscheinlich die Braut – in gebückter Haltung von der Bühne, was sich als Hinweis auf den kräftigen Alkoholkonsum bei solchen Festen verstehen lässt. Denn trotz der unübersehbaren Hinweise auf die ungleichen Machtverhältnisse der Geschlechter und die fragile Stellung der Frauen verzichtet Shehu in seiner Choreographie auf eine polemische Anklage gegen die männlich dominierten Verhältnisse und beschränkt sich auf eine stets mit einer Prise Humor gewürzte Beschreibung einer gewachsenen gesellschaftlichen Struktur.

Diese letztlich großzügige Darstellung der Bräuche und Befindlichkeiten seiner Heimat – und das dürfte andernorts sehr ähnlich sein – verleiht der Produktion im Verein mit den flüssigen und körperfreundlichen Tanzfiguren eben den geschlossenen und fesselnden Gesamteindruck, der bis zum Schluss anhält. Dazu trägt auch Arne Stevens´ minimalistische Musik bei, die stets im Hintergrund bleibt, doch kurzfristig auch einmal dramatische Ausmaße annehmen kann. Die Beschränkung auf zwei Stimmen und die ostinate Struktur entwickeln dabei geradezu einen musikalischen Sog, der die tänzerischen Bewegungen kongenial ergänzt.

Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert und dankte Ensemble und Choreograoph mit kräftigem, lang anhaltendem Beifall.

Frank Raudszus

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