Maja Lunde: „Die Geschichte der Bienen“

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Der Titel dieses Hörbuches suggeriert, dass es sich um eine populärwissenschaftliche, tendenziell ein wenig langweilige Beschreibung dieses äußerst nützlichen Insekts handelt. An einen politischen oder gar apokalyptischen Hintergrund denkt man nicht.

Das ändert sich jedoch bereits nach wenigen Minuten, wenn die Geschichte in das Jahr 2098 vorgreift. Denn die Autorin hat ihre Geschichte in drei Zeitebenen angesiedelt, die jeweils von einem eigenen Sprecher bzw. einer Sprecherin repräsentiert werden.

Mitte des 19. Jahrhunderts verspürte der Engländer William Savage nach einer Zeit beruflicher und privater Wirren plötzliches Interesse an dem Leben der Bienen und entwickelte einen neuen Bienenstock, der es ermöglichte, den Honig zu entnehmen, ohne das Leben der Bienen zu beeinträchtigen. Seine Tochter Charlotte unterstützte ihn mit Ideen und Begeisterung und führte sein Lebenswerk fort.

Eineinhalb Jahrhunderte später, im Jahr 2007, sieht sich George, ein später Nachfahre der mittlerweile in die USA ausgewanderten Savages und ebenfalls leidenschaftlicher Imker, plötzlich mit dem Bienensterben konfrontiert. Seine etwa drei Dutzend über das Umland verteilten Bienenstöcke sind eines Morgens leer. Nur doch die Bienenkönigin und einige Jungbienen dämmern am Boden des Stocks dem Tod entgegen.

Diese beiden nur thematisch miteinander verbundenen Geschichten bewegen sich noch im Rahmen einer fiktionalen Dokumentation, bei der Dialoge und private Ereignisse historischer Personen dicht am dokumentierten Geschehen frei erfunden werden. Erst die dritte Geschichte verdeutlicht mit geradezu apokalyptischer Wucht die Ausmaße dieses scheinbar ephemeren Geschehens.

Die Chinesin Tao arbeitet im Jahr 2098 in einer Obstplantage an der manuellen Bestäubung von Obstbäumen. Die Lebensmittelproduktion ist nach dem vollständigen Aussterben der Bienen Mitte des 21. Jahrhunderts weltweit zusammengebrochen, die westlichen Industrieländer, allen voran die USA, sind der Armut verfallen und dämmern mit stark dezimierter Bevölkerung vor sich hin. Das autoritär regierte China konnte sich insofern zumindest teilweise vor der Katastrophe retten, als es seine zahlreiche Bevölkerung aufs Land schickte und zu geringen Löhnen in der manuellen Bestäubung der Nutzpflanzen einsetzte. Die großen Städte sind weitgehend ausgestorben und das auch hier reduzierte Volk kämpft ums Überleben.

Als Tao an einem freien Tag mit ihrem Mann und ihrem dreijährigen Sohn zu einem Picknick in ihr Arbeitsgebiet bei den Obstplantagen fährt, erleidet der Kleine einen allergischen Schock und wird mit dem Notarztwagen in das nächste Krankenhaus gebracht. Doch die Eltern dürfen nicht nur nicht mitfahren, sondern hören auch nichts mehr von ihrem Kind und werden von den Behörden vertröstet. Dafür erscheint plötzlich Militär in dem Gebiet, riegelt alles ab, und Hubschrauber drehen ihre Kreise über den Plantagen.

Nach einigen Wochen der quälenden Unsicherheit beschließt Tao, selbst auf die Suche nach ihrem Sohn zu gehen, und fährt nach Peking, wohin er aus der Regionalklinik verlegt wurde. Die Reise durch China zeigt die endzeitlichen Verhältnisse in dem unter der Nahrungsknappheit schwer leidenden Land. Peking ist weitgehend leer, die Bevölkerung wurde wegen der zusammengebrochenen Versorgung über das Land verteilt, um dort in der Landwirtschaft zu arbeiten. Die U-Bahnen fahren nicht mehr, und in den leeren Stadtvierteln hausen nur noch hungernde Jugendliche, die jeden Fremden als mögliche Beute betrachten. Tao erlebt einen einzigen Horrortrip, bis sich langsam der Grund für die Geheimniskrämerei herausschält. Dabei stellt sie fest, dass sie während ihrer gesamten Reise lückenlos vom Staat überwacht wurde. Das China am Ende des Jahrhunderts hat in Maja Lundes Roman die autoritären Strukturen noch vervollkommnet.

Im regelmäßigen Wechsel erfährt der Hörer, was sich in den drei Epochen abspielt, und lernt dabei viele Details aus dem Leben der Bienen und der sie erforschenden Menschen. Dabei kommen auch die Familienverhältnisse der jeweiligen Protagonisten zur Sprache. William Savage fängt als hoffnungsvoller Wissenschaftler an, muss dann aber als Ehemann und Vater einer schnell wachsenden Kinderschar einen Brotberuf ergreifen, was seinen Professor schwer enttäuscht. An dieser Enttäuschung seines früheren Mentors hat er schwer zu leiden. Seine Frau erfüllt auch nicht (mehr) die Träume des naiven jungen Mannes, und sein einziger und ältester Sohn, in dieser Epoche das Zukunftssymbol eines jeden Vaters, verfällt schon früh dem Alkohol. Er selbst durchlebt schwere Krisen, deren letzte darauf beruht, dass ihm bei seiner Erfindung des neuen Bienenstocks ein amerikanischer Pfarrer um wenige Monate zuvorgekommen ist. Nur seine Tochter Charlotte hält zu ihm und unterstützt ihn.

George, Williams später Nachfahre, wiederum lebt für die Imkerei und nimmt selbstverständlich an, dass sein Sohn Thomas den Hof einmal übernehmen wird. Doch dieser liebt eher die Schriftstellerei und den Journalismus, wofür wiederum der Vater kein Verständnis aufbringen kann. Das gegenseitige Unverständnis und die wachsende Distanz der beiden wandeln sich erst, als die Katastrophe eintritt. Später liest Tao in einem alten Buch über Bienen, dass Thomas Savage die Imkerei wegen des schnell fortschreitenden Bienensterbens Mitte des 21. Jahrhunderts endgültig aufgeben musste.

Die beiden Savage-Passagen sind für die Detailinformationen über die Bienen und ihren existenziellen Daseinszweck zuständig, die Tao-Passage dagegen schildert auf erschütternde Weise, was geschieht, wenn der Mensch in seiner gattungsegoistischen Denkweise erst die Lebensgrundlagen der Insekten – durch Pestizide – und dann seiner eigenen Gattung vernichtet. Maja Lunde bemüht sich dabei, so lange wie möglich mit sachlichen Argumenten aufzuwarten und auf jegliche Polemik zu verzichten. Doch allein die Schilderung des menschlichen Daseins ohne Bienen und Vögel gegen Ende dieses Jahrhunderts und der existenziellen Bedrohung der „restlichen“ Weltbevölkerung zeigt, dass auch auf diesem Gebiet die Uhrzeiger auf fünf vor zwölf stehen. Als Laie kann man nicht beurteilen, wie viele ihrer Projektionen auf Extrapolation und Spekulation beruhen und wie viele davon tatsächlich einen unwiderruflichen Prozess beschreiben. Man wünscht sich, es sei bewusst eingesetzte, polemische Überspitzung, aber muss leider befürchten, das dem nicht so ist.

Bibiana Beglau liest die Geschichte der Tao mit hoher Eindringlichkeit und mit viel Gespür für die Situation einer jungen Mutter, die ihr Kind verliert. Markus Fennert verleiht William Savage die gravitätische Würde und die Ängste eines Mannes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, und Thomas M. Meinhardt schließlich bringt die Auswirkungen des katastrophalen Bienensterbens auf einen anfangs ausgeglichenen und selbstsicheren Mann des frühen 21. Jahrhunderts überzeugend zum Ausdruck.

Das Hörbuch ist im Hörverlag erschienen, enthält eine mp3-CD mit einer Laufzeit von 10 Stunden und 2 Minuten und kostet 9,99.

Frank Raudszus

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