Fjodor Dostojewski: „Der ewige Gatte“

Print Friendly, PDF & Email

Von Zeit zu Zeit graben die Hörbuch-Verlage wieder alte Hörspiele und Lesungen aus, einerseits, um dem Publikum Klassiker der Weltliteratur ohne aufwendige Neueinspielung zu präsentieren, andererseits, um auch frühere Sprecher wieder einmal zu Gehör zu bringen. So ist es mit Dostojewskis Roman „Der ewige Gatte“, den hier der im Jahr 1989 verstorbene und weithin bekannte Schauspieler Hans-Helmut Dickow liest.

Dostojewskis Roman enthält all die Merkmale eines Epos, auch wenn es hier nur um wenige Protagonisten – im Grunde genommen zwei – geht. Inhaltlich ist es eine Novelle, stilistisch ein epischer Roman, denn hier fehlt die konsequente Zuspitzung eines Konfliktes mit klaren Absichten der Beteiligten, vor allem die des die Handlung vorantreibenden Protagonisten.

Der Endvierziger Weltschaninow hat im Petersburg der späten 19. Jahrhunderts bereits ein halbes Vermögen durch Müßiggang und Wohlleben durchgebracht und lebt mangels sinnvoller Beschäftigung missmutig in den Tag hinein. Da besucht ihn eines Tages ein Mann, der sich als alter Bekannter aus der Provinz zu erkennen gibt. Genau genommen hatte Weltschaninow ein Verhältnis mit dessen Frau, was natürlich keiner weiß, wie er glaubt.

Trussotzki, so der Name des Mannes, ist nach dem unerwarteten Tod seiner Frau mit seiner achtjährigen Tochter Lisa gekommen, die er schlecht behandelt. Da Weltschaninow vor knapp neun Jahren von seiner Geliebten den Laufpass erhielt, schließt der Leser die Wissenslücke selbst sehr schnell. Weltschaninow schaut in die – wie seine eigenen! – blauen Augen des Mädchens und weiß ebenfalls Bescheid. Überraschend schnell überzeugt er Trussotzki, Lisa in eine angesehene, kinderreiche Familie aus Weltschaninows Bekanntenkreis zu geben.

Trussotzki zeigt sich von überströmender Dankbarkeit, spricht von seiner Liebe zu dem Kind, bagatellisiert die schlechte Behandlung durch ihn als nervliche Überstrapazierung und zeigt sich durchgehend als Weltschaninows Bewunderer – schon seit seiner Zeit als „Freund des Hauses“. An dieser Stelle vermutet der Leser eine langfristig angelegte Strategie Trussotzki mit dem Ziel, Weltschaninow aus Rache sozial zu vernichten – nicht einfach nur umzubringen, sondern sozusagen „auf kleiner Flamme“ und bei vollem Bewusstsein zu kochen.

Doch Trussotzkis Handlungen widersprechen dieser Einschätzung. Lädt er doch Weltschaninow sogar als freundschaftlichen Fürsprecher zu den Eltern seiner neuen Braut ein – er ist mittlerweile Mitte fünfzig und die anvisierte Braut fünfzehn! Der Besuch wird für Trussotzki zum Desaster, doch nach der Rückkehr bleibt er bei Weltschaninow und sucht permanent dessen physische Nähe bis zum Stalking. Wegen seines Alkoholkonsums übernachtet er bei Weltschaninow und versucht in der Nacht auf ungeschickte Weise, diesen umzubringen. Daraus ergibt sich, das Trussotzki einerseits tatsächlich um die damalige Liebschaft und die Vaterschaft Weltschaninows wusste, andererseits diesen tatsächlich bewundert, ja fast verehrt. Der dilettantische Mordversuch ist eher eine alkoholbedingte Kurzschlusshandlung, die jedoch die innere Zerrissenheit des gehörnten Ehemanns offen legt. Er ist eben der „ewige Gatte“, der nur als Schatten seiner Ehefrau zugegen ist, deren Liebe er aber nie erringen kann.

Die Geschichte geht dann trotz mehrerer Anläufe zu einem vermeintlichen Höhepunkt weder dramatisch noch tragisch aus, sondern versickert eher im Sand des Lebens. Letzten Endes ist es eine Charakterstudie des typischen Ehemannes in einer Gesellschaft, die ihre Ehen unabhängig von persönlicher Zuneigung nach wirtschaftlichen und sozialen Kriterien arrangiert. Trussotzki ist – als Mann – ebenso Opfer dieser Verhältnisse wie die Frauen, denn er kann sich seine Frau zwar „kaufen“, ihre Zuneigung jedoch nicht. Und so stolpert er als „gehörnter“ Ehemann unglücklich durchs Leben. Dostojewski erzählt die Geschichte zwar aus Weltschaninows Perspektive, Hauptperson ist jedoch im Grunde genommen Trussotzki.

Hans-Helmut Dickow liest die Erzählung mit viel sinn für den verzweifelten Humor einer in der Stagnation verharrenden Gesellschaft. Ihm gelingen vor allem Trussotzkis Stimmungswechsel, die den Hörer immer wieder dazu verleiten, hinter all dem raffinierte Strategie und hohe Verstellungskunst zu vermuten.

Das Hörbuch ist im Audio-Verlag erschienen, umfasst eine mp3-CD mit einer Laufzeit von sechs Stunden und elf Minuten und kostet 8,95 Euro.

Frank Raudszus

No comments yet.

Schreibe einen Kommentar