Andreas Weber: „Warum Kompromisse schließen?“

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Kompromisse haben seit längerer Zeit eine schlechte Presse. Sie werden im besten Fall als halbherzige Nachgiebigkeit, im schlechtesten als Feigheit gedeutet. Das „Münchner Abkommen“ von 1938 ist dafür ein so deutliches wie auch fragwürdiges Beispiel, und viele Kritiker bemängeln auch Angela Merkels zu Kompromissen neigende politische Grundhaltung.

Andreas Weber stellt dem Kompromiss jedoch nicht nur ein viel besseres Zeugnis aus, sondern er hält ihn – in einem die Tagespolitik weit überschreitenden Maße – für das Weiterbestehen der Gesellschaft und der sie ermöglichenden Umweltbedingungen dringend erforderlich.

Er beginnt mit seinen Beispielen ganz im Sinne eines Lebensratgebers bei einem Paar, das gegenseitig alles von dem Partner verlangt und erst in der Therapie lernen muss, dass auch dieser ebenso vitale – eigene! – Bedürfnisse verspürt und nur Kompromisse auf beiden Seiten ein Fortbestehen der Beziehung ermöglicht. Doch die zunehmend als Stärke eingestufte Kompromisslosigkeit – im Privaten wie im Politischen – konterkariert diese heilende Kraft des Kompromisses zugunsten der – eben kompromisslosen – Durchsetzung der eigenen als absolut richtig gesetzten Ziele.

Schuld daran ist für ihn etwas holzschnittartig der Kapitalismus. Aufschlussreich ist dabei die Vermeidung von Begriffen wie „freie“ oder gar „soziale“ Marktwirtschaft, weil beide latent positiv konnotiert sind. Kapitalismus gilt als – kompromissloser! – Kampfbegriff und weckt bei einer bestimmten Klientel sofort entsprechende Reflexe. Zumindest unterbewusst verbindet Weber dabei Wettbewerb und „Auslese“ – wie immer man letzteren Begriff interpretiert – als negative Ergebnisse des Kapitalismus. Darwins Erkenntnisse oder auch nur die Idee eines „gesunden“ Wettbewerbs kommen bei ihm nicht vor.

Natürlich gibt es auch für Weber den „falschen“ Kompromiss, der an die eigenen Kernüberzeugungen und menschlichen Grundwerte rühren würde. Das klingt einleuchtend, blendet jedoch das Problem aus, dass dem Kompromiss Abgeneigte stets diese Karte ziehen werden, so dass bei Konflikten eine zirkuläre Entwicklung droht, bei der beide im Recht zu sein meinen. Aktuell ließe sich dazu der Rechtsstaatlichkeit-Konflikt der EU mit Polen und Ungarn nennen.

Doch allzu lange verweilt Weber nicht bei der Kapitalismus-Schelte, sondern geht zu seinem eigentlichen Thema weiter: dem Kompromiss der Menschen mit den anderen Lebewesen bis hin zu dem ganzen Planeten im Sinne eines lebenden Organismus. Der Mensch unterliegt laut Weber in der Moderne – im Kapitalismus! – der Illusion, alles kontrollieren zu müssen. Die Angst vor Tod, Demütigung und Unterwerfung führe ihn dazu, alle anderen Lebewesen und letztlich die gesamte Natur ausschließlich nach seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu steuern und – ja: zu unterdrücken oder gar zu vernichten. Zerstörung von Lebensraum für Tiere und Regenwäldern sowie der zunehmende Verzehr von Tieren seien die fatalsten Beispiele dieser Besessenheit des Menschen.

Denkt man an den unbestreitbaren Klimawandel, die drohende Ressourcenknappheit und die zunehmenden Pandemien, so kann man dem Autor nicht widersprechen, und zu vielen seiner engagierten Ausführungen kann man nur bestätigend nicken und möchte sofort eine Initiative gründen. Doch Weber belässt es bei dem so emotionalen wie stellenweise moralisierenden Appell. Man kann von ihm zwar nicht konkrete Lösungen für dieses existenzielle Menschheitsproblem erwarten, aber einige Ideen hätte man außer dem moralischen Appell zum elementaren Kompromiss schon erwartet. Mit keinem Wort erwähnt oder diskutiert er gar die weltweiten Bemühungen (vornehmlich der kapitalistischen Länder!), sich den oben genannten Problemen zu stellen oder Hunger und Krankheiten zu lindern. Dazu passt natürlich auch nicht die Tatsache, dass Hunger, Kindersterblichkeit und Armut in den letzten Jahrzehnten weltweit deutlich reduziert werden konnten und dass eine zunehmende Zahl von Ländern den Klimawandel erkannt hat und – wenn auch unzureichende -Gegenmaßnahmen ergriffen hat.

Natürlich erwartet man von einem solchen Buch keine Lobeshymnen auf die guten Absichten und kleinen Erfolge der Staaten. Im Gegenteil: es soll die Probleme benennen und Kritik an unzureichenden Bemühungen üben. Aber eine etwas detailliertere Behandlung der Situation und eine Differenzierung von Möglichkeiten, Absichten und Interessen wäre schon zu wünschen. Es ist etwas zu wohlfeil, alles dem (bösen) Kapitalismus moderner Prägung anzulasten, als habe es alle die menschlichen Unzulänglichkeiten nicht genauso in den Epochen davor gegeben.

Dennoch: die Ausführungen zum Wesen des Kompromisses, der immer einen bewussten eigenen Verzicht zwecks eines allgemeinen „sittlichen“ Gewinns der Gemeinschaft beinhaltet, machen die Lektüre dieses Buches nicht nur nützlich sondern ausgesprochen empfehlenswert.

Das Buch ist im Dudenverlag erschienen, umfasst 126 Seiten und kostet 14 Euro.

Frank Raudszus

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