Matthias Weichelt: „Der verschwundene Zeuge“

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Felix Hartlaub kam im Jahr 1913 als Sohn eines kulturell ausgesprochen engagierten Museumsdirektors mit jüdischem Hintergrund zur Welt und zeigte schon als Jugendlicher deutliches schriftstellerisches und zeichnerisches Talent. Während sein Vater kurz nach Hitlers Machtergreifung seinen Posten verlor, konnte Felix noch sein Studium der Geschichte absolvieren und wurde sogar promoviert. Nach Kriegsbeginn wurde er zwar bald eingezogen, doch sein Doktorvater schaffte es, ihm einen Posten im politisch-militärischen Archivwesen zu verschaffen. Mit einigem Glück überstand Hartlaub den Krieg bis zu den letzten Tagen auf verschiedenen Schreibtischposten – überwiegend als uniformierter Soldat! -, verschwand dann aber, als er zur Verteidigung Berlins in die Kaserne einrücken sollte. Man hat ihn nie gefunden und 1955 für tot erklärt.

Hartlaub war weder glühender Nazi noch verschworener Widerstandskämpfer. Er war jedoch vor allem im Krieg ein sehr kritischer Chronist der militärischen und politischen Ereignisse und erkannte aufgrund seiner Tätigkeit schon früh die desaströse Entwicklung des Kriegs samt der Verbrechen von SS und Wehrmacht. In seinen durchaus nicht ungefährlichen privaten Aufzeichnungen und schriftstellerischen Arbeiten stellte er zunehmend die sich zuspitzende Lage in den Mittelpunkt.

Den Einblick in den militärischen und politischen Alltag des Dritten Reiches erhielt Hartlaub durch seine Tätigkeit für das Kriegstagebuch. Dazu war er von 1942 bis zum Kriegsende im Führerhauptquartier – Wolfsschanze, Obersalzberg u.a.m. – stationiert. So erlebte er den 20. Juli 1944 fast hautnah in der Rastenburger „Wolfsschanze“ und schrieb darüber sogar in seinen Briefen an den Vater, was durchaus nicht ungefährlich für ihn war. Ziel des von ihm geführten Kriegstagebuch war es, alle großartigen Erfolge der Wehrmacht detailliert aufzuzeichnen, um sie nach dem erwarteten Endsieg zur Grundlage literarischer Hymnen auf Hitler zu machen. Dass diese Tätigkeit zum Kriegsende hin dann immer weniger Interesse bei der Führung fand, versteht sich von selbst.

Besonders enttäuschend verlief für den fließend Französisch sprechenden Frankreichfreund ein dienstlicher Aufenthalt in Paris. Hatte er gehofft, dort Kontakte zu der Bevölkerung knüpfen zu können, so hatte er sich getäuscht. Die Franzosen begegneten vor allem Zivilisten mit guten französischen Sprachkenntnissen mit Misstrauen und Ablehnung, wohl weil sie dahinter die Gestapo oder den Geheimdienst vermuteten. So blieb Hartlaub während seines gesamten Aufenthalts in Paris isoliert, da er als sich betont unmilitärisch gebender Zivilist auch keinen Anschluss an die deutschen Soldaten finden konnte – und wollte.

Der Autor beschränkt sich jedoch nicht nur auf Hartlaubs Tätigkeit als – latent subversiver – Archivar, Historiker und Kriegstagebuchschreiber, sondern beleuchtet auch seine privaten Verhältnisse. Mit seinem Vater führte er eine intensive aber durchaus nicht ehrerbietige Korrespondenz. Dessen berechtigte Larmoyanz ob des Bedeutungsverlustes konfrontierte er mehrere Male deutlich mit der viel dramatischeren Realität. Doch trotz vieler gegensätzlicher Ansichten herrschte zwischen den beiden ein vertrautes familiäres Verhältnis, und nicht zuletzt der Vater sammelte alle schriftlichen Äußerungen seines Sohnes und sorgte für eine spätere Veröffentlichung.

Bei den Frauen zeigte Hartlaub schon früh einen Hang zu reiferen – und verheirateten – Frauen, wohl auch wegen seiner Intelligenz, seiner literarischen Belesenheit und sonstigen musischen Talente. Außerdem pflegte er ein enges Freundschaftsverhältnis zu dem kommunistischen Paar Klaus Gysi und Irene Lessing, die den Krieg überraschenderweise unversehrt überlebten und in die SBZ bzw. DDR übersiedelten, wo dann Gregor Gysi zur Welt kam.

Matthias Weichelt portraitiert mit Felix Hartlaub eine Persönlichkeit, die sich weder durch expliziten Widerstand noch durch Gefolgschaft ausgezeichnet hat, sondern versucht hat, das Dritte Reich zu „überleben“. Wie viele Intellektuelle seiner Zeit erkannte er zunehmend den eigentlichen Charakter des Regimes, sah aber für sich keine Möglichkeit des Widerstands. Seine Besonderheit liegt in seiner räumlichen Nähe zu Hitler und dessen unmittelbarem Gefolge sowie in seiner Kenntnis aller militärischen und politischen Ereignisse, die er minutiös und mit hoher stilistischer Begabung im Kriegstagebuch festhielt. Seine wenigen und oftmals bewusst verschleierten Anspielungen in seinen Briefen und Kurzgeschichten auf das Regime und den Krieg lesen sich wie ein Spiegel des intellektuellen Bürgertums im Dritten Reich. Diese Biographie ist weder als Anklage noch als Apologie zu verstehen sondern zeigt einen Ausschnitt aus der Alltagsrealität des intellektuell-jüdischen „Prekariats“ im Dritten Reich.

Das Buch ist im Suhrkamp-Verlag erschienen, umfasst 232 Seiten und kostet 20 Euro.

Frank Raudszus

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