Händel als ABBArock

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Georg Friedrich Händels Oratorium „Messiah“ entstand um 1740 in London in englischer Sprache und wurde nach kurzem Stirnrunzeln von Publikum und Kritik zu einem der größten Erfolge Händelscher und deutscher Musik in England. Mit knapp fünfzig auf Bibeltexten basierenden Einzelsätzen, die üblicherweise in verschiedenen – historischen – Kombinationen aufgeführt werden, stellt es ein geradezu monumentales Werk über die Gestalt und das Wirken Jesu Christi dar. Aus diesem Konvolut hat die schwedische Gruppe „Odd Size“ 25 Sätze zu einer eigenen Version zusammengestellt, die sie in einer ausgefallenen kammermusikalischen Art interpretiert.

Das Quartett besteht aus der Sängerin Elisabeth Holmertz, die sowohl im klassischen Fach als auch im Jazz zu Hause ist, der Cellistin Nora Roll, dem Violinisten und Sänger Per Buhre, der sowohl den Tenor als auch den Counter-Tenor beherrscht, und dem Gitarristen und Lautenisten Fredrik Bock, der glücklicherweise schon als Jugendlicher vom Tennis zur Musik gewechselt ist.

Collage des Ensembles „Odd Size“

Diese vier Künstler (gen. mask.!) haben sich mit der eigenen Version des „Messiah“ vorgenommen, das geistliche Werk aus der Sphäre der religiösen Anbetung und transzendendierenden Darbietung in die Alltagswelt der Musik zu übertragen. Das beginnt schon mit der einleitenden „Sinfonia“, die von den drei Saiteninstrumenten fast wie frühbarocke Straßenmusik intoniert wird. Dem schließt sich Elisabeth Holmertz mit einer kontrastierenden improvisatorischen Lautmalerei im Jazz-Stil an. Die Übergänge zwischen den einzelnen Bibelstellen lockern die Musiker durch verbale Kommentierungen untereinander und zum Publikum auf, wobei Spontaneität und Humor im Vordergrund stehen. Ein wenig erinnert das an Auftritte von Gruppen der Pop-Musik, die ihr Publikum ebenfalls nicht nur mit Musik in Stimmung bringen. Dem Quartett liegt offenbar viel daran, gerade dieses Werk aus den hehren Hallen der geistlichen Hochkultur auf die Bühne des Alltags zu bringen.

Elisabeth Holmertz und Per Buhre wechseln sich gesanglich ab und agieren auch mal im Duett miteinander. Dabei liegt der Schwerpunkt bei Buhre eher in der Anlehnung an die intensive Wiedergabe der religiösen Inhalte, jedoch weniger mit der Feierlichkeit des Barocks als mit dem emotionalen Ausdruck des Individuums. Besonders zu Beginn singt er vorrangig mit der Kopfstimme des Countertenors. Holmertz dagegen deckt- auch harmonisch – eher den expressiven Part der frei improvisierenden Jazz-Sängerin ab und bietet dabei eine breite Palette von Protest und Aktivismus bis hin zu lyrischer Innerlichkeit.

Der Humor spielt in dieser Aufführung eine wesentliche Rolle, nicht nur bei den temperamentvollen Zwischentexten, sondern auch bei der musikalischen Interpretation. So singt Fredrick Bock seinen Text in ein überdimensioniertes Cognacglas, woraus ein tief hallender Bass-Sound resultiert. Im Text 14 („Rejoice greatly“ glänzt Holmertz mit Koloraturen, Text 17 („But thou didst not leave“) präsentieren Tenor und Sopran im Duett, und die nächsten beiden Texte bestehen aus wild bewegten musikalischen Figuren aus Stimmen und Instrumenten.

Auf diese Weise bietet das Quartett eine musikalisch sehr variantenreiche Interpretation der Textauswahl aus „Messiah“, und das Ganze endet in einer nahezu ekstatischen Darbietung des berühmten „Halleluja“ mit Tanzeinlagen von Elisabeth Holmertz. Das vermittelt dann schon fast den Eindruck eines Opernfinales auf großer Bühne, augenzwinkernd im Kammermusikformat umgesetzt.

Puristische Anhänger der geistlichen Musik werden an der ein oder anderen Stelle vielleicht ein wenig die Nase gerümpft haben, ist doch die oftmals gar nicht so leise Ironie nicht zu überhören. Doch diese Version des berühmten Oratoriums wirkt keinen Augenblick albern oder gar peinlich, sondern durch die hohe musikalische Qualität der Interpretation erweist das Quartett dem Komponisten mehr Ehre als durch eine konventionelle kammermusikalische Aufführung ohne Esprit und musikalischen Witz.

Das – corona-bedingt – reduzierte Publikum spendete kräftigen Beifall und erhielt auch noch eine gekonnte Zugabe.

Frank Raudszus

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