Freiheit zuende gedacht

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Die freie Selbstbestimmung des Menschen steht in der westlichen Kultur an vorderster Stelle, und das nicht nur in liberal-konservativen Kreisen, sondern vor allem bei der Linken (von der echten Rechten ganz abgesehen), wie man etwa an dem identitären Diskurs sieht. Ferdinand von Schirach, der sich seit einiger Zeit in Theaterstücken – etwa „Terror“ – aktuellen gesellschaftlichen Themen widmet, hat sich in dem Stück „Gott“ ein besonders heikles Thema vorgenommen: den intentionalen und assistierten Freitod.

Ensemble

Ausgangspunkt ist der Wunsch eines 78jährigen Witwers, nach dem Tod seiner Frau wegen Sinnlosigkeit des Weiterlebens unter ärztlicher Beihilfe aus dem Leben zu scheiden. Einen freihändigen Freitod lehnt er wegen des Risikos eines Scheiterns mit desaströsen Folgen ab und bringt sein Anliegen vor den Ethikrat, als sein Arzt die aktive Hilfe verweigert. Das Theaterstück setzt mit der Sitzung des Ethikrats ein, der verschiedene Experten zwecks Diskussion des heiklen Falles geladen hat. Schirach versetzt bewusst das Publikum in die Rolle des Rates, und die Darsteller spielen die Zuschauer auch entsprechend an, einschließlich einer abschließenden Abstimmung mit grünen und roten Karten.

Von Schirach lässt in seiner Expertenrunde exemplarische gesellschaftliche Institutionen auftreten: Die Rechtsprechung in Gestalt einer Universitätsprofessorin, die Medizin durch den Präsidenten der Ärztekammer und die – katholische! – Kirche durch einen Bischof. Außerdem treten noch eine Ärztin als Mitglied des Ethikrates, der Hausarzt des Klägers und dessen Anwältin auf. Aufschlussreich an dieser Zusammenstellung ist die konservative Grundstruktur, denn es kommen weder evangelische noch (agnostisch-)philosophische geschweige denn primär politische Kommentare von Links oder Rechts auf den Tisch. Gerade die Beschränkung auf seit Jahrhunderten etablierte Institutionen verleiht dem Stück von vornherein eine „akademische“ Struktur mit Vorlesungscharakter, denn diese historisch gewachsenen Wertesysteme haben natürlich über die Zeit eine umfassende Weltsicht entwickelt, die sich nur zögernd an neue Umstände anpasst. Das sei hier nicht als Kritik an deren inhaltlicher Argumentation verstanden, sondern nur als Verweis auf die für solche etablierten Systeme argumentative Selbstimmunisierung.

Andreas Grothgar und Cathleen Baumann

Schirach hat die Gefahr offensichtlich bis zu einem gewissen Grad geahnt, sie aber nur teilweise vermieden. So verleiht er zwar dem Rechtsbeistand des Klägers – in dieser Inszenierung eine Anwältin – eine aggressive, nur dem Wunsch des Mandanten verpflichtete Rhetorik, doch die steht trotz markiger Ausführungen gegen die Mauer der Etablierten von vornherein auf verlorenem Posten. Die Ärztin aus dem Ethikrat (Friederike Wagner) bringt von vornherein die menschlich-ärztliche Empathie gegen die Anwältin in Anschlag, und der Hausarzt (Florian Lange) verweist in der kurzen Befragung durch die Moderatorin (Judith Bohle) auf seinen hippokratischen Eid.

Bleibt der Kläger (Wolfgang Reinbacher). Er wird hier aus angeblich gesundheitlichen Gründen (man könnte diese auch Corona nennen) nur per Video zugeschaltet und legt seine Motive und seine Lebensauffassung in zwar ruhiger, aber doch berührender Weise offen. Er kommt nicht nur zu Beginn zu Wort, sondern auch später, wenn er um seine Meinung zu den Ausführungen der Experten gebeten wird.

Schirach lässt die drei erwähnten Institutionen nicht „uni sono“ argumentieren. Die Juristin verweist auf die verfassungsrechtliche Selbstbestimmung des Menschen, die auch den Suizid und dessen professionelle Begleitung erlaubt. In der Verfassung nicht explizit aufgeführte ethische Aspekte spielen demnach juristisch keine Rolle. Hanna Werth verleiht dieser ethisch „indifferenten“ Sicht einen in jeder Hinsicht glaubwürdigen, weil nicht geschönten Ausdruck. Dagegen argumentiert der Ärztepräsident Sperling geradezu wiederkäuend mit dem hippokratischen Eid und verweigert jegliches Eingehen auf die durchaus logischen Argumente der Anwältin. Andreas Grothgar verleiht diese Figur einen Grundtenor von Selbstgefälligkeit, ja Eitelkeit, ohne ihn deswegen jedoch zu denunzieren. Die Szene mit der Anwältin bringt den Ärztevertreter derartig in die argumentative Bredouille, dass er nach seiner Szene aufgebracht die Bühne verlässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass er das Duell mit ihr verloren hat, denn der hippokratische Eid und das „Verbot zu töten“ wiegen zu Recht immer noch schwer. In dieser Figur zeigen sich die Widersprüche der institutionellen Ethik und des gesellschaftlichen Wandels geradezu exemplarisch.

Thomas Wittmann

Dreh-und Angelpunkt ist jedoch der Auftritt des Bischofs. Das wirkt in Zeiten der ausufernden Missbrauchsdiskussion und der unsäglichen Hinhaltetaktik der katholischen Kirche bis in den Vatikan hinein geradezu anachronistisch, mindert jedoch nicht das Gewicht der bischöflichen Argumente. Mit kanzeltauglicher Rhetorik, deren Palette sich von tiefer Innerlichkeit bis zur apodiktischen Feststellung erstreckt, beherrscht er in zunehmendem Maß die Bühne. Ferdinand von Schirach stellt hier der katholischen Kirche zwar ein bewunderndes Zeugnis aus, doch das entpuppt sich als Danaer-Geschenk, denn die Ironie der Selbstwidersprüche schimmert unübersehbar durch die gekonnten Wendungen seiner Rede hindurch. In dem FIlm zu Schirachs Buch konfrontiert ihn der Anwalt mit der ethischen Selbstdisqualifizierung der katholischen Kirche durch den Missbrauchskandel, doch darauf verzichtet die Düsseldorfer Inszenierung. Dennoch sind diese Diskussionen – und andere – natürlich permanent präsent und lassen den Bischof zu einer ambivalenten Figur werden. Thomas Wittman verleiht ihm denn auch eine durch seine selbstgewisse Eloquenz nur ungenügende kaschierte Gebrochenheit, die unterdrückten Zweifel signalisiert.

Die Anwältin steht damit als Kontrastelement allein auf weiter Flur. Cathleen Baumann spielt sie als schmallippig-scharfzüngige, vordergründig rein utilaristisch argumentierende Frau im Hosenanzug und mit männlicher Attitüde. Als Gegenpart zu den sich in der Ethik sonnenden institutionellen Vertretern weckt sie zwar keine Sympathie, doch mit ihrer scharfen Argumentation sammelt sie Punkte in der Bühnenrunde wie im Publikum. Und bei besonders eindringlichen Aussagen des Bischofs, die dieser ohne jeglichen erkennbaren Selbstzweifel vorbringt, zeigt sie sogar kurzzeitig menschliche Wirkung.

Die Leistung dieser Inszenierung besteht darin, dass beide Seiten, vom lebensmüden Kläger ironischerweise abgesehen, auf verschiedene Weise ihre Zweifel an der eigenen Argumentation zeigen, mal durch verzweifelte Aggression, mal körpersprachlich oder mimisch zwischen gekonnt zu Herzen gehenden Worte. Damit erreicht die Inszenierung die offensichtlich beabsichtigte Wirkung: zu zeigen, dass es keine einfachen Antworten auf existenzielle Fragen gibt und dass jede(r) sich darauf einen eigenen Reim machen muss. In letzten Dingen ist jeder allein – und letztlich stirbt man auch alleine.

Frank Raudszus

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