Neujahrskonzert à la Gerald Hoffnung

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Das traditionelle Neujahrskonzert des Staatstheaters Darmstadt stellte nach einem zermürbenden Corona-Jahr den Humor in den Mittelpunkt des Programms. Doch statt vordergründigem oder gar plattem Witz lieferte das Orchester den Humor unter der Leitung des litauischen Dirigenten Vilmantas Kaliunas auf sozusagen homöopathische Weise in der Musik selbst und gerade dort, wo die Komponisten mit ihren eigenen Schwächen und Marotten spielen. Konzertdirektor Gernot Wojnarowicz lieferte zu den gut zwölf Orchesterstücken die launigen Übergangstexte aus dem Fundus wortmächtiger Journalisten und Humoristen.

Nach Eric Coates noch recht gemäßigt humoristischem „Covent Garden“ präsentierte Francis Poulencs „Marche“ bereits recht skurrile Klangeffekte, die typische Eigenarten spätromantischer Musik und deren Interpretationsmuster parodierten. Paul Linckes „Glühwürmchen“ dagegen benötigt keinen aufgesetzten Intonationshumor, weil diese Art der Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert dank ihrer naiven Eingängigkeit längst selbst zu musikalischem Witz geronnen ist. Natürlich warf sich das Orchester mit besonderem Elan in die sentimentalen Melodiebögen.

Kurt Weills „Tango habanera“ und „Tempo di Foxtrott“ vermittelten einen Eindruck frühen Latin Jazz´ und Swings, während Carles Tomlinsons „Clouds“ eher als Debussy-Parodie daherkam. Johann Strauss´ (jr.) „Annen-Polka ist in seiner herzigen Direktheit und den bewusst überbetonten Klangeffekten geradezu unverwüstlich.

Als ersten musikhumoristischen Höhepunkt intonierte das Orchester Helmut Lachenmanns – nomen est omen! – „Marche fatale“, der alle Marotten der Interpretation durch den Kakao zieht. In einem wohlberechneten, mit Wagner-Motiven beginnenden Chaos kombiniert Lachenmann schwülstige Klänge, scheppernde Crescendi und ineinander verschwimmende Klangsümpfe zu einer musikalischen Büchse der Pandora, die als orchestrale Version von Mozarts „Dorfmusikantensextett“ daherkommt. Die hohe Kunst von Dirigent und Orchester bestand darin, die Katastrophen eines überforderten Orchesters bewusst zu zelebrieren, ohne deswegen auch nur einen Augenblick den Eindruck entstehen zu lassen, sie könnten es nicht besser.

Nach Johann Strauss´ walzerseligen „Rosen aus dem Süden“ – auch hier wieder Nostalgie pur als Humor – bot Leroy Andersons „The Classical Jukebox“ einen weiteren humoristischen weil eigenwillig intonierten Parforce-Ritt durch Wagners Werke sowie durch viel gespielte Operettenmusik des 19. und 20. Jahrhundert, während Jacques Iberts „Valse“ – ein ebenfalls bekanntes Stück – wieder eigenwillig instrumentale Einlagen bot, so, wenn die Kontrabassisten sich plötzlich erhoben und ihre hölzernen Ungetüme im Stil von Mick Jagger bearbeiteten.

Den Abschluss des offiziellen Programms bildete Leonard Bernsteins Ouvertüre aus der „West Side Story“, wobei der Humor in der musikalischen Lebensfreude lag. Das Publikum zeigte sich begeistert und forderte vom total überraschten Dirigenten noch eine Zugabe, die dieser ganz zufällig in Gestalt von Bernsteins „Turkey Trot“ parat hatte. Danach folgte dann, analog zu Beethovens endlosen Schlussakkorden oder zu typischen Komödien, überraschenderweise mit Rimsky-Korsakovs „Hummelflug“ der zweite und finale Schluss.

Ein gelungener weil abseits der traditionellen Neujahrskonzerte – „Radetzky-Marsch“! – mit musikalischen Witz à la Gerald Hoffnung aufwartender Start in das Jahr 2022.

Frank Raudszus

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