Kunst für Keinen

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Mit der Machtergreifung Adolf Hitlers Anfang 1933 griff auch ein krudes Kunstverständnis – wenn man diesen Begriff überhaupt anwenden kann – um sich. In totalitären Systeme fürchten die Führer und ihre nächsten Gefolgsleute grundsätzlich die vermeintliche Subversivität der Kunst, sofern sie nicht dem eigenen, sehr eingeschränkten Geschmack entspricht. Das entspringt in vielen Fällen einem Minderwertigkeitsgefühl gegenüber ästhetisch begabten und daher meist eigenwilligen Menschen, das sich in Abwehr und Aggression äußert. Doch auch intelligente Vertreter des totalitären Systems – Beispiel Goebbels – sehen die Kunst als potentiale Bedrohung, weil sie genau um die Bedeutung versteckter Metaphern und Symbole wissen und ahnen, dass sich gerade in der Kunstwelt eine Parallelwelt der „Wissenden“ bilden kann. Totalitäre Systeme fordern und fördern daher nur Kunstrichtungen, die einfache und vor allem ihrer Ideologie folgende Botschaften vermitteln. Insofern waren sich das Dritte Reich und die Sowjetunion in ihrem „(national)sozialistischen Realismus“ sehr ähnlich. Beide hassten die moderne Kunst – vor allem Malerei -, die mit ihren verfremdeten Figuren und abstrakten Formen das breite Publikum verunsicherte oder gar zum kritischen Denken aufforderte.

Ernst Wilhelm Nay: „Frauenkopf in Hand gestützt (1944)

Die meisten bildenden Künstler beschäftigten sich Anfang der dreißiger Jahren mit neuen Formen, Farbgebungen und Figurationen. Das Zeitalter der Fotografie und des Films hatte die naturgetreue Abbildung zu einem gewissen Grad obsolet gemacht, und so musste man in Bildern und Skulpturen das Wesentliche durch Übertreibung oder Verfremdung herausarbeiten. Genau das betrachteten die Nationalsozialisten als „entartet“, eben weil es nicht mehr „natürlich“ abbildend war. Sehr bald nach der Machtergreifung wurde die künstlerische Szene nach den neuen Kriterien durchgekämmt, und als erste Maßnahme wurden „moderne“ Künstler in institutionellen Leitungsfunktionen – Professoren und Leiter von Akademien – ihrer Ämter enthoben, auch wenn sie keine Juden waren. Im zweiten Schritt verwehrte man ihnen erst Einzelausstellungen und dann auch Teilnahme an Gruppenausstellungen. Die totale Isolation von der – nationalsozialistischen – Gesellschaft war die Absicht und auch die Folge. Viele Künstler durften jedoch für sich alleine weiterarbeiten, solange sie ihre Werke nicht zur Schau stellten. Man brauchte hier als Staat nicht weiter tätig zu werden, weil man wusste, dass die Betroffenen ja von irgendetwas leben mussten. Und so fügten sich auch viele notgedrungen in ihr Künstlerschicksal und hielten sich mit künstlerisch nichtssagenden Auftragsarbeiten – etwa Illustrationen – über Wasser.

Jeanne Mammen: „Sterbender Krieger“ (1943)

Die Kunsthalle Schirn hat diese Situation am Beispiel von vierzehn Künstlern dieser Zeit aufgearbeitet, schildert ihren Werdegang in Wandtexten und zeigt vor allem solche Arbeiten, die die politische und psychologische Situation zum Ausdruck bringen. Die Namen sind dem breiten Publikum weniger bekannt, und das scheint eine bewusste Randbedingung dieser Ausstellung zu sein. Es sind Jeanne Mammen (1890-1976), Hans Uhlmann (1900-1975), Edmund Kesting (1892-1970), Willi Baumeister (1889-1955). Werner Heldt (1904-1954), Fritz Winter (1905-1976), Franz Radziwill (1895-1983), Karl Hofer (1878-1955), Hans Grundig (1901-1958) und seine Frau Lea (1906-1977), Ernst Wilhelm Nay (1902-1968), Hannah Höch (1889-1978), Marta Hoepffner (1912-2000) sowie Otto Dix (1891-1969).

Diese Künstler – wir verwenden hier das generische Maskulinum! – haben sich in unterschiedlichem Ausmaß vom Nationalsozialismus distanziert. Die meisten von ihnen blieben sogar – solange es ging – in den offiziellen Künstlerorganisationen – etwa der Reichskunstkammer – und versuchten, ihre künstlerischen Aktivitäten soweit möglich durch die Zeit zu retten. Doch offiziell anerkannt hat das System sie ausnahmslos nicht. Die oben Genannten erhielten durchweg Ausstellungsverbote und mussten sich ins Private oder in nichtssagende Brotberufe zurückziehen. Anhänger des Nationalsozialismus war niemand von ihnen, aber aktiver Widerständler waren die meisten – außer dem Ehepaar Grundig – auch nicht, was man ihnen allerdings nicht vorwerfen kann.

Hannah Höch: „Das Ende“ (1945)

Dennoch zeigen alle Bilder die Einsamkeit und die Angst vor der Zukunft. Wenn man die Entstehungszeit der einzelnen Bilder mit einbezieht, fällt auf, wie stark die Angst und Verlorenheit in den Bildern zunimmt, auch wenn sie – aus nahe liegenden Gründen – keinerlei kriegerische oder politische Themen zum Gegenstand haben. Selbst die reine Naturdarstellungen des Ostfrontsoldaten Fritz Winter etwa spiegeln allein durch ihre expressiven Formen die Eindrücke an der Front wieder. Die Kohlezeichnung „Aufmarsch der Nullen“ von Werner Heldt bringt dagegen auf mutige subversive Art das Grauen der nationalsozialistischen Massenveranstaltungen zum Ausdruck. So versuchten alle der in dieser Ausstellung präsenten Kunstschaffenden – bewusst oder unbewusst – sowohl die am eigenen Leibe erfahrene Isolation und Repression wie auch die allgemeine Angst vor der Zukunft in ihren Arbeiten zu verarbeiten.

Hans Grundig: „Kampf der Bären und Wölfe“ (1938)

Man fragt sich bei dieser Ausstellung natürlich, warum Maler wie Ernst Ludwig Kirchner, Emil Nolde, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff nicht Platz fanden in dieser Ausstellung. Wie ihre weniger bekannten Kollegen in dieser Ausstellung bilden sie – und das ist nur eine Auswahl – die ganze Palette vom Nazi (Nolde) bis zum Freund von Widerständlern (Schmidt-Rottluff) ab und teilten alle das Leid der Ausgegrenzten und Verfemten. Nolde ist zwar seit jüngerer Zeit ein Gegenstand der Diskussionen über „Kunst und Kollaboration“, aber das wäre kein Grund, seine künstlerische Ächtung zu marginalisieren. Es muss den Kuratoren daher explizit darum gegangen sein, diese Ausstellung mit weniger bekannten Namen zu besetzen. Das kann man zwar begründen, aber es spart bedeutende Namen aus und erweckt unterschwellig den Eindruck, als seine diese vom Dritten Reich nicht verfolgt worden.

Dennoch ist die Ausstellung allein durch ihre Ausdrucksstärke sehenswert. Sie ist noch bis zum 6. Juni geöffnet. Näheres ist der Webseite der Kunsthalle Schirn zu entnehmen.

Frank Raudszus

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