Chris Hadfield: „Die Apollo-Morde“

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Dieses Buch gehört im wahrsten Sinne des Wortes zur Gattung der „Science Fiction“, jedoch nicht im landläufigen Sinne futuristischer Phantasietechnik. Hier spiegelt der technische Part die reale Technik der siebziger Jahre wider, und für die Fiktion ist ausschließlich der menschliche Handlungsteil zuständig.

Chris Hadfield war selbst Astronaut und kennt sich daher in allen technischen Details bestens aus. Dieses Wissen setzt er in eine detailreiche und nie spekulative Beschreibung der Mondmission um. Doch auch bezüglich der nicht-technischen Handlungselemente bringt er soviel wie möglich reale Personen und Ereignisse geschickt in die Handlung ein, die man hier nicht im Einzelnen erwähnen kann, ohne interessierten Lesern die Spannung zu rauben.

Im Mittelpunkt des Romans steht die von der NASA aus Budget-Gründen gestrichene, aber hier durchgeführte Mondmission „Apollo 18“ im Frühjahr 1973. Man erinnere sich: 1969 hatten die Amerikaner als Erste mit „Apollo 11“ den Mond betreten, und „Apollo 13“ hätte fast in einer Katastrophe geendet.

Im Mai 1973 hatte die Sowjetunion die nicht-fiktive Raumstation ALMAZ in eine Umlaufbahn gebracht und wollte einige Wochen später eine Besatzung nachsenden. Außerdem hatten die Russen kurz vorher einen Mondrover gelandet, der dort ferngesteuert Bodenproben einsammelte. Beide Komponenten integriert Hadfield in die Handlung des Romans, wobei er sogar ihre tatsächlichen „Schicksale“ berücksichtigt.

Die US-Amerikaner wissen natürlich um ALMAZ und – aus geheimdienstlichen Quellen – deren außergewöhnliche Spionageeinrichtungen. Was liegt da näher, als die Apollo-Mission etwas mit Spionage- und Militäraktionen anzureichern. Doch kurz vorher müssen sie noch aus hier nicht zu verratenden Gründen den Kommandanten der Raumfähre austauschen.

Natürlich beobachten die Sowjets mit allen möglichen Mitteln den Start der Saturn-Rakete von Cap Canaveral in Florida und bemerken auch, dass die Flugbahn vom üblichen Ostkurs abweicht. Als sich die Raumfähre dann der sowjetischen Raumstation nähert, erleben die drei Astronauten eine sehr unangenehme Überraschung.

Bis hierher war der Roman eher eine technisch orientierte Weltraumgeschichte, jetzt aber wird sie zum Politthriller mit zum Teil extremen menschlichen Reibungszonen. Wir wollen hier nur soviel verraten, dass die Mondmission bis zur Landung im Pazifik mehr oder weniger nach der ursprünglichen Planung abläuft, dabei aber immer wieder aus dem Ruder zu laufen droht. Zum Schluss kommt es dann zum Showdown auf und unter dem Wasser nach bester Thriller-Manier.

Sieht man von den exzellenten technischen Aspekten und von der geschickten Integration des historischen Kontextes dieses Buches ab, verläuft die Handlung nach dem üblichen amerikanischen Thriller-Konzept. Die Männer gleichen sich alle, insofern sie aufrechte Soldaten mit kurzem Haarschnitt und trockenem Einheitshumor darstellen. Hinter ihrer rauen Schale versteckt sich natürlich stets ein weicher (und herzensguter) Kern. Psychologische Differenzierung der Charaktere liegt Hadfield offensichtlich weniger am Herzen, dafür aber umso mehr die Identifikationsmöglichkeiten vor allem (jüngerer) männlicher Leser. Alle denken und handeln nur zielorientiert und mit höchst professionellem Ehrgeiz, unabhängig von ihrer geopolitischen Zugehörigkeit. Dabei sind die sowjetischen Protagonisten durchgängig mit weniger Humor und mehr ideologischer Verbissenheit gezeichnet. Dass diese Charakterisierung derzeit in das geopolitische Bild passt, darf man dabei wohl als Zufall betrachten.

Auch die wohl vom Lektorat vorgegebene erotische Komponente darf nicht fehlen, Hadfield behandelt sie jedoch sehr zurückhaltend. Er integriert auch diese Liebesbeziehung in die NASA-Umgebung und verleiht ihr dabei einige Konsistenz, jedoch ohne sie irgendwie maßgeblich in die eigentliche Handlung einzubeziehen. Man muss ja auch andere Identifikationswünsche und Präsentationsforderungen berücksichtigen.

Am Ende stehen sich die geopolitischen Antipoden in einem wohlaustarierten Verhältnis von Sieger und Verlierer gegenüber, wobei sich die Waagschale natürlich zum Westen hinneigt. Das tut aber der Spannung oder der Glaubwürdigkeit keinen Abbruch.

Das Buch ist für Weltraum-Fans aufgrund seiner solide recherchierten Details eine technische Fundgrube und bietet darüber hinaus nicht nur Thriller-Liebhabern eine bis zum Schluss spannende Lektüre. Es ist im Deutschen Taschenbuch-Verlag (dtv) erschienen, umfasst 637 Seiten und kostet 12,95 Euro.

Frank Raudszus

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