Tsitsi Dangarembga: „Überleben“

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Der Roman „Überleben“ der aus Simbabwe stammenden Autorin Tsitsi Dangarembda erschien bereits 2018 auf Englisch unter dem Titel „This Mournable Body“, seit 2021 liegt er nun auch auf Deutsch vor.

Tsitsi Dangarembga erhielt im Oktober 2021 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihr Werk, in dem sie sich für die Frauen in Afrika einsetzt.

„Überleben“ ist der 3. Band einer Trilogie um die Figur Tambudzai Sigauke. Der erste Band erschien bereits 1988 unter dem Titel „Nervous Conditions“, übersetzt ins Deutsche 1991 unter dem Titel „Preis der Freiheit“ und dann noch einmal 2019 unter dem neuen Titel „Aufbrechen“. Der zweite Band erschien 2006 unter dem Titel „The Book of not“. Die deutsche Übersetzung soll im September 2022 erscheinen.

Tambudzai ist eine junge Frau aus einem Dorf in Simbabwe, die den Unabhängigkeitskrieg der 1970er Jahre miterlebt hat. Viele aus ihrem Dorf haben mit für die Freiheit gekämpft, viele sind für ihr Leben traumatisiert. Ihre Schwester hat als Kämpferin ein Bein verloren und ist auf die Hilfe ihrer Mutter angewiesen, die eigentlich selbst auf die Unterstützung durch die Tochter gehofft hatte, nachdem ihr Mann, ein Trinker, die Familie verlassen hatte.

Tambudzai ist die große Hoffnung der Familie. Sie hat mit Hilfe eines Onkels in der Missionsschule lernen dürfen, auf eine weiterführende Schule gehen dürfen und schließlich studieren können. Sie hat einen akademischen Abschluss in Soziologie.

„Überleben“ spielt etwa 20 Jahre nach der endgültigen Unabhängigkeit Simbabwes zu Beginn der 2000er Jahre. Tambudzai ist jetzt eine Frau um die 40, die bislang in einer Werbeagentur gearbeitet hat und recht ordentlich verdient hat. Allerdings muss sie erfahren, dass sie als schwarze Afrikanerin auch im unabhängigen Simbabwe immer noch ein Mensch zweiter Klasse ist. Obwohl sie die Entwürfe für Werbekampagnen entwickelt, darf sie nur untergeordnete Arbeiten verrichten, während die weißen Vorgesetzten ihre Ideen für sich beanspruchen. Aus Frustration kündigt sie, ohne einen neuen Job zu haben.

Am Beginn des Romans sehen wir sie in einer höchst prekären Situation. Ohne Einkommen lebt sie von ihren Ersparnissen, zunächst in einem Hostel für Studenten, dann bei einer wohlhabenden Witwe, die Zimmer vermietet. Sie verbirgt, dass sie keinen Job hat, hält sich möglichst von den anderen Mieterinnen fern. So beginnt eine innere Vereinsamung, die sie Luftschlösser für eine bessere Zukunft bauen lässt.

Dennoch schafft sie noch einmal einen Neuanfang als Lehrerin, allerdings im ihr fremden Fach Biologie. Trotz aller Bemühungen scheitert sie schließlich an einer Generation von Schülerinnen, die nach der Unabhängigkeit geboren sind und ganz anders sozialisiert sind als sie. Es kommt zu einem völligen psychischen Zusammenbruch mit Einweisung in eine Klinik. Schließlich sieht sie sich zurückgeworfen auf die Hilfe ihrer Familie, ohne neue Perspektiven. In dieser Situation gelten auch für sie wieder die Normen und Traditionen, wie sie auf dem Dorf gelebt werden, denen sie in der Großstadt entfliehen wollte. Zudem sieht nun auch die Familie in der einstmaligen Hoffnungsträgerin nur die Gescheiterte.

Doch es eröffnet sich noch einmal eine Chance für einen Neuanfang durch ihre ehemalige weiße Chefin in der Werbeagentur. Die ist mittlerweile ins Tourismusgeschäft eingestiegen und bietet Tambudzai eine Stellung an. Jetzt geht es darum, Konzepte für den Afrika-Tourismus zu entwickeln. Auch hier hat Tambudzai zu kämpfen, insbesondere mit der Konkurrenz durch eine jüngere Mitarbeiterin. Schließlich gelingt ihr ein Wurf mit einem neuen Konzept für die europäische Klientel. Sie sollen direkt bei der Dorfbevölkerung wohnen und deren originäres Leben kennenlernen. Dafür hat sie die Verantwortlichen in ihrem Heimatdorf, insbesondere auch ihre Mutter, gewinnen können.

Doch auch mit diesem Neuanfang scheitert Tambudzai schließlich, ihre Zukunft bleibt im Ungewissen.

Tsitsi Dangarembda konfrontiert uns europäische Leserinnen und Leser mit einer uns doch sehr unbekannten Welt. Sie verweist auf einen mindestens zehnjährigen Bürgerkrieg, der für die ältere Generation immer wieder zum Bezugspunkt wird, wenn es um die Beurteilung der Gegenwartssituation geht. Viele Hoffnungen auf ein wirklich selbstbestimmtes Leben der schwarzen Bevölkerungsmehrheit haben sich nicht verwirklicht. Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen sind allgegenwärtig. Auch eine gebildete Frau wie Tambudzai kann nicht eingreifen, wenn vor ihren Augen Frauen Unrecht geschieht. Sprachlosigkeit, die Unfähigkeit über eigene Gefühle zu sprechen, führen zum inneren Rückzug. In ihrem familiären Umfeld ist sie diejenige, die nicht gekämpft hat, sondern zur Schule und zur Universität gegangen ist, was wie ein Makel auf ihr liegt. Andere, die gekämpft haben, sind so traumatisiert vom eigenen Blutvergießen, dass auch sie nicht mehr richtig im Leben Fuß fassen können.

Für alle ist das Bewusstsein des „Schwarz-Seins“ erst eine Folge der Begegnung mit den Weißen. Tambudzai reflektiert an einem Tiefpunkt ihres Lebens, wann ihr Niedergang begonnen hat. Ihr ist klar, dass das passiert ist, als sie als eines der wenigen schwarzen Mädchen auf der weiterführenden Schule war. Alle Bemühungen um exzellente Leistungen waren wirkungslos, was die soziale Anerkennung anbetraf. Sie blieb ein Mädchen zweiter Klasse. Die Kusine Nyasha hat in Europa studiert, hat sogar einen Deutschen geheiratet, ist aber nach Simbabwe zurückgekehrt, um ein ganz  abgeschiedenes Leben zu führen. Afrika ist ihr ebenso fremd Europa.

Familienstrukturen, Bürgerkrieg, Situation der Frauen, gesellschaftliche Strukturen in Simbabwe sind die zentralen Themen, die Tsitsi Dangarembga in ihrem Roman transportiert.

Und noch ein Thema schneidet sie an, das des höchst problematischen europäischen Tourismus. Die Gier nach „Originalität“ und unmittelbarer Teilhabe wird von den Dorfbewohnern  als Voyeurismus entlarvt. Tsitsi Dangarembgas Kritik richtet sich jedoch nicht nur gegen die Reisenden, vielmehr auch gegen die inländischen Reiseagenturen, die nicht davor zurückschrecken, die Dorfbevölkerung zu vermarkten.

Wie hautnah das alles durch eine Figur erlebt wird, zeigt sie am Beispiel von Tambudzai. Sie lässt Tambudzai als Erzählerin auftreten, allerdings nicht als Ich-Erzählerin, sondern als Erzählerin in der 2. Person. Tambudzai spricht sich selbst an, dadurch entsteht der doppelte Eindruck von unmittelbarem Erleben und gleichzeitiger Distanz zu sich selbst, so dass die reflexive Dimension immer impliziert ist.

„Überleben“ ist ein wichtiges und mutiges Buch, denn es gibt eine authentische Sicht auf gesellschaftliche Probleme in Simbabwe.

Wie mutig Tsitsi Dangarembga ist, zeigt sich darüber hinaus an ihrem Protest gegen Diskriminierung, Gewalt und Korruption in Simbabwe. Dafür wird ihr zurzeit in Harare der Prozess gemacht. Vorgeworfen werden ihr  Aufruf zu Gewalt und Landfriedensbruch, obwohl ihre Kritik an Missständen von der Verfassung geschützt ist. Es steht zu hoffen, dass es doch zu einem Freispruch kommt. Andernfalls droht ihr eine mehrjährige Haftstrafe.

Das Buch ist im Orlanda Verlag in der Übersetzung von Anette Grube erschienen. Es hat 399 Seiten und kostet 24 Euro.

Elke Trost

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