Wolfgang Huber: „Menschen, Götter und Maschinen“

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Der Titel dieses Buches erinnert – wohl nicht zufällig! – an C.W. Cerams Roman „Götter, Gräber und Gelehrte“ über Schliemanns Troja-Ausgrabungen. Es wäre eine eigene Arbeit wert, die einzelnen Elemente der Titel semantisch zur Deckung zu bringen, aber dafür ist hier nicht der Ort.

Die Digitalisierung und ihre kurz- bis mittelfristigen Folgen sind derzeit Gegenstand vieler Publikationen von einschlägigen Experten, etwa Murray Shanagans „Die technologische Singularität„, die sich speziell mit der künstlichen Intelligenz beschäftigt. Auch Huber greift dieses Schlagwort an zentraler Stelle auf, doch stets aus der Sicht des fachfremden Theologen. Das bedeutet nicht, dass er die Zusammenhänge nicht versteht oder auch nur über Gebühr vereinfacht. Ganz im Gegenteil zeigen Hubers Ausführungen zu allen Aspekten der Digitalisierung und vor allem der KI, dass er sich mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt hat. Da er sich dabei jedoch auf die Sachkunde der jeweiligen Buchautoren verlassen muss, kann er inhaltlich, d.h. technisch-fachlich, keine neuen Perspektiven entwickeln, sondern muss stets an der Oberfläche der von ihm studierten Literatur bleiben. Metaphorisch könnte man die Situation mit einem Meereskundler vergleichen, der zwar alle Meere bereist hat, jedoch noch nie in deren Tiefe abgetaucht ist.

Das Thema seines Buches ist denn auch laut Untertitel die „Ethik der Digitalisierung“, das heißt, er setzt sich mit den konkreten und latenten, sprich: drohenden, Auswirkungen der Digitalisierung auf das Leben der Gesellschaft und des Individuums auseinander.

Huber beginnt ganz konventionell mit einer Bestandsaufnahme, wobei er auf die verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte eingeht – Sprache, Schrift, Buchdruck, Digitalisierung – und das Ende des „Druck“-Zeitalters voraussagt. Anschließend diskutiert er die Rezeptionsweisen der neuen digitalen Ära zwischen Euphorie und Apokalypse und landet dabei – nicht überraschend – bei der Verantwortungsethik, die frei nach Kant stets die Folgen jeder menschlichen Aktivität im Sinne des allgemeinen Nutzens abschätzen muss. Als evangelischer Theologe sieht er natürlich die Verantwortung des selbstbestimmten Subjekts im Vordergrund, das sich nicht hinter einer göttlichen Allmacht und Gnade verstecken kann.

Dann diskutiert er die Entgrenzung der (persönlichen) Welt durch die neuen digitalen Plattformen sowie die Auswirkungen von „Big Data“ und zitiert die Erkenntnis, dass die Konsumenten die Nutzung mit ihren Daten bezahlen und damit die informationelle Selbstbestimmung freiwillig aufgeben. Er appelliert dabei direkt an seine Leser, die sich wahrscheinlich nicht aus den Facebook-Nutzern rekrutieren, auf die Teilnahme an den „sozialen Medien“ zu verzichten.

Auch das nächste Kapitel bringt Kennern der Materie nichts Neues, denn hier geht es um die Senkung der Hemmschwellen im Netz, sprich: die „hate speech“. Man kann Hubers Ausführungen über das Verschwinden der Wirklichkeit und die Relativierung des Wahrheitsbegriffs im Internet nur zustimmen, doch fasst er dabei eigentlich nur zusammen, was andere – etwa Jean-Pierre Wils – schon vor ihm gesagt haben. Er versucht nicht, den Gründen für die Entfesselung der Emotionen auf den Grund zu gehen, sondern beschreibt und kritisiert die Symptome. Das mag daran liegen, dass er als Theologe über eine feste – wenn nicht dogmatische – Sicht über die Welt und den Menschen verfügt. Wer die Religion mit ihrem unbedingten Glauben an eine höhere, die Welt leitende Instanz ernstnimmt, kann nicht zu tief in psychologischen oder gesellschaftlichen Abgründen nach vermeintlichen Ursachen suchen, sondern appelliert letztlich an einen „göttlichen“ Kern im Menschen, den es wieder zu beleben gilt. Huber tut das zwar nicht auf direkte und daher naive Weise, aber implizit überwiegt doch der Appell an eine transzendente – sprich: „gute“ – Seite des Menschen den Umgang mit den unerfreulichen Auswüchsen der Digitalisierung.

Über den Begriff „Arbeit 4.0“ – von der Handarbeit über die mechanisch-industrielle zur elektronischen und schließlich zur informationellen Arbeit – , die dem Menschen zwar immer mehr Mühen abnimmt, ihn aber auch abhängig bis zum „Abgehängt sein“ machen kann, kommt er zu der Forderung nach einer „Ethik 4.0“, die auf die Macht der Algorithmen in einer digitalisierten Welt reagiert und sie einschränkt. Doch haben seine Ausführungen zu diesem Punkt einen eher beschwörenden – eben theologischen – Charakter, indem sie die Gefahr der Unterordnung unter die Maschine aufzeigen und Begriffe wie Freiheit, Würde und Selbstbestimmung dagegen in Stellung bringen. Viele richtige Appelle, aber wenig konkrete Vorschläge.

Entsprechend geht er auch mit dem Begriff der Künstlichen Intelligenz um, dem er ein ganzes, durchaus tief schürfendes Kapitel widmet. Dort diskutiert er die verschiedenen Aspekte der Intelligenz und stellt sie einer als kalt empfundenen Maschinenintelligenz gegenüber. Angesichts der durchaus nicht unwahrscheinlichen Entwicklung einer die menschlichen Fähigkeiten bei weitem übertreffenden Maschinenintelligenz sieht er die Gefahr, dass sich der Mensch selbst entmündigt und schließlich zum Sklaven der selbst entworfenen Maschinen wird. Doch sieht er auch diesen Punkt stets aus einer menschenzentrierten Perspektive, was auf den ersten Blick sofort Zustimmung weckt. Das führt aber wiederum wegen der fehlenden Auseinandersetzung mit der maschinellen Intelligenz auf einem grundsätzlichen, wissenschaftlichen Level eher zu einer theologischen Mahnung als zu konkreten Vorschlägen. Huber ist halt Theologe und kein (Digital-)Wissenschaftler. Das macht ihn zwar sympathisch, lässt aber seine Ausführungen stets eine Handbreit hinter den Gedanken und Erwägungen der Fachwissenschaft stagnieren. Seine theologische Weltsicht lässt ihn die Digitalisierung in gewisser Weise als eine „Sünde“ des Menschen betrachten, deren Folgen man (nur?) durch einen festen Glauben an eine (christliche) Moral, den Menschen und – ja! – Gott meistern kann. Ob das in einer teilweise ausgeprägt säkular agierenden Welt – China! – ausreicht, mag dahinstehen.

Zum Schluss setzt sich Huber eingehend mit Yuval Hararis „Homo Deus“ auseinander, in dem dieser die Zukunft als eine von Menschen geschaffenen Welt schildert, in der diese die Stelle von Gott einnehmen. Das kritisiert Huber aus theologischer Sicht völlig verständlich als eine falsche Gottesauffassung. Dabei übersieht er jedoch, dass Harari gar nicht auf das Wesen (eines) Gottes eingeht, sondern diesen Begriff nur metaphorisch nutzt. Gott interessiert ihn nicht, sondern nur seine Bedeutung in der Entwicklung des Menschen. Huber wirft ihm vor, den Machtaspekt des göttlichen Wesens zu sehr in den Vordergrund zu stellen, während das für Harari gerade die konkrete Auswirkung der Religion ist. Für Harari sind Gott, Allah und andere göttliche Instanzen austauschbar, für Huber geht es um den christlichen Gott. Das liest sich durchaus anregend und erhellend, entfernt sich jedoch systematisch von dem Ausgangspunkt der Digitalisierung.

Huber hat mit diesem Buch eher eine grundlegende Stellungnahme der christlichen, speziell der evangelischen, Kirchen verfasst, die man durchaus als Standortbestimmung verstehen kann. Sie verbleibt jedoch stets in der festgefügten Geisteswelt einer zweitausendjährigen religiösen Dogmatik und dringt nur selten in den Kernbereich der säkular codierten Digitalisierung ein.

Das Buch ist im Verlag C. H. Beck erschienen, umfasst 207 Seiten und kostet 18 Euro.

Frank Raudszus

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